Das Kind im Blick

"Heimkind Heinz B. erinnert sich: Ich habe vor Hunger oft Tierfutter gegessen", PZ vom 22. Februar

Mit Horst Hager habe ich lange Jahre im Kinderheim, dem späteren Jugendhilfezentrum der Awo, zusammen gearbeitet. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe passen nicht zusammen mit dem Bild, welches ich von ihm gewonnen habe.

Horst Hager hat sich für die Rechte und das Wohlergehen von Kindern engagiert, mit seiner ganzen Person hat er sich auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt, in der Einrichtung, im Verband, im Gemeinwesen und in der Landespolitik. Seine besondere Aufmerksamkeit galt den Kindern, deren Entwicklung von Zuwendungsdefiziten und traumatischen Schicksalsschlägen geprägt wurden. "Freiwillige Erziehungshilfe" hieß die Grundlage für die Heimeinweisung, aber die wenigsten waren freiwillig im Heim. Mit mehr oder weniger starkem Druck wurden sie eingewiesen, und mit Versprechungen von Seiten der Eltern, die nicht eingehalten werden konnten, zum Bleiben überredet. Im Herzen eine tiefe Sehnsucht nach einer intakten Familie und einem besseren Leben. Für sich selber haben sie Überlebensstrategien entwickelt, die sie immer wieder in Konflikte mit ihrer Umwelt brachten. Das Heim für diese Kinder zu einem lebenswerten Ort zu gestalten und sie damit empfänglich für neue Erfahrungen und Lernprozesse zu machen, stellte für ihn die große Herausforderung dar, der er sich immer wieder aufs Neue stellte. Ihm war von Anbeginn klar, dass die Annäherung an dieses ehrgeizige Ziel nur durch interdisziplinäre Teamarbeit zu erreichen ist. Die Arbeit der Gruppenpädagogen wurde unterstützt durch psychologische, psychiatrische und logopädische Fachkompetenz.

Das Heim muss als lebendige Institution erfahrbar werden, nur dann können sich die Kinder und Jugendlichen auf es einlassen, war eine weitere Prämisse des Heimleiters Horst Hager. Also förderte er gemeinsame Veranstaltungen, Fußballturniere, Feiern, Ferienreisen, an denen er auch selbst teilgenommen hat. Von seinen Mitarbeiterinnen forderte er unter anderem verantwortungsvolles Handeln, Zuverlässigkeit beim Einhalten von Regeln, Kreativität bei der Umsetzung des Erziehungsauftrages, Einfühlungsvermögen im Umgang mit Kindern in Krisensituationen. Trotz aller Bemühungen musste er die Erfahrung machen, dass Heimerziehung scheitern kann und die Erziehungsziele nicht erreicht werden. Diese Tatsache hat ihn bewegt und betrübt. Welche Fehler haben wir gemacht, wie können wir sie abstellen, woran mangelt es, war die eine Richtung seines Nachdenkens, die andere war struktureller Natur. Er entwickelte die Idee einer aktiven Erziehungsberatung gekoppelt mit Gemeinwesenarbeit, Schularbeitengruppen und heilpädagogischer Tagesbetreuung angesiedelt als sogenannter Sozialbrennpunkt mit dem Ziel Hilfebedarf früh zu erkennen, Hilfen einzuleiten und Eltern in schwierigen Lebenslagen zu unterstützen, um eine Heimunterbringung zu vermeiden. Es ist ihm gelungen, diesen Ansatz im Rahmen eines Modellversuches zu realisieren, lange bevor das neue Jugendhilferecht in Kraft getreten war.

Worauf es mir ankommt: Ich habe Horst Hager als einen engagierten Heimerzieher kennengelernt, der alles für eine erfolgreiche Verselbstständigung der Kinder und Jugendlichen getan hat. Ich habe ihn auch als einen Jugendpolitiker erlebt, der richtungsweisend an der Modernisierung der Jugendhilfe mitwirkte.

Hartwig Endruweit per E-Mail

Demokratischer Stil

"Ins neue Heim kehrte der Geist der anti-autoritäten Erziehung ein", PZ vom 23. Februar

Der Artikel ist dazu angetan Erschrecken über die journalistische Sorgfaltspflicht und Qualität der "Pinneberger Zeitung" bei mir auszulösen. Dennoch möchte ich mich mit den Fragen aus eigener Kenntnis auseinandersetzen und mit Hintergrundinformationen zu einer den Tatsachen entsprechenden Darstellung der Arbeit in der Einrichtung an der Aschooptwiete 23 beitragen.

Zu meiner Person, ich habe als Sozialpädagoge und Gruppenpädagoge in der Einrichtung vom 1. Juli 1973 bis zum 30. September 1980 gearbeitet. Vorher war ich im Kinderheim Waldenau der Jugendbehörde Hamburg beschäftigt und bin wegen des überzeugenden Konzepts des Awo-Heims nach Pinneberg gewechselt.

Während der Wechsel zu einer neuen Ausrichtung der Heimerziehung in den Hamburger Einrichtungen nur nach und nach realisiert werden konnte, im Kinderheim Waldenau gab es noch Gruppen mit 16 Kindern und Jugendlichen in einem Schlafraum und zwei Fachkräften im Schichtdienst, war das Awo-Heim pro Gruppenhaus mit acht bis neun Kindern und Jugendlichen sowie vier Fachkräften im Schichtdienst ausgestattet.

Dies waren Konsequenzen aus der Reformdebatte in der Heimerziehung in den 70er-Jahren, die sich langsam aus der obrigkeitsstaatlichen "vormundschaftlichen Fürsorgeerziehung" zu lösen begann, die in der Tat mehr durch "Zwang, Anpassung" meinte, die betroffenen Kinder und Jugendlichen auf den "rechten Weg" bringen zu können.

In der Überzeugung, dass dies ein untaugliches Mittel war zu einer emanzipatorischen Teilhabe dieser Kinder und Jugendlichen und jungen Erwachsenen an der Gesellschaft beizutragen, habe ich bewusst in Pinneberg meinen Dienst aufgenommen.

Dabei sei noch festgehalten, dass in der Einrichtung teilweise erheblich belastete Kinder und Jugendliche und junge Erwachsene lebten, deren Vertrauen zu erwerben nicht leicht gelang und die Belastbarkeit der dort tätigen Erwachsenen als zuverlässige Ansprechpartner wurde mehr als ausgiebig ausgetestet.

Im Awo-Heim herrschte ein Konzept vor, das auf Verselbstständigung und Emanzipation der Bewohner abzielte, sie an Entscheidungen in Einzel- und Gruppengesprächen beteiligte. Zur Qualifizierung der Mitarbeiter und Aufarbeitung bestehender Probleme gab es wöchentliche Beratungen mit einem Psychologen, Fallgespräche unter Hinzuziehung eines Jugendpsychiaters und, soweit nötig und von den Betroffenen gewünscht, gezielte Einzelfallgespräche für die Kinder beim Psychologen. Intensiv führten wir Elternwochenenden durch und hatten ständig Kontakt zu den Schulen und arbeiteten in den Elternbeiräten mit.

Wie Sie, Frau Eicke-Diekmann, zu einer derartigen Einschätzung der damaligen Arbeit gelangen konnten, kann ich aus eigener Sachkenntnis nicht nachvollziehen und bin zutiefst betroffen wie leichtfertig und tendenziös Sie die Arbeit von Herrn Hager und damit auch meine damalige Arbeit bewerten, besser abwerten.

Dies Konzept war auf Emanzipation und Entwicklung der uns anvertrauten Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch einen "demokratischen" Erziehungsstil ausgerichtet und wurde unter der Leitung des Heimleiters Horst Hager umgesetzt, dabei wurde durchaus auch kontrovers gestritten. Ziel war immer eine bessere Heimerziehung. Dafür stand Horst Hager als Heimleiter, dafür hat er gearbeitet. Die Vorwürfe gegen Herrn Hager empfinde ich als ehrenrührig.

Eine "Knastzelle gab es im Awo-Heim nicht. Vielmehr war hier eine Jugendschutzstelle, in der von der Polizei aufgegriffene Jugendliche nachts vorübergehend untergebracht wurden. Dies geschah stellvertretend für das Kreisjugendamt und dies wurde auch durch den Heimleiter kritisch gesehen. Aber es entsprach der geltenden Rechtslage.

Eine befriedigende Regelung der Inobhutnahme durch das Jugendamt nach § 42 SGB VIII erfolgte leider erst, nachdem das neue Kinder- und Jugendhilferecht in Kraft trat. Dabei konnte ich, nachdem ich zum Jugendamt gewechselt war, als Leiter der Erziehungshilfen beim Kreisjugendamt mitwirken. Seitdem werden Kinder und Jugendliche in Bereitschaftspflegestellen und heute auch im Kinderschutzhaus untergebracht.

Die Überschrift "Ins neue Heim kehrte der Geist der anti-autoritären Erziehung ein" ist unerträglich, denn Sie meinen offensichtlich nicht "anti-autoritär" sondern, wie aus dem Kontext Ihres Artikels zu entnehmen ist, einen "laissez-faire"-Stil, der in der Tat fahrlässig gewesen wäre.

Manfred Warns, Pinneberg

Die Zuschriften geben die Meinung der Einsender wieder. Kürzungen vorbehalten. An die Pinneberger Zeitung , Lindenstraße 30, 25421 Pinneberg E-Mail: pz@abendblatt.de