Die Caspar-Voght-Schule in Rellingen hat den letzten Jahrgang mit Hauptschülern entlassen. Auch Rektor Lindemann verabschiedet sich.

Rellingen. "Ihr seid ein Auslaufmodell", sagte Rektor Manfred Lindemann während der Zeugnisausgabe in der Turnhalle der Caspar-Voght-Schule in Rellingen. "Bitte nehmt es mir nicht krumm, dass ich das so sage", bat er die Absolventen der Klassen 9a und b. Schließlich seien sie der letzte Jahrgang an seiner Schule, die den Hauptschulabschluss nach dem alten Modell gemacht hätten. Die Hauptschulen wurden vor vier Jahren in Schleswig-Holstein zu Regionalschulen zusammengeführt oder in Gemeinschaftsschulen umgewandelt. Bestehende reine Hauptschulklassen laufen aus. Lindemann meinte es solidarisch: "Auch ich bin ein Auslaufmodell." Er wird sich am 20. Juni gemeinsam mit Konrektor Hans-Dieter Hückelheim in den Ruhestand verabschieden. Doch an diesem Tag standen die Hauptschüler im Mittelpunkt.

Das Ende der Schulzeit ist ein großer Einschnitt. "Ich werde alles daran vermissen", sagt Svenja Wittorf. Die Mitschüler, mit denen sie fünf Jahre die Höhen und Tiefen des Schulalltags teilte, den Kunst- und Sportunterricht, den sie so mochte, sogar die Lehrer. "Ich bin hier gern zur Schule gegangen", sagt die 16-Jährige, die erst eine Woche vor den Prüfungen angefangen hat zu lernen und es dennoch auf einen Notendurchschnitt von 2,3 schaffte. Da ist es ein kleiner Trost, dass sie gemeinsam mit ihrer Freundin Jenni Velasco, 15, auf die Berufschule nach Pinneberg geht. Diesen Weg haben auch noch andere Mitschüler gewählt. Lars Kemmer, 15, zum Beispiel. Er hat sich für den technischen Zweig entschieden, seine Freundin Svenja Botner, 16, hat die Fachrichtung Wirtschaft gewählt.

Die Praktiker unter ihnen sind allerdings froh, dass sie ins Berufsleben einsteigen können. "Ich beginne am 1. August eine Ausbildung zum Feinwerktechniker in Ellerbek", sagt der 15 Jahre alte Tom Sauer. Ein Beruf, der bei den Bewerbern eigentlich den mittleren Bildungsabschluss voraussetzt. Doch der Hauptschüler hat sich im Praktikum bewährt. Von vier Bewerbungen bekam er drei Zusagen. Der zielstrebige junge Mann möchte später Ausbilder und Meister werden.

Auch Nadine Jackowiak, 17, ist froh, endlich ihr eigenes Geld zu verdienen. Sie fühlt sich irgendwie frei und erwachsen. Ein wenig Wehmut schwingt dennoch mit. "Der Kontakt zu den meisten Mitschülern wird sich bestimmt verlieren", sagt die 17-Jährige. Bevor sie die Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel beginnt, will sie sich mit ihrem Freund Hendrik Hachmann, der vor einem Jahr in die Klasse kam, an der Ostsee vom Prüfungsstress erholen. Danach steigt auch der 16-Jährige ins Berufsleben ein - als Lackierer. "Ich wollte auf jeden Fall was mit Autos machen", sagt er. Die Wege in die Zukunft sind geebnet: Alexander Klein, 15, beginnt eine Lehre zum Elektroniker. Sebastian Kleinhenz, 16, holt in zwei Jahren seinen Realschulabschluss nach. Niklas Rehmeyer, 15, bereitet sich mit einem berufsbildenden Jahr zur Ausbildung zum Beikoch vor. Er gehört ebenso wie Jasmin Puttkammer zu den fünf Schülern der Klasse mit Förderbedarf. Die 15 Jahre alte Schülerin arbeitet darauf zu, bald ihren Traumberuf ergreifen zu können. "Ich möchte Kindergärtnerin werden", sagt sie. Bei Straßenfesten und Aktionen des Rellinger Turnverein betreut sie jetzt schon ehrenamtlich die Kinder, macht mit ihnen Turnübungen, schminkt sie und bringt sie zum Lachen. Auch das Praktikum in einer Kindertagesstätte hat ihren Wunsch noch verstärkt. Ihre Freundin Melike Varalan träumt indes von einer Zukunft als Krankenschwester.

Die Akzeptanz der Hauptschule in der Gesellschaft tendierte in den vergangenen Jahren gen null. Niemand wählte diese Schule freiwillig für sein Kind. Das spiegelte sich im Rückgang der Schülerzahlen wieder. Das bisherige Schulsystem war von vielen als sozial ungerecht empfunden worden. Viele Pädagogen sind der Meinung, dass Kinder länger gemeinsam lernen sollten als nur vier Jahre. Das alles führte dazu, dass in Schleswig-Holstein die Gemeinschaftsschule eingeführt wurde.

Seit vier Jahren werden Kinder von Jahrgangsstufe 5 bis 10 gemeinsam unterrichtet - im Schuljahr 2011/12 gilt das für knapp 57 700 Schülerinnen und Schüler an 135 Gemeinschaftsschulen. In dieser Schulart werden die Schüler unter einem Dach zum Hauptschulabschluss, zum Mittleren Abschluss oder zum Übergang auf die gymnasiale Oberstufe geführt.

Gemeinsames Lernen - dieses Prinzip haben die Klassenlehrerinnen Karin Ramcke und Annegret Hiesener längst verinnerlicht. In ihrer 9a waren fünf Kinder mit Förderbedarf integriert. Meistens standen sie gemeinsam im Unterricht, arbeiteten als Gruppe zusammen und förderten dennoch individuell. "Kein Schüler sollte sich ausgegrenzt fühlen", sagt Karin Ramcke vom Förderzentrum in Rellingen. Ihre Klasse entlassen sie nun stolz, aber auch traurig. "Es war eine schöne Zeit", sagt Annegret Hiesener, die seit 1975 als Hauptschullehrerin an der Caspar-Voght-Schule gearbeitet hat. Die Leistungsunterschiede innerhalb einer Klasse werden künftig noch größer sein und die Lehrer werden diese ausbalancieren müssen.