Parteichef spricht über Generationswechsel, Jungsozialisten, Rückbesinnung auf soziale Gerechtigkeit und die Strategie für die Landratswahl.

Die SPD hat derzeit auf allen Ebenen schwer zu kämpfen, die Wahlergebnisse vom September dieses Jahres sprechen für sich: 31,8 Prozent im Kreis bei den Bundestagswahlen, sogar nur 25,6 Prozent bei den Landtagswahlen. Verluste im zweistelligen Bereich, der SPD laufen die Wähler weg - ist die SPD noch zu retten? Die Pinneberger Zeitung sprach mit dem SPD-Kreisvorsitzenden Hans-Helmut Birke (70) über Politik, Fehler, Perspektiven, Mitgliederentwicklung und die neue Generation der Sozialdemokraten auf Kreisebene. Weitere Themen: die Positionierung der Genossen bei den anstehenden Bürgermeisterwahlen in Quickborn und Wedel sowie bei der Landratswahl im nächsten Jahr.

Pinneberger Zeitung: Herr Birke, bei der Bundes-SPD hat es einen Generationswechsel an der Führungsspitze gegeben, auch inhaltlich gibt es künftig andere Gewichtungen. Trotzdem rutscht Ihre Partei immer tiefer in den Umfragen ab. Was können Sie vor Ort tun, um diesen Trend aufzuhalten?

Hans-Helmut Birke: Die SPD muss versuchen, mit eigenen Positionen Souveränität zurückzugewinnen. Die Zeiten, in denen wir gehalten waren, Koalitionskompromisse politisch vertreten zu müssen, sind ein für alle Mal vorbei.

Pinneberger Zeitung: Was heißt das?

Birke: In Großen Koalitionen können wir als Juniorpartner nur verlieren.

Pinneberger Zeitung: Wo hat die SPD Vertrauen verloren?

Birke: Während der letzten Koalitionsphasen, in denen die SPD in Verantwortung stand, haben gewaltige gesellschaftliche Umbrüche stattgefunden. Die Folgen zunehmender Globalisierung wie etwa Verlust von Arbeitsplätzen haben dazu geführt, dass eine starke Verunsicherung über die eigene Zukunft um sich gegriffen hat. Angst-Symptome traten auf, und viele unserer Wähler hatten offenbar das Gefühl, die SPD kümmere sich nicht mehr genug um ihre Belange.

Pinneberger Zeitung: Wurde Hartz IV zum Bumerang für die SPD?

Birke: Diese Debatte auf Hartz IV zu verkürzen, wäre verkehrt. Nach wie vor stehe ich dazu, dass der Grundsatz fördern und fordern richtig ist. Ziel muss es sein, Menschen in Arbeit zu bringen, natürlich haben wir hier dabei besonders den Kreis Pinneberg im Fokus. Wir dürfen keine Politik betreiben, die dazu führt, dass Menschen ihre Lebensführung dauerhaft über Leistungen aus Hartz IV finanzieren. Wer darauf angewiesen ist, soll diese Leistungen selbstverständlich erhalten. Aber es muss begrenzt sein.

Pinneberger Zeitung: Das sagen andere Parteien auch. Was macht den Unterschied zu den anderen aus?

Birke: Die soziale Gerechtigkeit. Sie ist die politische Existenzberechtigung der SPD. Die Sozialdemokraten müssen den Menschen unter den veränderten ökonomischen und sozialen Bedingungen glaubhaft machen, dass nur sie weiterhin für soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft stehen.

Pinneberger Zeitung: Sie haben die Landtagswahl mit Pauken und Trompeten verloren. Viele Beobachter, aber auch innerparteiliche Kritiker sehen im damaligen Spitzenkandidaten und Landesvorsitzenden Ralf Stegner aufgrund seiner Polarisierungen eine Hauptursache der Niederlage.

Birke: Diese Ursache ist falsch. Ralf Stegner hat unsere volle Unterstützung, weil er sowohl zu Regierungszeiten als auch als Landesvorsitzender und Oppositionsführer unverwechselbare und deutlich sozialdemokratische Positionen vertreten hat und vertritt. Wir haben in Schleswig-Holstein keinen Besseren.

Pinneberger Zeitung: Haben sich die politischen Nackenschläge der jüngsten Vergangenheit negativ auf die Mitgliederzahlen der SPD ausgewirkt?

Birke: Nein, wir haben derzeit 1812 Mitglieder. Sehr erfreulich ist, dass wir seit dem 1. September 2009 29 neue Mitglieder gewonnen haben, drei Gastmitglieder und interessanterweise 13 junge Leute, die bei den Jusos fest, aber als sogenannte Nichtmitglieder mitarbeiten. Im Übrigen haben sich zwei neue Juso-Ortsgruppen in Wedel und Pinneberg gegründet, in Elmshorn, Schenefeld/Halstenbek bestehen sie schon. Und in Quickborn und Uetersen scheint, auch aufgrund des Engagements von Juso-Kreischef Cornelius Samtleben, etwas im Entstehen zu sein.

Pinneberger Zeitung: Trotzdem bleibt der Eindruck, dass jüngere Sozialdemokraten es nicht bis in die Führungsgremien der Parteien und Fraktionen schaffen. Im Kreisverband und im Kreistag beispielsweise sitzt der Genosse Birke, mittlerweile 70 Jahre alt, seit Jahren unangefochten an der Spitze.

Birke: Soll ich, nur weil ich 70 bin, freiwillig aufhören? Nein, jung an sich kann kein Kriterium für eine Führungsposition sein. Im Übrigen binden wir im Kreistag seit mehreren Jahren junge Leute wie etwa Nicolai Overbeck, Hendryk Zeuschner oder Ole Korff ein in Partei und Ämter und bauen sie auf. Wir haben mittlerweile fünf Mitglieder in der SPD-Kreistagsfraktion unter 30 Jahren, zwei andere stoßen jetzt mit 18 Jahren als stellvertretende Ausschussmitglieder zur Fraktion.

Pinneberger Zeitung: Nicolai Overbeck wird von manchen, auch anderen Fraktionen, schon als Ihr Nachfolger an der Spitze der Fraktion gehandelt.

Birke: Nicolai Overbeck ist gerade fertig geworden mit seinem Studium und muss sich erst einmal beruflich etablieren. Ich halte nichts von Funktionärskarrieren ohne Berufs- und Lebenserfahrung. Im Übrigen haben wir genug gestandene Leute in der Fraktion.

Pinneberger Zeitung: Beispielsweise Hans-Peter Stahl?

Birke: Richtig. Unter anderen.

Pinneberger Zeitung: Die Juso-Landesvorsitzende und Juristin Anne-Christin Heinrich kommt aus Uetersen. Warum sehen wir sie noch nicht auf Kreisebene?

Birke: Sie lebte bis vor Kurzem noch in Kiel und wird jetzt gezielt in Uetersen aktiv, um junge Leute für die Jungsozialisten zu gewinnen. Das ist doch toll, zumal sie das neben ihrer beruflichen Einbindung hinbekommt.

Pinneberger Zeitung: Mit SPD-Politikerinnen als Bürgermeisterinnen haben Sie schon einige Erfolge feiern können. In Quickborn haben Sie jetzt mit der Unterstützung einer FDP-Bewerberin bei der anstehenden Bürgermeisterwahl einen Coup gelandet.

Birke: Ja, da staunen Sie. Aber die Quickborner Sozialdemokraten haben das allein entschieden, wir helfen nur, wo wir können.

Pinneberger Zeitung: In Wedel wird im Mai gewählt.

Birke: Auch dort entscheidet die örtliche SPD, ob sie einen Bewerber aufstellt.

Pinneberger Zeitung: Niels Schmidt scheint recht gut bei allen anzukommen.

Birke: Möglich. Dazu kann ich nichts sagen.

Pinneberger Zeitung: Der Kreistag ist einhellig für eine Ausschreibung der Landratsstelle. CDU und FDP haben die Mehrheit im Kreistag - wie wird sich die SPD bei der Wahl verhalten?

Birke: Für uns Sozialdemokraten ist klar, dass eine Alternative zum amtierenden Landrat Wolfgang Grimme gefunden werden muss. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin, ausgestattet mit Führungserfahrung, Verwaltungskompetenz und selbstverständlich einem Selbstverständnis als Dienstleister des politischen Ehrenamtes, sollte mit möglichst breiter Mehrheit gewählt werden.

Pinneberger Zeitung: Wählen Sie auch einen Christdemokraten zum Landrat?

Birke: Ich kann nur sagen, dass bei der Auswahl der Kandidaten für die SPD deren fachliche Qualitäten und nicht ein SPD-Parteibuch eine Rolle spielen.