Theaterpädagogen klären Lehrer und Eltern auf und trainieren mit Dritt- und Viertklässlern aus Haseldorf-Hetlingen.

Haseldorf. Auf diese Unterrichtsstunde haben sich die Jungen und Mädchen gefreut. Sie laufen mit strahlenden Gesichtern in den Klassenraum, suchen sich schnell ihre Plätze und sind sofort dabei. Als die junge Frau vorn die erste Frage stellt, sind viele Hände oben. Fast alle wollen erzählen, was sie beim vorigen Mal gelernt haben - und dabei geht es um ein ernstes Thema: sexuellen Missbrauch.

"Wir Erwachsenen haben sofort grausige Bilder im Kopf. Die Kinder gehen viel unbefangener an das Thema heran", sagt Lehrerin Jutta Rietzschel. Für diesen leichten Umgang sorgen bei dem Projekt an der Grundschule Haseldorf-Hetlingen zwei Theaterpädagogen: Dorothee de Place und Andreas Puls. Die beiden Schauspieler haben schnell zu den Kindern Vertrauen aufgebaut. Sie haben eine gemeinsame Sprache gefunden, in der alle die Dinge, die für die Sexualität und Gefühle unseres Körpers eine Rolle spielen, einen Namen bekommen. Sie haben mit harmlosen Themen, wie Schmerzen beim Haarbürsten, geübt, dass Kinder "Nein" sagen dürfen. Und sie haben so den Kindern Mut gemacht, sowohl Fremden als auch Menschen aus der eigenen Familie und dem Bekanntenkreis zu signalisieren: Stopp, mein Körper gehört mir!

Die Jungen und Mädchen lernen, dass sie sich in Situationen, in denen sie sich unsicher fühlen, immer drei Fragen stellen müssen: Habe ich ein Nein- oder Ja-Gefühl? Weiß jemand, wo ich bin? Bekomme ich Hilfe, wenn ich welche benötige? Theaterpädagogin Dorothee: "Wenn du nur einmal mit Nein antworten musst, dann sag auch Nein und erzähl es einem Vertrauten."

Die Jungen und Mädchen haben noch eine Erfahrung gemacht: Nur der Täter ist schuld. Das Opfer nie! Diese Erkenntnis ist lebenswichtig. Denn: spontan beantworten mehr als zwei Drittel aller Kinder die Frage, wer schuld ist, wenn sich ein Kind von einem Erwachsenen verführen lässt: das Kind. Es hätte ja nicht mitgehen müssen.

"Dieses Schuldgefühl nutzen viele Täter aus", erklärt Theaterpädagoge Andreas. Besonders beim Missbrauch im Familien- und Bekanntenkreis werde das Kind unter Druck gesetzt, dass es von den Eltern bestraft werde, wenn es etwas verrate.

Um diesem Druck vorzubeugen, lernen die Kinder: Es gibt gute und schlechte Geheimnisse. Die Theaterpädagogin sagt: "Geheimnisse, die Bauchweh machen, müsst ihr jemandem erzählen, dem ihr vertraut."

Solche Vertrauenspersonen können Eltern und Lehrer sein, aber auch Mitarbeiter des Vereins Dunkelziffer, der dieses Projekt organisierte. Etwa 1300 Euro kostet das Programm für die drei Übungseinheiten mit je zwei dritten und vierten Klassen sowie der Elternabend und die Schulung der Lehrer. Das Gute: Keine Familie musste einen Cent dazuzahlen, denn der Landesrat für Kriminalitätsverhütung, die Raiffeisenbank, der "azv Südholstein" und die Schulvereine bezahlten. Gut angelegtes Geld für starke Kinder!

www.dunkelziffer.de