Wie sich die FDP in einem Pinneberger Weinlokal auf die Landtagswahl einschwört. Man erzählt sich gerne die guten Geschichten von früher.

Pinneberg. Wenigstens der "Piemonte Cortese", Jahrgang 2010, erinnert die Liberalen noch an alte, glorreiche Zeiten. Zwölf Prozent Alkohol hat der frische, italiensche Weißwein, der auf dem Tisch des Szenetreffs "ma Vino" steht, während ihre Partei gerade mal um die Drei-Prozent-Marke kreist. Als Heiner Garg in das Pinneberger Lokal hineinspaziert, ist manche Flasche schon halb geleert. Die Liberalen in Pinneberg haben zum Frühschoppen geladen, und es scheint, als wollten sie sich ein wenig Mut antrinken. Während der Landesvorsitzende jedoch bescheiden dem würzigen Vino ein Wasser vorzieht, verströmen die Parteimitglieder, die teils noch in Erinnerungen an die rauschende Wahlkampfparty vor drei Jahren schwelgen, gemütliche Vergnüglichkeit. "Wir Liberalen haben eben Stil", sagt Werner Mende, FDP-Fraktionschef in Pinneberg.

Weil die Umfragewerte der Partei schon seit Monaten im tiefen Tal verharren, könnte mancher die Wahlkampfauftaktveranstaltung der FDP als verdienten Ausklang einer erfolgreichen Regierungszeit in Kiel verstehen. Doch die Menschen im Land und auch im Kreis sind offensichtlich schwer enttäuscht und unzufrieden. Über dem Treffen des Ortsverbandes schwebt daher nicht grundlos die Befürchtung, dass es die FDP nicht einmal mehr in den nächsten schleswig-holsteinischen Landtag schaffen könnte.

Dabei sah damals am 27. September 2009, dem Tag der vergangenen Landtagswahl, alles noch so vielversprechend aus. Die FDP war fast zur Volkspartei avanciert, holte in allen vier Wahlkreisen Rekordwerte. Im Wahlkreis Pinneberg-Nord stimmten 8000 Menschen für sie, die SPD holte dort nur knapp 11 000 Stimmen. Doch mit der Regierungsbeteiligung in Berlin und Kiel stürzten die Sympathiewerte in den Keller. Aus den Mitgliedern einer Volkspartei wurde binnen weniger Monate wieder Lobbyvertreter, die Hotelmagnaten bevorzugen und Hartz IV-Empfänger geißeln. FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki versuchte sich zwar früh als Kritiker der Bundespartei, doch das half bis heute nicht viel. Zu viele Krisen erlebte die Partei in den vergangen Jahren, Monaten und Tagen. "Wenn ich nach Berlin blicke, habe ich manchmal den Eindruck, da gönnt der eine dem anderen das Schwarze unter den Fingernägeln nicht", sagt Garg. Zuletzt liefen der Partei auch noch die Mitglieder davon. Doch davon sei man in Pinneberg nicht betroffen, sagt Werner Mende. Der quirlige Senior erzählt lieber eine nette Geschichte, die die Liberalen in diesen Tagen gerne hören. Ein 13-Jähriger meldete sich jüngst bei ihm via Facebook, er wolle sich unbedingt für die FDP engagieren. Problematisch nur, dass man bei den Jungliberalen (Julis) erst mit 14 Jahren Mitglied werden kann. Mitmachen könne er aber trotzdem, schrieb Mende zurück. Schließlich können sie zurzeit jeden "Mann" gebrauchen.

Auch im Pinneberger Weinlokal ist man die Negativschlagzeilen leid, hört lieber die guten Geschichten. Und die erzählt Garg gern. Die Zeit der Satiresendungen sei vorbei, "langsam werden wir wieder ernst genommen", verkündet er in bester Westerwelle-Manier, mit übertriebener Gestik und Mimik. "Wir kämpfen nicht ums Überleben, sondern um politisch mitzugestalten", sagt er, nimmt seine Brille ab, setzt sie wieder auf und macht eine künstliche Sprechpause. Auch das erinnert irgendwie an Westerwelle.

Auch inhaltlich spielen Begriffe wie Freiheit à la Guido Westwelle wieder eine zentrale Rolle. Als ob sich die Liberalen auf dem Lande vom neuen Chef Philipp Rösler bewusst emanzipieren wollen. "Naja, unter Westerwelle haben wir schließlich unser bestes Ergebnis eingefahren", erinnert Mende.

Gute Laune macht auch die Broschüre der Liberalen mit dem Titel "Freiheit ist Verantwortung". Bescheiden heißt es: "Erfolgsbilanz 2009-2011". An Selbstbewusstsein mangelt es nicht. Liberale Spitzenpolitiker erklären, was Freiheit für sie bedeutet. Für Wolfgang Kubicki ist Freiheit beispielsweise "Recht auf legales Glücksspiel", und für Kirstin Funke, die aus Eckernförde kommend auch als Direktkandidatin im Kreis antritt, gilt es "Kultur zu schützen". Dass ausgerechnet sie ein heftig umstrittenes Denkmalschutzgesetz durchsetzte, das Historiker als Abschaffung des Denkmalschutzes deuten, wird nicht erwähnt. Auch nicht die Kritik an dem umstrittenen Glücksspielgesetz.

Im Schatten diverser Wahlkampfutensilien vom Kuli bis zum Schreibblock hat es sich Günther Hildebrand gemütlich gemacht. Der Ellerbeker FDP-Bürgermeister strahlt eine Tiefentspanntheit aus, wie sie zurzeit nur wenige seiner Landtagskollegen öffentlich zelebrieren. Kein Wunder, er tritt als Kandidat nicht wieder an. "Es ist schon deprimierend, sich zu Hause, im Dorf, ständig für die Bundespartei rechtfertigen zu müssen", sagt Hildebrand. Dennoch glaubt er, dass es die Liberalen wieder in den Landtag schaffen. Und selbst wenn nicht: "Wir haben gute Strukturen, die die Arbeit unserer Partei weiter aufrecht erhalten würden", sagt der Schatzmeister der Partei. Er muss es wissen.

Garg redet unterdessen von den Erfolgen seiner Partei. So sei etwa die jährliche Nettokreditaufnahme drastisch zurückgegangen. Das habe zwar auch mit der Konjunktur zu tun, "aber so verkehrt kann unserer Politik ja trotzdem nicht gewesen sein".

Nun müsse es wirtschaftlich weiter aufwärts gehen. Dazu will er die "Stärken des Landes stärken", Schlüsselbereiche wie die Gesundheitsbranche fördern. Kernthema bleibt der Schuldenabbau. Mit diesen Rezepten der Vergangenheit streichelt er die liberale Seele. Auch Mende ist von Garg angetan. "Ich glaube, wenn unsere Wähler reflektieren, was wir wirklich geschafft haben, kehren viele spätestens an der Wahlurne wieder zu uns zurück." Und die Wahlparty wird wieder im "ma Vino" gefeiert. Egal wie's ausgeht. Mancher hofft, dass die Prozente der FDP am 6. Mai über der des "Piemonte Cortese" liegen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.