Appens Dorfschmied Uwe Rittscher übergibt seinen Betrieb an Jonn-Philip Cordts und beendet damit eine 101 Jahre alte Familientradition

Feuer lodert in der Schmiede zu des starken Meisters Liede: Feuer, singt er, diene mir!" Ob Uwe Rittscher je bei der Arbeit gesungen hat, ist nicht überliefert. Wohl aber hat er 48 Jahre lang mit wuchtigem Schwung in das altbekannte Lied der Hammerschläge eingestimmt. Der Appener, 63, ist einer der letzten Vertreter einer uralten Handwerkskunst. Wer ihn beobachtet, wie er im Halbdunkel der Werkstatt an der Appener Hauptstraße 52 die Lohe anheizt und die Glut schürt, bis die Hitze dort 1000 Grad und mehr erreicht, der versteht den jahrtausendealten Mythos von den Schmieden als den archaischen Beherrschen von Feuer und Eisen.

Das Feuer wird hier nicht verlöschen. Die 101 Jahre währende Tradition der Rittschers als Appener Dorfschmiede jedoch geht zu Ende. Am Mittwoch verabschiedete sich Uwe Rittscher ("Natürlich gehe ich auch mit einem tränenden Auge") während einer Feier im Bürgerhaus von seinen langjährigen Kunden und Geschäftsfreunden. Die Firma, die 1911 sein Großvater Heinrich in dem damals kleinen Bauerndorf gegründet hatte, übernimmt zum 1. März Rittschers bisheriger Mitarbeiter, der Landmaschinenmechaniker-Meister Jonn-Philip Cordts, 31, aus Rellingen.

"Die klassische Dorfschmiede ist verschwunden. Das lohnt einfach nicht mehr", sagt Volker Gawron, Obermeister der Metall-Innung im Kreis Pinneberg, der Rittscher zur Verabschiedung eine Urkunde überreichte: "Für 100 Jahre. Das stimmt aber eigentlich nicht, denn die Schmiedetradition bei den Rittschers gibt es ja schon viel länger."

Der Rellinger Unternehmer findet es schade, dass heutzutage junge Metallverarbeiter ihre Ausbildung beenden, "die niemals auch nur einmal auf den Amboss gekloppt haben". Zum heutigen Berufsbild gehöre diese Tätigkeit, die er selbst noch während seiner Ausbildung vor 20 Jahren kennengelernt habe, einfach nicht mehr, so der Obermeister - "dabei kommen wir doch im Grunde eigentlich alle vom Feuer her."

Er kenne, so Volker Gawron, außer dem Betrieb von Uwe Rittscher nur noch den von Kay John in Halstenbek, wo noch ein Schmiedefeuer brenne. In vielen anderen Orten wie in Borstel-Hohenraden und Holm erinnern einzig die Namen von Lokalen an die frühere Nutzung der Gebäude.

Einstmals waren die Schmiede in jeder Ortschaft wichtige Leute, wie Uwe Rittscher sagt: "Ohne sie ging nichts. Die kamen gleich nach dem Pastor und dem Bürgermeister." Die Rittschers hatten, bevor sie nach Appen gingen, schon in der benachbarten Stadt Pinneberg in einer Werkstatt an der Elmshorner Straße Pferde beschlagen, Wagenräder repariert, Ketten gefertigt, Sensen geschärft.

Vor 101 Jahren hatten die damals 63 Appener Bauern noch mehr als 400 Arbeitspferde in ihren Ställen. Sie zogen Pflüge, Eggen und anderes Gerät über die landwirtschaftlichen Flächen. "Die große Zeit der Mechanisierung setzte hier erst so richtig nach dem 2. Weltkrieg ein", erinnert sich der Appener Dorfschmied.

Auf einem Foto, das den Betrieb im Ortszentrum zu Beginn der 60er-Jahre zeigt, ist links ein Pferd zu sehen, das beschlagen werden soll, im Hintergrund steht derweil schon ein Traktor zwischen hölzernen Leiterwagen. Mittlerweile sind es in Appen nur noch eine Handvoll Landwirte, die für bestimmte Arbeiten Lohnunternehmen von außerhalb beauftragen. "Die rücken mit großen High-Tech-Maschinen an, die irgendwo zentral gewartet werden", sagt Rittscher.

Seine Schmiede, Schlosserei und Landmaschinenwerkstatt war lange Jahre auch Tankstelle. Und zwar die erste im Dorf überhaupt. Seit den 30er-Jahren wurde Shell-Kraftstoff verkauft. Ein anderes historisches Bild zeigt Uwe Rittscher als kleinen Steppke und Tankhelfer an einer der Zapfsäulen.

Von 1964 an war er bei seinem Vater Albert in die Lehre gegangen. Er lernte sein Handwerk praktisch von Kindesbeinen an, gab sein Wissen später an seine eigenen Lehrlinge weiter - und blieb bis zuletzt ein Alleskönner. "Wir flicken der Oma noch ihren Metalltopf und schweißen der jungen Mutter ein kaputtes Teil vom Kinderwagen", sagt Rittscher. Seine eigenen Kinder, die Söhne Simon und Lorenz, sind inzwischen erwachsen. Sie erbten das handwerkliche Geschick, traten aber nicht in die Fußstapfen des Vaters, sondern wurden Feinmechaniker und Elektrotechniker und arbeiten in der Industrie.

Uwe Rittscher sagt nicht nur seiner Firma Lebewohl, um sich in den Ruhestand zu verabschieden, sondern zieht mit seiner Frau aus seinem Heimatort nach Horst bei Elmshorn um, wo seine Kinder leben. "Aber ich werde natürlich immer Appener bleiben", sagt der Handwerksmeister, der viele Jahre lang aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr des Ortes war.

Seine Sammlung historischer Dokumente und Fotos, die er zum Abschied aus Firma und Berufsleben zusammengetragen hat, spiegeln auch ganz viel Dorfgeschichte wider. Da ist zum Beispiel ein Kassenbuch aus den Jahren 1921 bis 1924. Darin ist nachzulesen, dass zu den damaligen Kunden auch die Betreiber des damaligen Appener Elektrizitätswerkes gehörten, das es für einige Jahre gegeben hatte. Als die Inflation galoppierte, explodierten in der Appener Dorfschmiede die Preise. Hatte das Beschlagen eines Pferdes 1921 noch 1,30 Reichsmark gekostet, wurden 1924 dafür sage und schreibe mehr als eine Millionen Mark fällig.

"Auch früher schon gab es gute und schlechte Kunden", sagt Rittscher auf die Frage, ob in vergangenen Jahrzehnten die Zahlungsmoral der Kunden grundsätzlicher besser gewesen sei.

Ob als Schmied oder bei der Reparatur großer Schlepper: Kräftig angepackt werden musste in der Werkstatt damals wie heute. "Eisen hat nun mal Gewicht und ist keine Feder", sagt Uwe Rittscher - und schwingt mit scheinbar leichter Hand den gewaltigen Schmiedehammer.

"Glühen sollst du mir mein Eisen, dass ich's mit des Hammers Schlag hart und biegsam schmieden mag. Also singt der starke Schmied. Feuerflamme Funken sprüht."