Das Doppellebewesen aus Pilz und Alge ist ein verlässlicher Gradmesser für Umweltverschmutzung

Halstenbek. Wenn der Halstenbeker Umweltberater Henning Willers in der Gemeinde unterwegs ist, widmet er den Baumstämmen sein besonderes Augenmerk. Speziell interessiert den Fachmann ein Bewuchs auf der Rinde, den die meisten Laien wohl übersehen oder bestenfalls als Moos bezeichnen würden. Doch bei den grünlichen bis graublauen Ablagerungen handelt es sich um Flechten. Und diese wiederum sind für Wissenschaftler wie Willers hervorragende Helfer, um die Umweltbelastungen beispielsweise in der Halstenbeker Luft ermitteln zu können.

Es gibt sensible Flechten und robuste Exemplare

"Flechten sind Doppellebewesen, die aus einem Pilz und einer Alge bestehen", beschreibt Willers diese in Milliarden verschiedener Arten vorkommenden Lebenspartner, die in einem kontrollierten Parasitismus leben - also vereinfacht gesagt, sich zum Fressen gern haben, ohne dabei drauf zu gehen.

Was den Umgang mit den Flechten so spannend macht, ist deren Eigenschaft, je nach Art unterschiedlich auf die sie umgebende Luft zu reagieren. "Das ist fast so wie bei den Menschen. Da gibt es Sensibelchen und widerstandsfähige Typen", sagt Willers.

Die zart besaiteten Flechten gedeihen nur dort, wo die Luft rein ist. Robustere Exemplare haben genug Power, um auch unter verschärften Bedingungen in einer mit Schadstoffen stark belasteten Atmosphäre noch durchzuhalten. Generell gilt: Besonders leiden die Flechten unter Schwefeldioxid-Belastungen, die sich aus den Abgasen von Kraftfahrzeugen, Dieselloks und dem Betrieb industrieller Anlagen entwickeln.

Seit seinem Dienstantritt vor zwei Jahren hat Willers die Flechten in der ganzen Gemeinde im Blick. Kein Wunder: Schließlich verfasste er seine Diplom-Arbeit über an Bäumen lebende (sogenannte epiphytische) Flechten. Der Biologe ist einer von nur 200 Flechtenkundlern, die es in Deutschland gibt.

Um für Halstenbek zu griffigen Ergebnissen zu kommen, wählte Willers ein Gebiet zwischen der Dockenhudener Chaussee und der Stadtgrenze Pinnebergs aus. Dort nahm er sich im Verlauf eines halben Jahres Hunderte von Bäumen und deren mit unterschiedlichen Flechtentypen behafteten Rinde vor. Das Ergebnis zeigt: in einem Areal entlang der Dockenhudener Chaussee und der Bahntrasse überlebte nur die besonders widerstandsfähige Flechte mit der biologischen Bezeichnung Lecanora conizaeoides.

Je weiter der Baumbestand von Straße, Bahn und verdichteter Bebauung entfernt ist, desto mehr breiteten sich auch schwächere Flechten an den Stämmen aus. In den Bereichen mit Wiesen und Wäldern fühlte sich auch besagtes Sensibelchen mit dem schönen Namen Evernia prunastri wohl. Eben, weil dort in der Feldmark entlang der Grünen Twiete und des Brandheidewegs die Luft am wenigsten durch Schadstoffe aller Art belastet ist.

Ausgedehnte Grünzonen sind wichtig für die Umwelt

Willers' Schlussfolgerung aus der Untersuchung: Ausgedehnte Grünzonen, wie das Gebiet Grüne-Twiete/Brandheide, aber auch das unter Landschaftsschutz stehende Areal rund um den Krupunder See stellen einen wichtigen Beitrag zum Erhalt einer intakten Umwelt mit weitgehend schadstofffreier Luft dar. Der Experte wünscht sich, dass mehr solcher Inseln geschaffen werden, weil damit auch die gesamte Öko-Bilanz Halstenbeks sich positiv entwickelt.

Bebauung der Brandtschen Wiese wird sich nicht negativ auswirken

Erweiterungsfläche sieht Willers langfristig in Baumschulfeldern zwischen dem Krupunder See und der Lübzer Straße. Wenn dieses Areal eines Tages von der Gemeinde übernommen und renaturiert werden würde, wäre dies nicht nur ein Gewinn für die Umwelt. Gleichzeitig könnte eine grüne Brücke zum Jubiläumswald an der Lübzer Straße entstehen.

Die Beseitigung der Grünfläche Brandtsche Wiese wegen des dort geplanten Schulneubaus wird sich nach Worten des Umweltfachmanns nicht negativ auf die Luftqualität auswirken. Auch mit der Brandtschen Wiese sei die Schadstoffbelastung in der Umgebung bereits relativ hoch.

Allerdings bewegten sich die Belastungen sogar auf der täglich von 23 000 Fahrzeugen benutzten Dockenhudener Chaussee noch im Rahen der rechtlich zulässigen Grenzen. Dort hatte es bis vor ein paar Jahren noch eine Messstation für Schwefeldioxid gegeben. Langfristig seien allerdings Flechten die besseren Indikatoren, sagt Henning Willers.