Laut Gesetz ist die Fahrbahn der Ort zum Radeln. Im Kreis Pinneberg kommt das moderne Verkehrskonzept nicht an

Wedel/Elmshorn. 404 Verkehrsunfälle mit Beteiligung von Radlern registrierte die Polizeidirektion Segeberg 2011 im Kreis Pinneberg. Häufiger krachte es in dieser Unfallkategorie nur in Lübeck und Kiel. Jeder achte Verkehrstote in Schleswig-Holstein war ein Radfahrer. Der Zweiradspaß ist gesund, aber offenbar nicht ungefährlich. Wie also schützt sich ein Pedaleur am besten?

"Am sichersten ist ein Radfahrer auf der Straße", sagt Polizeioberkommissar und Verkehrsexperte Winfried Schmidt. "Dort kann der Autofahrer ihn einfach besser sehen. Der motorisierte Mensch mag sich vielleicht ärgern, dass er wegen des Radlers abbremsen muss. Umfahren wird er ihn nicht."

Die Fahrbahn ist seit der Änderung der Straßenverkehrsordnung (STVO) 1997 außerdem auch der korrekte Ort zum Radeln. Auf den Radweg gehört der Pedaleur laut STVO nur dann, wenn ein blaues Gebotsschild es ihm anzeigt. In Tempo-30-Zonen ist das Radfahren auf dem Bürgersteig sogar eine Ordnungswidrigkeit, die Bußgeld kosten kann. Nur wo ein baulich angelegter Angebotsradweg vorhanden ist oder die Ordnungsbehörde den Gehweg durch eine "Radfahrer-frei"-Beschilderung entsprechend ausgewiesen hat, darf abseits der Fahrbahn geradelt werden.

Statistisch betrachtet leben Radfahrer besonders dort gefährlich, wo Radwege Straßen queren. An Einmündungen, Grundstücksausfahrten und Kreuzungen.

"Grundsätzlich ist die Sache ganz einfach", sagt Schmidt. "Alle Verkehrsteilnehmer gehören auf die Straße, auch die Radfahrer." Galt zuvor über Jahrzehnte der Grundsatz, die Straße gehöre allein den Kraftfahrzeugen, so genießen die Drahteselbesitzer seit 1997 das gleiche Fahrbahnrecht wie Autofahrer. Das sei allerdings vielen Autofahrern nicht klar, sagt Schmidt. Und vielen Radlern auch nicht. Sie sind unsicher, wohin sie angesichts einer Vielzahl von gewohnten Radwegen, neuen Fahrradstreifen und -schleusen sowie Gebotsschildern eigentlich gehören. Viele trauen sich nicht einmal dort auf die Straße, wo einige Kommunen des Kreises Pinneberg die Erkenntnisse moderner Unfallforschung praktisch umgesetzt haben.

So gibt es in der Wedeler Feldstraße einen mit gestrichelter Linie von der Fahrbahn getrennten Sicherheitsstreifen auf der Straße. An allen Ampeln an dieser Straße hat die Stadt Aufstellflächen für Radler vor den dort wartenden Autos eingerichtet. Vorfahrt für Radfahrer: In Münster, München, Freiburg und Kiel funktioniert das bestens. Im Kreis Pinneberg nicht. Hier bevorzugen viele Radler nach wie vor den Bürgersteig, meiden die Fahrbahn.

Auch in Elmshorn, das 2010 ein Veloroutenkonzept für das gesamte Stadtgebiet verabschiedete, stoßen Radfahrstreifen, -aufstellflächen und geführte Radfahrschleusen auf Skepsis bis offene Ablehnung bei der Zielgruppe. Ziel des Konzepts ist es, dass Radfahrer schneller und sicherer durch die Stadt kommen. Geradezu vorbildlich hat die Stadt an der Kreuzung Wedenkamp, Schleusengraben und Gerberstraße 2010 die Erkenntnisse moderner Verkehrsplanung umgesetzt. Linksabbiegende Radler müssen dort nicht zweimal an Ampeln warten, sondern können vor und neben dem fließenden Verkehr auf ihrer eigenen, farbig markierten Radfahrerschleuse zügig die Kreuzung überqueren. Als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass gerade wenig geübte Radfahrer lieber die umständlicheVariante wählen und auf dem Bürgersteig bleiben. "Statistisch gesehen ist die Straße sicherer, aber subjektiv empfinden viele Menschen das eben anders", sagt Petra Langefeld, Leiterin des Elmshorner Amts für Flächenmanagement.

Bei der zweiten Fahrradspur, die die Elmshorner Politiker entlang der Ansgarstraße einrichten wollten, hagelte es so heftige Bürgerproteste, dass die Politik zurückruderte. Anwohner verglichen den geplanten Sicherheitsstreifen mit einem "Todesstreifen". Andreas Hahn, Chef der Elmshorner CDU-Fraktion und gleichzeitig Vorsitzender des zuständigen Ausschusses, versteht diese radikale Empörung nicht so ganz. "Ich empfinde das als großen Egoismus und mangelnde Bereitschaft einiger Bürger, Expertenmeinungen und objektive Untersuchungsergebnisse überhaupt zur Kenntnis zu nehmen", sagt er. Beate Raudies, Chefin der größten Elmshorner Ratsfraktion SPD, äußert mehr Verständnis. "Das Thema war möglicherweise nicht gut genug erklärt und zu sehr im Hau-Ruck-Verfahren durchgezogen worden", sagt Raudies. Noch vor den Sommerferien ist eine Diskussionsrundegeplant. "Wir werden das nicht gegen die Bürger machen", sagen beide.

Sollte es nicht gelingen, eine Mehrheit der Elmshorner zu überzeugen, werde man eben mit einer anderen Straße beginnen, beispielsweise dem Ellerndamm. An der Umsetzung eines fahrradfreundlichen Verkehrskonzepts halten die Politiker allerdings fest.

Das ist in Wedel trotz der Radspur auf der Feldstraße anders. "Weitere Schutzstreifen stehen zurzeit bei uns nicht auf der Agenda", sagt Ulrich Kloevekorn, Chef der Wedeler Mehrheitspartei CDU und gleichzeitig Vorsitzender des Bauausschusses. Mehr Rechte für Radler könne er sich eventuell in der Bahnhofstraße vorstellen. Nicht als Extra-Spur, sondern im Rahmen eines angedachten Shared-Space-Konzepts. Das sieht vor, dass sich alle Verkehrsteilnehmer - auch Fußgänger - gleichberechtigt einen Verkehrsraum teilen.

In Schenefeld liegen die Dinge noch schwieriger. Die SPD macht sich als stärkste Fraktion im Rat für ein modernes Radwegekonzept nach den funktionierenden Modellen in Kiel oder Münster an einer der unübersichtlichsten Kreuzungen der Stadt an der Hauptstraße/ Bäckerstraße/Blankeneser Chaussee stark, die täglich Dutzende von Schüler passieren. Die Verwaltung hat zwei Varianten vorgelegt, wie die Radler sicher und zügig durch den Verkehrsknotenpunkte geschleust werden könnten. Alle Zahlen stützen das Konzept als deutlich sicherer als die bestehende Lösung. Doch Eltern und Lehrer wehren sich gegen die Vorstellung radelnder Kinder auf der Fahrbahn.

Die Mehrheit aus CDU, FDP und Wählergemeinschaft hat sich die Sicht der Kritiker zu eigen gemacht. "Es ist dort sehr eng, es gibt wenig Platz auf Rad- und Fußweg, das ist uns bewusst", sagt CDU-Stadträtin Susanne Broese, die den Bauausschuss leitet. Dennoch erscheine es ihr als zu gefährlich, die Schüler auf einer Aufstellfläche mitten im Fahrzeugverkehr auf der belebten Kreuzung zu platzieren.

Dirk Lau, beim Allgemeinen Deutschen Radfahrer-Club (ADFC) Hamburg zuständig für Verkehrsplanung, verortet den Widerspruch zwischen objektiven Untersuchungsergebnissen und subjektiver Bürgerskepsis vor allem in den Köpfen der Menschen. "Mehr Aufklärung tut not. Da müsste sich mal ein Behördenleiter oder ein Polizeipräsident hinstellen und sich öffentlich für Radfahrerspuren einsetzen. Das muss erst noch rein in die Köpfe."