Gesundheitsnetz in der Region feiert zehnjähriges Bestehen und denkt dabei an Kinder und den Gesundheitsminister.

Wedel. Das Gesundheitsnetz Region Wedel (GRW) feiert sein zehnjähriges Bestehen auf eine etwas andere Art. Statt bei einem Festakt die Geburtstagstorte selbst zu schlemmen und Präsente entgegenzunehmen, haben die 57 Ärztinnen und Ärzte der seinerzeit ersten Institution dieser Art im Kreis Pinneberg lieber dem Kinderhilfsprojekt Weki einen großen Schokoladenkuchen spendiert und 1000 Euro obendrein geschenkt - verkehrte Welt. Ebenfalls gravierend anders, als es sollte, verlief die Entwicklung der Gesundheitspolitik in den vergangenen zehn Jahren. Diese Bilanz zogen GRW-Vorsitzende Ute von Hahn und ihre Kolleginnen und Kollegen nach der ersten Dekade des Zusammenschlusses.

"Das politische Umfeld ist nach wie vor unangenehm", sagt Ute von Hahn. Zu rasch wechselten Vorgaben der Politik und das jetzige System sei ineffektiv und an vielen Stellen dringend reformbedürftig, weil die Kosten ins Unbezahlbare stiegen. Ein Beispiel dafür sei das Abrechnungssystem. Hausärzte bekommen pro Patient, den sie in einem Quartal untersuchen zunächst einmal eine Grundvergütung von 34 Euro - gleich, ob er nun einmal kommt und wenig Aufwand verursacht oder ob er täglich die Praxis aufsucht.

"Deshalb zwingt das System die Ärzte prinzipiell dazu, möglichst viele Patienten zu untersuchen, weil der Praxisbetrieb auf einer Mischkalkulation beruht. Würden nur schwere Fälle behandelt, käme eine Praxis schnell in wirtschaftliche Schwierigkeiten, da die Honorare den Aufwand nicht abdecken", sagt die Netz-Vorsitzende. Bei verbitterten Kollegen in der Branche mache der Begriff "Verdünnerscheine" die Runde - Krankenscheine von Personen mit leichten Leiden, deren Erlöse die schweren Fälle mitfinanzierten.

Ein weiteres Problem im System benennt Chirurg und GRW-Vorstandsmitglied Jens von Schöning: "In Deutschland werden zu viele Operationen stationär im Krankenhaus und damit teuer ausgeführt statt ambulant und günstiger." Das ambulante Behandeln von Leistenbrüchen, Operationen an der Galle und sogar der ambulante Austausch von Hüftgelenken sei in anderen Ländern an der Tagesordnung, Deutschland hänge weit zurück.

Zu Belastungen des Systems führe nach Ansicht der GRW-Ärzte auch der medizinische Fortschritt. "Jedes Jahr kommen neue Möglichkeiten und Behandlungsmethoden hinzu, aber alte Leistungen werden nicht aus den Katalogen der Krankenkassen herausgenommen - und das, ohne mehr Geld ins System zu schießen. Also: Mit der gleichen Summe müssen Jahr um Jahr mehr Produkte finanziert werden - das kann nicht funktionieren", meint Vorstandsmitglied Tobias von Kügelgen.

Interessenverbände machten aber weiter Druck, den Leistungskatalog aufzublähen Die Deutsche Gesellschaft für Osteologie setzt sich beispielsweise dafür ein, dass Knochendichtemessungen, die derzeit privat bezahlt werden müssen, von den Krankenkassen übernommen werden sollen. "Eine Untersuchung kostet rund 50 Euro - da kann man sich leicht ausmalen, welche Lawine auf die Kassen zurollen würde, wenn plötzlich Hunderttausende auf einer derartigen Untersuchung bestehen würden", sagt Ute von Hahn.

Die Ärzte scheuen sich vor kritischen Worten gegenüber ihren Patienten und Kunden nicht. "Nicht jede Einzeluntersuchung durch einen Arzt ist immer hundertprozentig notwendig", sagte Ute von Hahn. Das heißt: In der Branche kursierten Zahlen, dass bis zu 60 Prozent aller Arztbesuche überflüssig seien. Die Medizinerin: "Doch einfach wegschicken können wir die Menschen ja nicht, denn bei unterlassenen Untersuchungen droht Schadenersatz."

Insbesondere einzelne, unorganisierte Ärzte müssten Druck aus vielen Richtungen aushalten, wie GRW-Netzmanagerin Gabriele Prahl berichtet. "Krankenhäuser versuchen oft, Untersuchungen und damit Kosten auf die niedergelassenen Ärzte abzuwälzen. Da werden beispielsweise kurz vor der Operation eines Patienten aktuelle Laborwerte gefordert, die eigentlich von der Klinik erstellt werden müssten. Der Hausarzt macht mit, beugt sich der Forderung, obwohl es gegen die Vorschriften ist, nur, um den Operationstermin des Patienten nicht zu gefährden.

Eine derartige Situation hält Gabriele Prahl für einen von vielen guten Gründen, sich zu Netzen zusammenzuschließen: "Als mir von mehreren Ärzten unabhängig voneinander dieser Versuch einer Klinik berichtet wurde, habe ich Kontakt aufgenommen und erklärt, dass sich alle 60 Ärzte des Netzes dieses Verhalten nicht gefallen lassen werden - das Krankenhaus änderte daraufhin seine Praktiken."

Ein gemeinsames Auftreten war im Jahr 2000 der Anlass, das GRW ins Leben zu rufen. Der damalige Gesundheitsminister Seehofer hatte mit der Auflösung der kassenärztlichen Vereinigungen gedroht, sodass die Mediziner in Wedel und Umgebung befürchteten, Vertragsverhandlungen Krankenkassen individuell und mutterseelenallein durchstehen zu müssen.

Seehofers Plan platzte zwar, doch als Netz wurden dann Sonderverträge mit einzelnen Kassen beispielsweise über die Behandlung von Herzkrankheiten oder Asthma inklusive einer integrierten Versorgung gemeinsam mit den Kliniken abgeschlossen. Doppeluntersuchungen konnten so vermieden und das gesparte Geld für zusätzliche Leistungen eingesetzt werden.

Erheblich zur Entlastung des Systems und zum Wohl des Patienten tragen zudem die gemeinsamen Behandlungspfade bei, die von den Medizinern entwickelt wurden. Dieses Qualitätsmanagement ermöglicht, dass jeder Haus- und Facharzt im Netz verlässlich weiß, wie jeder einzelne beim Auftreten bestimmter Symptome vorgeht, sodass unnötige Doppeluntersuchungen wegfallen. Dokumentiert wurde das zu Anfang alles im "GRW-Patientenpass", einem Vorläufer der elektronischen Patientenakte.

Ein weiterer Baustein in der GRW-Arbeit sind gemeinsame Fortbildungen. "Zusammen können auch teurere Referenten finanziert oder Sponsoren leichter geworben werden. Das Plus an Fachwissen kommt wiederum den Patienten zu Gute", so Ute von Hahn.

Und was wünscht sich die Netzvorsitzende zum zehnjährigen Geburtstag? "Von Seiten der Politik Planungssicherheit", sagte sie, "und unseren Patienten wünschen wir gute Besserung!"