Kirchenmusikerin Elisabeth Müller (46) aus Schenefeld erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ärzte, die sie in ihrer Jugend behandelt haben.

Schenefeld. Elisabeth Müller (46) ist Kirchenmusikerin, betreut in der Schenefelder Stephans-Kirchengemeinde vier Chöre, sorgt für Musik in den Gottesdiensten, bei Hochzeiten und Beerdigungen, gibt Konzerte und macht außerdem als Gesangssolistin von sich reden. Doch wenn Elisabeth Müller als "Frau Müller" angeredet wird, geht ihr das gewaltig gegen den Strich. Der Grund: Trotz ihres weiblichen Erscheinungsbildes ist Müller keine Frau, sondern ein Hermaphrodit - ein Zwitter. Als Hermaphroditen werden in Anlehnung an die griechische Mythologie intersexuelle oder zwischengeschlechtliche Menschen bezeichnet.

"Am liebsten ist mir ein Verzicht auf die gewöhnliche Geschlechtszuordnung bei der Anrede", sagt Müller. Mit "Hermaphrodit Müller" oder einfach "Elisabeth Müller" wäre eine angemessene Form gefunden. Doch eben weil die äußere Form auf eine Frau schließen lässt, nimmt Elisabeth Müller häufig die falsche Anrede hin. Je nach Situation ist sie aber auch gern bereit, bei den Mitmenschen Aufklärungsarbeit zu leisten.

Dazu gab es kürzlich wieder bei einem Beerdigungstermin Gelegenheit. Als Müller aus ihrem kleinen Smart stieg, begrüßte sie der Trauerredner mit den Worten: "So eine schöne große Frau, und dann so ein so kleines Auto." " Danke für das Kompliment, aber Frau ist falsch", korrigierte Müller und erläuterte kurz den Hintergrund ihrer Bemerkung. Die Reaktion war erst Sprachlosigkeit, dann Verständnis.

Im Alltag erlebt Elisabeth Müller selten Diskriminierungen, wenn sie auf ihre besondere Geschlechterrolle hinweist. "Doch einmal hat mich eine katholische Ärztin richtig angepampt. Sie behauptete, es gäbe keine Zwitter. Wichtig sei es, Kinder zu ordentlichen Männern und Frauen zu erziehen." Erschreckend findet es Elsabeth Müller, dass solche abwegigen Äußerungen vor allem von einer Medizinerin kommen, die es besser wissen müsste.

Der Ärzteschaft macht Müller im Umgang mit intersexuellen Menschen schwere Vorwürfe. Das gilt auch für ihr persönliches Schicksal: "Ich wurde belogen, zwangsoperiert und verstümmelt." Nach der Geburt war bei Elisabeth Müller festgestellt worden, dass sie trotz der auf den ersten Blick weiblichen Geschlechtsmerkmale auch über männliche XY-Chromosomen verfügte. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr wuchs Müller in einem kleinen Dorf in Norddeutschland auf - als Mädchen. "Doch schon in der Kindheit spürte ich, dass etwas anders war. Dass es ein absolutes Tabu gab, über das ich mit meinen Eltern nicht reden konnte." Trotzdem gab es auch kleine amouröse Kontakte zu Jungen in der Landjugend. "Die fanden mich geil, und ich war auch stolz darauf." Doch wenn sich engere Kontakte abzuzeichnen schienen, zog sich Elisabeth zurück. Denn ihr Körper veränderte sich nicht wie bei anderen Mädchen. Zwar wuchs ihr eine weibliche Brust, doch es gab keine Menstruation.

Einmal im Jahr musste Müller zur Untersuchung in das Hamburger Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE). "Das habe ich wie eine Vergewaltigung empfunden." Worum es ging, sagte ihr niemand. Erst mit 16 Jahren klärte ein Psychologe das vermeintliche junge Mädchen über dessen Intersexualität auf. Diese bestand in einer kompletten Androgenresistenz. Trotz männlicher Geschlechtshormone konnte der Körper nicht "vermännlichen". Daher das weibliche Erscheinungsbild.

Für Müller gab es mit 24 Jahren einen Eingriff, der Leben und Gesundheit radikal veränderte. Die Ärzte drängten Elisabeth, sich die "abgestiegenen Hoden" entfernen zu lassen. Wegen angeblich drohender höchster Krebsgefahr willigte Müller in die Kastration ein. Die Folgen der Operation und die anschließende Behandlung mit körperfremden weiblichen Hormonen waren schwerwiegend. "Ich bekam Östrogen. Das führte zu Osteoporose, starker Gewichtszunahme, Blutarmut und schweren Depressionen", sagt Müller.

Inzwischen ist die Situation umgekehrt: Elisabeth Müller nimmt Testosteron, also männliche Sexualhormone, ein, welche ihr Körper vor der Kastration selbst produziert hatte. Damit konnte die Osteoporose deutlich verringert werden, und auch seelisch geht es Müller wieder besser. Seit 15 Jahren sorgt Elisabeth Müller in der Kirchengemeinde für den guten Ton. Noch etwas länger ist sie mit ihrem Lebensgefährten zusammen. "Ein ganz normaler Mann, der auch bei uns ehrenamtlich in der Kirchenarbeit tätig ist", sagt Müller stolz. Vor sieben Jahren "outete" sich Elisabeth gegenüber ihrer Kirche und stieß ausnahmslos auf Mitgefühl und Verständnis. "Das ist wirklich eine ganz tolle Gemeinde hier", sagt Elisabeth Müller.