Alarmierende Zahl im Kreis Pinneberg: Die Awo-Schuldnerberater verzeichneten im letzten Jahr 8,3 Prozent mehr Anfragen wegen Geldnot.

Kreis Pinneberg. Immer mehr Menschen geraten in Finanznöte, kommen nicht mehr klar mit ihren Schulden. Bei den Awo-Schuldnerberatern im Kreis Pinneberg laufen die Telefone heiß, insgesamt haben Verbraucher im vorigen Jahr 5030 Mal bei den Beratern um Hilfe gesucht. "Das sind 8,3 Prozent mehr als im Vorjahr", sagte Michael Danker, der Leiter der Awo-Schuldnerberatung, gestern bei der Vorstellung der Jahresbilanz 2011. "Unsere Beratungsbüros werden nahezu überrannt, die Sprechzeiten sind permanent ausgebucht."

Diesem Ansturm könnten die Beratungskräfte auf Dauer nicht mehr nachkommen. "Die Anfragen übertreffen zur Zeit jegliche Kapazitätsgrenzen", sagt Danker. Die Konsequenz sei ein Ausweichen der Berater auf die sogenannte Basis- oder Kurzberatung via Telefon, sagte Danker, wobei der Aufbau einer Beziehung zum Ratsuchenden leider immer öfter auf der Strecke bleibe. 4,6 Beratungs- und 1,8 Verwaltungskräfte (bezogen auf eine Vollzeitstelle) seien zuständig für gut 304 000 Einwohner im Kreis Pinneberg, sagt Danker, der die Liste der Unzumutbarkeiten beliebig fortsetzen kann.

Täglich erreichen mehr als 100 Telefonanrufe die fünf Büros im Kreisgebiet. Bei einer geschätzten Dunkelziffer von 90 Prozent derer, die eine Schuldnerberatung eigentlich nötig hätten, müsse die "Lichtziffer" von etwa zehn Prozent immer längere Wartezeiten in Kauf nehmen. "Und dabei liegen wir mit einem Limit von zwölf Wochen Wartezeit für eine Erstberatung noch gut im bundesweiten Vergleich." Die Erwartungshaltung der Schuldner sei jedenfalls sehr hoch, sagte Danker, vor allem, wenn es mal wieder eine "Schulden-Novela" im Fernsehen gegeben habe.

Enttäuschung, Panik und Aggressivität auf Seiten der Ratsuchenden seien nicht seltene Reaktionen auf die schleppende Terminvergabe. Er hofft, dass die Kreispolitik, die die Schuldnerberatung bisher mit rund 140 000 Euro im Jahr unterstützt, angesichts des wachsenden Drucks zumindest eine halbe zusätzliche Stelle bewilligt. "Wir sind zwar ein eingespieltes Team und leben von unserer Erfahrung", sagte Schuldnerberaterin Mechthild Kuiter-Pletzer. "Aber im Grunde darf von uns Mitarbeitern niemand ausfallen."

Seit 27 Jahren besteht die Awo-Schuldnerberatung im Kreis Pinneberg, und in dieser Zeit hat sich eine Menge bei der Art der Schulden verändert - auch wenn die Höhe der Schulden relativ gleich geblieben ist. So beträgt die durchschnittliche Verschuldung der Klienten pro Fall rund 27 000 Euro.

Im Jahr 2010 lag die bundesweite Verschuldung bei den Konsumentenkrediten bei 229 Milliarden Euro, sagte Danker. Nur ein Beispiel: Drei von vier Autos sind auf Kredit finanziert, und auch in Elektronikmärkten laufen mittlerweile immer mehr Anschaffungen über Kleinkredite.

Allerdings hat sich die Zahl der Gläubiger drastisch nach oben bewegt. Hatte ein Schuldner vor Jahren noch mit fünf bis sieben Gläubigern zu tun, liegt diese Zahl heute manchmal bei 50 oder 60. "Es handelt sich oft um viele kleine Beträge von 300 bis 500 Euro", sagt Mechthild Kuiter-Pletzer. "Das macht uns natürlich viel mehr Arbeit." Vertragsabschlüsse im Internet und die Forderungen dieser Unternehmen bilden inzwischen das Hauptkontingent der Arbeit der Berater, Nachfragen bei AGs, GmbHs und Tochterunternehmen verursachen einen immensen Bürokratieaufwand. "Ich habe lieber einen Gläubiger mit einer Forderung von einer Million Euro, mit dem ich mich in Verbindung setzen muss, als so viele kleine Firmen", sagt Kuiter-Pletzer.

Neben der täglichen Arbeit müssen sich die Schuldnerberater auch stets mit gesetzlichen Änderungen beschäftigen. Dazu zählt beispielsweise seit Anfang des Jahres eine Novelle der Insolvenzordnung. Darin geht es unter anderem um eine Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens im sogenannten Verbraucherkonkurs. Neben anderen Regelungen soll dabei das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren als Vorstufe für den Verbraucherkonkurs abgeschafft und eine Verkürzung der Befreiungsphase von Restschulden von sechs auf drei Jahre in Aussicht gestellt werden - allerdings nur, wenn 25 Prozent der Gesamtschulden beglichen werden und die Verfahrenskosten gedeckt sind.

"In Grundzügen ist das Gesetz sicher zu begrüßen", sagt Michael Danker. Abgesehen von der Tatsache, dass 80 Prozent aller Verbraucherinsolvenzverfahren "masselos" seien, bleibe unklar, woher das Geld für vorzeitige Ablösungen von Verbindlichkeiten kommen solle. "Verbraucher, die zu uns in die Beratung kommen und insolvent sind, haben schlichtweg keine Mittel", sagt Danker. "Und wenn, hätten sie diese zur Schuldentilgung eingesetzt."