Sie wurde für 25 Jahre Ehrenamt im Krankenhaus mit dem Kronenkreuz der Diakonie in Gold geehrt. Zum erstenmal ist sie selbst Patientin.

Halstenbek. Edith von Stryk stützt sich auf ihre Gehhilfe. Bei einem Treppensturz hat sich die 81-Jährige den Oberschenkelhals gebrochen. Das war das erste Mal, dass sie ins Krankenhaus musste - als Patientin. Normalerweise sitzt sie am Krankenbett und liegt nicht drin. 25 Jahren kümmerte sich die Halstenbekerin als "Grüne Dame" ehrenamtlich um Patienten im Albertinen-Krankenhaus in Schnelsen, 20 Jahre davon als Einsatzleiterin. Dafür wurde Edith von Stryk nun mit dem Kronenkreuz der Diakonie in Gold geehrt.

"Ich weiß gar nicht, was sie über mich schreiben wollen", sagt die Frau mit dem flotten Kurzhaarschnitt zur Begrüßung. "So spannend bin ich nicht." Bei einer Tasse Tee wird schnell klar, dass das nicht stimmt. Edith von Stryk hat viel erlebt. Als junge Frau hatte sie panische Angst vor Krankenhäusern. Wer dort hineinging, kam nicht wieder heraus. Ihre beiden Schwestern, ihre Mutter, die Oma starben innerhalb von zwei Jahren. Der Vater wurde von den Russen abgeholt, niemand wusste wohin sie ihn brachten. Mit 19 Jahren war Edith allein und ohne Glauben.

1955 gelang ihr die Ausreise aus der DDR. In Frankfurt am Main kam sie bei einer amerikanischen Familie unter. Eines Tages kam der Bescheid, sie dürfte ihren Vater im Gefängnis in Bautzen besuchen. Sie musste zurück. Beinahe unbemerkt gelang ihr die Einreise. Doch in Dresden lief sie einem ehemaligen Mitschüler ihrer Schwester in die Arme. Er hatte sich zu einem hohen SED-Funktionär gemausert. Er stoppte sie mit den Worten, sie werde doch wegen Republikflucht gesucht. "Ach Quatsch", antwortete Edith geistesgegenwärtig. "Dann wäre ich doch nicht hier." Er ließ sie gehen. Edith konnte ihren Vater im "Gelben Elend" besuchen. Vier Wochen später kehrte sie nach Frankfurt am Main zurück. Als sie aus dem Zug stieg, wartete die christliche Jugendgruppe, mit der sie sich regelmäßig traf, auf sie. Tag für Tag waren sie zum Bahnsteig gepilgert, in der Hoffnung ihrer Edith gelinge erneut die Flucht. Sie hatten für ihre Rückkehr gebetet. Da konnte Edith Gott auch wieder in ihr Herz lassen.

+++ Grüne Damen auch für Patienten mit Demenz +++

Weihnachten 1956 bekam sie einen Brief: Ihr Vater war nach Friedland, der Schnittstelle der Besatzungszonen, entlassen worden war.

Gleichzeitig bekam die Jugendgruppe einen Neuzugang. Jürgen von Stryk war zurückhaltend, also begann Edith das Gespräch. Dieses "von" in seinem Namen gefiel ihr aber nicht besonders. Also duzte sie ihn gegen ihre Gewohnheit. Schnell stellten sie fest, dass er als Kind zwei Jahre in ihrem Heimatort Weinböhla bei Dresden gelebt hatte, nachdem die Familie in Hamburg ausgebombt worden war. Das Eis war gebrochen. Im November 1958 heirateten sie und zogen nach Halstenbek. Sohn Lutz kam zur Welt. Es folgte ein Mädchen. Doris wurde nur acht Monate alt. Klaus und Katrin wurden geboren und gaben Edith von Stryk neue Kraft. Die brauchte sie, denn sie pflegte ihren kranken Vater 16 Jahre bis zu seinem Tod 1972 zu Hause.

1987 folgte sie einem Aufruf in der Zeitung. Pastor Harald Eisenblätter suchte ehrenamtliche Helfer für Patienten. Die Kinder waren aus dem Haus. Tennis spielen und das Haus putzen, reichte Edith von Stryk nicht. Sie war es gewohnt, sich um andere zu kümmern.

Mit drei anderen Damen fand sie sich am 7. Januar in der Empfangshalle des Albertinen-Krankenhauses ein.

Seitdem übernehmen die Damen verschiedene Dienste. Im Lotsendienst empfangen die Ehrenamtlichen werktags von 8 bis 16 Uhr die Patienten, um sie zur Aufnahme und zu den Stationen zu begleiten. Sie übernehmen Botengänge, begleiten zu Untersuchungen, Therapien und zum Friseur. Andere arbeiteten in der Bibliothek, gehen von Zimmer zu Zimmer und bieten Lesestoff an. Und alle nehmen sich die Zeit, zuzuhören und Trost zu spenden.

Die Patienten begegneten den "Grünen Damen" zunächst mit Skepsis. "Ein Patient fragte mich, ob ich eine von den Dummen sei, die hier umsonst arbeiten", sagt Edith von Stryk. Sie sagte ihm, "wir arbeiten hier ohne Geld, aber nicht umsonst." Als er entlassen wurde, schenkte er ihr eine Schokolade. Eine andere Patientin wollte sich nicht den Koffer abnehmen lassen, weil sie glaubte, sie müsse dafür bezahlen. Nach ihrer Entlassung stand Edith von Stryk wieder mit dem Gepäckwagen da. "Am Ausgang wollte die Patientin wissen, was sie mir schuldet", sagt sie. "Ich nehme ein Lächeln und ein Dankeschön." Jahre später stoppten Edith und Jürgen von Stryk auf einer Radtour durch die Lüneburger Heide auf dem Wochenmarkt, um vier Äpfel zu kaufen. Die Bäuerin packte eine große Tüte voll und sagte: "Das macht ein Lächeln und ein Dankeschön." Die Patientin von damals hatte Edith von Stryks Worte nicht vergessen.

Anekdoten wie diese, kann Edith von Stryk viele erzählen. Kurz nach der Wende entpuppte sich der Herzpatient, den sie ihm Rollstuhl schob, als alter Klassenkamerad. Seit ihrer heimlichen Ausreise hatte niemand mehr Kontakt zu ihr.

Das ändert sich, als sie den wieder fitten Hans in Dresden besuchte. Dort wartete bereits ein großer Teil ihrer ehemaligen Klasse. "Seitdem treffen wir uns jedes Jahr", sagt sie. Ihre Beziehungen in ihre Heimat nutzte Edith von Stryk, um eine Partnerschaft mit Dresden aufzubauen und auch hier die "Grünen Damen" zu gründen.

Edith von Stryk kann jedem nur raten, sich den "Grünen Damen" und mittlerweile auch Herren anzuschließen. "Schon nach einem Monat merken sie, dass sie gar nichts für die anderen tun, sondern ganz viel für sich."