An Bord ist soziale Kompetenz gefragt, das merken Schüler auf den Törns ebenso wie angehende Führungskräfte.

Wedel. Wenn in Schipper-Kreisen von "Roter Sand" geschnackt wird, dann denkt der deutsche Durchschnittskapitän erst einmal an 53 Grad 51 Minuten 18 Sekunden Nord und 8 Grad 4 Minuten 54 Sekunden Ost. (Für Landratten: Das ist der legendäre Leuchtturm in der Außenweser). Doch auch im Hamburger Yachthafen liegt ein Objekt gleichen Namens, das nicht minder interessant ist: Der Zweimaster "Roter Sand" - eine Gaffel-Ketsch mit spannender Geschichte.

Und Bernhard Pelzer kann sie erzählen, denn der Unternehmensberater hat das Schiff einst gerettet - und sie einem Verein übertragen, der "zur Förderung des traditionellen Segelns im Team" gegründet wurde. Familien, aber auch Schulklassen und Kindergartengruppen sollen kennen lernen, wie manchmal vielleicht hart und anstrengend. aber auch irgendwie traumhaft schön die vergangenen Zeiten unter Segeln waren.

Pelzer berichtet: "Gebaut wurde das Schiff in Bremen-Vegesack. Zeit spielte keine Rolle, je mehr Arbeit anfiel, desto besser." Das Schiff entstand nämlich im Rahmen eines ABM-Projektes - möglichst viele Jugendliche sollten möglichst viele Berufe dabei ausüben können und was immer nur ging, selbst erledigen. So wurden Beschläge nicht einfach gekauft, sondern aus V4A selbst hergestellt. "Wenn man das in der freien Wirtschaft machen wollte, hätte man es nicht bezahlen können."

Der Multiknickspant-Rumpf ist 5,60 Meter breit, hat eine Länge von 27,60 Metern über alles und 1,20 Meter Tiefgang. Er ist so ausgelegt, dass man sowohl leichte Eisfahrten absolvieren, als auch im Watt trocken fallen kann. Pelzer: "Ein tolles Schiff!" Doch vor der Pleite bewahrte es die Werft nicht. Und so kam Segel-Fan Pelzer an die "Roter Sand". "Es war schon in Gefahr, als schwimmender Schrebergarten zu verkommen. Mitbieter hatten im Kopf, durch den späteren Verkauf von Rigg und Maschine den Kauf zu finanzieren."

Doch sie hatten die Rechnung ohne Bernhard Pelzer gemacht. Er kaufte das Schiff - über die Summe schweigt er - ließ es instand setzen und übergab es zur Nutzung dem Verein. Kapitäne, die freiwillig die Schiffsführung übernehmen, gibt es genügend - und Familien, die sich für diese etwas andere Art von Urlaub interessieren, auch.

Eine Vorbildung ist nicht erforderlich. Die Passagiere erfahren alles, was an Bord notwendig ist. Sie lernen nicht allein, wie man mit seiner Hände Arbeit die rund 200 Quadratmeter Segel die Masten hoch wuchtet, wie man Knoten knüpft, im Wattenmeer navigiert, Wind und Wellen liest und Wasser und Wetter trotzt. Sondern sie erfahren auch, was eine Crew ausmacht, wie Individuen zu einer Mannschaft werden und wie wichtig und schön es ist, für andere da zu sein.

Denn mit Individualismus ist es an Bord nicht weit her. Während eine kleine Stamm-Crew kleine Kajüten hat, teilen sich die Mitsegler einen großen Raum mit kleinen Kojen backbord und steuerbord. Hier spielt sich alles ab - falls einmal Probleme auftauchen, gibt es hier kein Weglaufen, sondern nur eine gemeinsame Lösung.

Auf See trennt sich schnell die Spreu vom Weizen - diese Tatsache macht sich der Unternehmensberater auch zu Nutze, wenn er die "Roter Sand" in ein schwimmendes Assessment-Center für seine Firma verwandelt. Pelzer erzählt von einem Konzern, der aus einer Gruppe von 300 Personen die zehn besten Führungskräfte herausfinden wollte. "Wir haben sie in Gruppen an Bord gebeten. Dann bekamen sie ein Video zu sehen, Titel 'Wie man Segel setzt' - und dann wurden sie an Deck geschickt." Während sich die Möchtegern-Manager mehr oder weniger erfolgreich abmühten, saßen Pelzer und Kollegen daneben und machten Notizen: Wer arbeitet Team orientiert? Wer pusselt so vor sich hin? Wer verdrückt sich? Wer spielt gleich den großen Admiral? Wer motiviert seine Kameraden, an bestimmten Stricken in die gleiche Richtung zu ziehen? "Da kommt klar heraus, ob man eine Persönlichkeit ist, oder sie nur spielt", sagt Pelzer und schmunzelt. "Und so richtig lustig wurde es, als dann das Kommando kam, die Segel auch wieder zu reffen. Da kam Stress auf." So wurde mit "Roter Sand" manche Karriere auf Kurs gebracht - und manche versenkt.