Vor 60 Jahren: Als eine Bahn die Brücke am Schlump passiert hatte, sackte ein Pfeiler ab. Der Pinneberger eilte zum Bahnsteig und ließ die Züge stoppen.

Hasloh/Hamburg. Für einen Augenblick war er ein Held. Eine Brücke drohte einzustürzen. In letzter Minute stoppte Augenzeuge Erwin Bockholt vor 60 Jahren in Hamburg eine U-Bahn und rettete mit seinem beherzten Einsatz wohl Hunderten Menschen das Leben. Heute lebt der gebürtige Pinneberger, der in dieser Woche seinen 87. Geburtstag feierte, in einem Altenheim in Hasloh. Für das Hamburger Abendblatt, das er seitdem liest, erinnerte sich der Ruheständler an jenen Dienstagabend des 8. Februar 1949, der sein Leben veränderte.

"Ich stand an der Bundesstraße Höhe Moorkamp an der Straßenbahn-Haltestelle. Auf der Moorkampbrücke waren sich gerade zwei Züge begegnet. Plötzlich hörte ich ein lautes Krachen", erinnert sich Bockholt, der damals 26 Jahre jung war. Sofort rannte er zur Brücke und erkannte, dass diese um etwa einen Meter abgesackt war. Steine und Betonklötze des Pfeilers waren auf die Straße gestürzt, Schienengleise hatten sich aus der Verankerung gelöst und ragten in die Luft. Ein Zug wäre mit Sicherheit entgleist.

Bockholt fackelte nicht lange und rannte sofort zum Bahnhof Schlump. Dort müsste unbedingt die nächste U-Bahn angehalten werden, die in sieben Minuten kommen würde, schoss es dem gelernten Schlosser in den Kopf, der damals mit seinem Bruder Willy in Eimsbüttel bei seiner Tante Minna wohnte. Völlig außer Atem nach dem 800-Meter- Sprint berichtete Bockholt dem Fahrdienstleiter am Schlump von der beschädigten Moorkampbrücke. Dieser reagierte sofort und ließ den nächsten Zug stoppen. Auch in der Gegenrichtung konnte der Zug an der Hoheluftbrücke angehalten werden.

Jetzt zeigte sich das ganze Ausmaß des Schadens: Ein Lager des Brückenpfeilers hatte sich gelöst, zwei Kubikmeter Steine und Beton lagen auf der Straße. "Unweigerlich wäre der nächste über die Brücke fahrende Zug gegen die Bruchstelle gerast", wird ein Fachmann der Hochbahn am Tag darauf in der Zeitung zitiert. Auch wenn die Brücke das ausgehalten hätte - "die Wagen hätten sich ineinander geschoben".

Nicht nur für das Hamburger Abendblatt war Bockholt "der Held des Tages". Der Direktor der Hochbahn lud ihn gleich für den nächsten Tag in sein Büro ein, bedankte sich für sein geistesgegenwärtiges Verhalten und bot ihm eine Stelle als Werkzeugmacher an. Bockholt, der das alles noch gar nicht fassen konnte und von einer Zeitungsredaktion zur nächsten gelotst wurde, nahm sofort an. "Acht Jahre war ich dort. Das war eine gut bezahlte Stelle." Die Berufsgenossenschaft und die Haftpflichtversicherung der Straßen- und Kleinbahnen bedankten sich mit 1500 D-Mark. Geld, das Bockholt gut gebrauchen konnte. Im April 1949 heiratete er seine Lissi, mit der er 60 Jahre verheiratet ist und in Hasloh wohnt. Möbel und Kücheneinrichtung ihrer ersten Wohnung stellte auch die dankbare Hochbahn. Der Polizeipräsident schrieb: "Durch Ihre Initiative haben Sie vielen Menschen Leben und Gesundheit gerettet". Auch aus der Bevölkerung erreichten ihn viele Danksagungen, wie die von Regina Holthmann, die in einem der angehaltenen Züge saß. "Ich muss unbedingt meinem Lebensretter danken."

Bockholt nahm diese Anteilnahme bescheiden hin. "Das war der glücklichste Tag in meinem Leben."