Die Ganztagsschule soll im Laufe der kommenden zwölf Jahre in Deutschland zum Normalfall werden. Damit will man nachholen, was in anderen Ländern Europas selbstverständlich ist. Dabei sei die Frage erlaubt, ob die politisch Verantwortlichen übersehen haben, dass Deutschland das Land mit einer Vereinslandschaft ist, wie sie größer, vielseitiger, traditioneller und einzigartiger nicht sein kann?

Hat man vergessen, dass es gerade die Sportvereine sind, die organisierte und präventive Kinder- und Jugendarbeit leisten? Durch diese politische Entscheidung erwarten wir auf dem Gebiet des Kindersportbereiches in der nächsten Zeit einen "Verdrängungsprozess", wie wir ihn im Sport wohl bisher noch nicht erlebt haben.

Wenn Schulen und Vereine nunmehr in diesem Bereich auf dieselben Ressourcen zurückgreifen - seien es die Turnhallen und Sportplätze, seien es die Sportlehrer, Übungsleiter oder Trainer, seien es die Kinder -, wird das zu großen Veränderungen in der Sportvereinslandschaft führen. Das Einschulungsalter ist herabgesetzt worden, die Schulzeit verkürzt, aber die Rahmenlehrpläne belassen (G8). Somit hat sich der Schulalltag für Kinder verlängert und den gesamten Alltag verändert. Unbestritten bietet der Sport für Kinder und Jugendliche vielfältige und unverzichtbare Möglichkeiten ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Bildung. Der Zugang zum Sport wird im Kinder- und Jugendalter geprägt. Hier bieten gerade die Sportvereine bekannterweise geeignete Bewegungsangebote für diese Altersgruppe an, zunehmend als gemeinsames Angebot für Eltern und Kind.

Zusätzlich wichtige Elemente sind dabei ein guter Sportunterricht, eine bewegungsfreudige und sportorientierte Schule, gesundheitsförderlicher Schulsport sowie dann aber auch Schulen und Sportvereine als Partner. Ganztagsangebote können nunmehr auch eine Chance bieten, dass möglichst jedes Kind und jeder Jugendliche seine sportlichen und motorischen Fähigkeiten entdecken, erfahren und entfalten kann. Komischerweise herrscht in den Schulen oftmals Aufregung nur, wenn Mathe, Deutsch oder Fremdsprachen ausfallen. Aber wer regt sich schon über ausgefallenen Sportunterricht auf? Die Mütter, die auf ihre regelmäßigen Fitness-Stunden pochen und die Väter, die für den Marathon trainieren, sollten ihre Töchter und Söhne zu mehr Bewegung anhalten und deutlich nachfragen, wie es um den Schulsport ihrer Kinder steht.

Sportunterricht ist immer noch bei vielen ein unwichtiges Fach. Kernfächer sind wichtig - Musik, Kunst und Sport können vernachlässigt werden - das ist ein Standpunkt, den viele Eltern gerade jetzt wieder einnehmen, wo Bildungshysterie Ängste auslöst.

Die Entwicklung der Ganztagsschulen kann also insgesamt zur Folge haben, dass die Kinder kaum oder gar keinen Sport im Verein mehr machen können. Aber auch das gesamte sonstige Freizeitverhalten unserer Kinder wird sich ändern. Darunter werden auch andere auf dem Markt befindliche Freizeitanbieter sich einstellen müssen und - wie Sportvereine - entsprechende existenzielle Sorgen bekommen.

Die Aufgabe der Politik ist vorgegeben: Sie muss einen Rahmen setzen, in dem sich alle Akteure wiederfinden. Hier vor allen Dingen ein Rahmen für die Kinder (frei nach Grönemeyer) "Gebt den Kindern ihre Freizeit!"

In den nächsten zwei bis drei Jahren müssen auf gleiche Augenhöhe individuelle Lösungen für die jeweilige Situation vor Ort abgestimmt werden. Hierbei spielt die Eigenverantwortung aller Beteiligten eine wichtige Rolle. Dieser Rahmen muss gerade auch im Hinblick auf die Finanzierbarkeit und die eigenständige Position der Jugendarbeit in den Sportvereinengefasst werden.

Sönke-P. Hansen ist Vorstandsmitglied des Landessportverbandes Schleswig-Holstein, stellvertretender Vorsitzender des Kreissportverbandes Pinneberg und Geschäftsführer des VfL Pinneberg.