Bei der Sturmflut vor 50 Jahren kämpfte Johann-Otto Plump an zwei Fronten - als Feuerwehrmann und in seinem überfluteten Zimmereibetrieb.

Uetersen. Schon Tage vor der großen Flut sind die Vorboten der Katastrophe in Uetersen am Werk. In der Siedlung am Tornescher Weg hat der Orkan, der über Norddeutschland fegt, drei Dächer samt Aufbaukonstruktionen von den Wohnblocks gerissen. Die Trümmer fliegen bis auf die Gleise der Uetersener Eisenbahn, blockieren den Bahnbetrieb für längere Zeit, zerquetschen zwei parkende Autos. Zu den Arbeitskolonnen, die die Dächer der anderen Häuser sichern sollen, gehört Zimmermeister Johann-Otto Plump, 75. "Wir lagen auf dem Flachdach, das sich immer wieder bei den Orkanböen anhob", erinnert sich der Uetersener. "Das war lebensgefährlich."

Und doch ist dieser Einsatz in schwindelnder Höhe erst die Ouvertüre zur Sturmnacht auf den 17. Februar 1962. Vier Tage lang tobt der Orkan bereits, die Warnungen des Wetterdienstes werden fast zur Normalität. Nur wenige sehen etwas Alarmierendes darin, dass das Nachthochwasser für Freitag mit 1,50 bis zwei Metern über Normalnull vorhergesagt wird, heißt es in der kleinen Sturmflut-Chronik, die der Magistrat der Stadt Uetersen später herausgab. Im Fokus der Behörden stehen die Schäden des Orkans - kaum einer denkt, dass das Wasser viel gefährlicher werden kann.

Für Johann-Otto Plump heißt es in dieser Nacht, an zwei Fronten zu kämpfen. Zum einen als Zimmermeister, dessen Werkstatt an der Deichstraße samt Maschinen von den Fluten bedroht wird. Zum anderen als frisch gebackener Feuerwehrmann, der mit seinem Bruder Wolfgang versucht, die Durchgänge im Deich ("Stöpenlöcher") mit Bohlen und Sandsäcken und ein offen stehendes Siel zu schließen. Völlig durchnässt kämpfen die beiden gegen die steigenden Fluten. Alle zwei Stunden soll der Feuerwehrmann eigentlich Meldung machen im Rathaus. Doch vor Ort wird jede Hand gebraucht. Schließlich verdonnert er einen Schaulustigen dazu, im Rathaus Bescheid zu sagen.

"Zimmermeister Plump fordert um 23 Uhr Kies an, außerdem braucht er Männer zur Sicherung der Deichschotten", heißt es in der Chronik. Gegen Mitternacht hören die beiden Brüder trotz des Sturms das Rauschen der Flutwelle. Das Wasser kommt schnell, die wenige hundert Meter entfernte Moltkestraße wird zum großen Teil überflutet. Den Bewohnern gelingt es kaum, wertvollen Hausrat und Lebensmittelvorräte aus den Kellern zu bergen. An der Moltkestraße endet auch der Sommerdeich, weshalb das Wasser um den Deichkopf herum läuft und die Grundstücke auf der anderen Seite des Deiches überflutet. "Ein Problem, das heute auch noch besteht", sagt Plump.

Mehr als 40 Stunden lang ist Johann-Otto Plump, wie auch viele andere Helfer, auf den Beinen - und muss im eigenen Betrieb einen großen Verlust hinnehmen, den niemand ersetzt. Denn sechs Doppelhäuser für die Neue Heimat Tornesch liegen fertig abgezimmert auf dem Firmengelände am Ufer der Pinnau. Als die Fluten steigen und steigen, wird das Gelände überflutet. Das Wasser hebt die schweren Hölzer an, die sich in Bewegung setzen. Zwei Doppelhäuser durchbrechen die Umzäunung und werden schließlich von dem sturmgepeitschten Wasser davongetragen. Machtlos müssen die Plumps zusehen. In Prisdorf und Pinneberg finden sich im Verlauf der Pinnau später Reste ihrer Habe an, doch nichts ist wieder verwertbar.

Eine Szene hat sich Johann-Otto Plump in dieser Nacht besonders eingebrannt. Er hatte seinem Vater, der krank im Bett lag, vom steigenden Wasserpegel in der Werkstatt berichtet. "Hoffentlich halten die Deiche", sagt dieser ahnungsvoll. Als der Sohn etwas später erneut in die Werkstatt watet, sieht er zu seinem Erstaunen, dass der Wasserstand deutlich gesunken ist. Der Vater, dem er von der schier unglaublichen Entwicklung berichtet, fasst ihn am Arm, erinnert sich Johann-Otto Plump, und sagt: "Hoffentlich ist kein Mensch dort, wo jetzt das Wasser ist." Die Beobachtung des plötzlich fallenden Wasserstandes haben viele Zeitzeugen in dieser Nacht gemacht. Erst am nächsten Tag wird bekannt, dass in Hamburg-Wilhelmsburg die Deiche gebrochen sind. Mehr als 300 Menschen ertrinken dort in den Fluten.

Lesen Sie morgen, wie Menschen aus dem Kreis Pinneberg vor 50 Jahren die Sturmflut in Hamburg-Wilhelmsburg erlebten.