24 Halstenbeker Grundschüler bleiben nach Klassenfahrt auf Bahnhof Westerland zurück. NOB: “Für uns stellt sich die Situation anders dar“.

Halstenbek/Westerland. Es ist die Horrorvorstellung aller Eltern: Die Türen schließen sich, der Zug fährt los - und am Bahnsteig bleibt das Kind zurück. Auf dem Bahnhof Westerland ist, wie jetzt bekannt wurde, eine ganze Gruppe Kinder stehen geblieben.

Fünf Tage waren zwei vierte Klassen der Halstenbeker Grundschule Bickbargen auf Klassenfahrt auf Sylt. Am Freitag, 13. Mai, wollten sie mit Klassenlehrerinnen und einem Vater mit der Nord-Ostsee-Bahn (NOB) zurück nach Hamburg fahren.

Die Knirpse versammelten sich rechtzeitig zur Abfahrt am Bahnsteig. Ein Abteil im Zug war für die Kids reserviert. Kurz nach dem Einsteigen wiesen einige Kinder die Klassenlehrerinnen auf eine Durchsage am Bahnsteig hin, dass der Zug aufgrund technischer Probleme nicht nach Hamburg fahren könne. Alle Fahrgäste wurden gebeten, den Zug zu verlassen. "Wir sind alle wieder ausgestiegen - und wussten erst mal nicht, wohin." Ein Bahnbegleiter habe ihnen den Weg zum Zug auf dem gegenüberliegenden Gleis gewiesen. Dieser sei voll besetzt gewesen.

Die Klassenlehrerin sagt: "Ich habe mich gleich dreimal bei einem NOB-Mitarbeiter erkundigt, ob auch wirklich genügend Zeit zum Einsteigen sei, was mir auch bestätigt wurde." Daraufhin begannen die Lehrerinnen und der begleitende Vater die Gepäckstücke und die Schulkinder in den Zug zu hieven und zu lotsen - Hilfe vom Bahnpersonal hätten sie nicht bekommen.

Als etwa die Hälfte der Schüler im Zug war, ging es nicht weiter: Die im Gang stehenden Gepäckstücke behinderten den Zutritt für die auf dem Bahnsteig wartenden Kinder.

Just in dem Moment, in dem die Betreuer das Gepäck in den Ablagen verstauten, schlossen sich die Türen - und 24 Viertklässler blieben am Bahnsteig stehen. Jannis stand draußen: "Zuerst dachte ich, der Zug würde nicht ohne uns losfahren, doch dann gingen einfach die Türen zu." Der Zehnjährige ist einer der Schüler, die alleine am Bahnsteig stehen blieben und dem abfahrenden Zug hinterherschauen mussten. Seine Klassenkameradin George, 10, erinnert sich mit Grauen: "Das war ein echter Schock, ich konnte gar nicht richtig denken in dem Moment."

Die Klassenlehrerinnen handelten geistesgegenwärtig und riefen dem begleitenden Vater zu, er solle die Notbremse ziehen. Das bekam laut Klassenlehrerin ein Zugbegleiter mit. Der drohte dem Vater mit der Bahnpolizei. Das Risiko ging der Vater ein, zog trotzdem die Notbremse. Der Zug kam zum Stehen. Die Türen ließen sich öffnen. Die weinenden Kinder konnten einsteigen. "Ich war so was von erleichtert", sagt Alexis, 9.

Der Zugbegleiter setzte seine Drohung übrigens nicht um. Dafür musste der Sohn des Retters getröstet werden. Der hatte seinen Vater nämlich schon in Handschellen gesehen.

Die weitere Reise der Gruppe verlief ruhig und wurde auch nicht von einer Entschuldigung von Seiten der Nord-Ostsee-Bahn gestört.

Schulleiterin Barbara Burton bezeichnet das Verhalten der NOB als "unsäglich". "Wir haben bislang nicht einmal eine Antwort auf unsere Beschwerde bekommen", sagt Burton.

NOB-Sprecherin Christiane Lage entschuldigt das gegenüber dem Hamburger Abendblatt mit den aktuellen Streiks, die die Kundencenter derzeit mit Anfragen überforderten.

Das Geschehen in Westerland und das Verhalten des Zugbegleiters verteidigt die NOB-Sprecherin. Lage sagt: "Wir haben den Fall eingehend recherchiert und geprüft. Für uns stellt sich die Situation anders dar, als von den Klassenlehrerinnen geschildert." Selbstverständlich lege die NOB besonderes Augenmerk auf große Gruppen, schließlich seien reisende Schulklassen keine Seltenheit. Doch in diesem Fall sei dem Bahnbegleiter die wartende Gruppe nicht ersichtlich gewesen.

In Gesprächen mit den diensthabenden Mitarbeitern seien weder die Gespräche am Bahnsteig, noch die Drohung wegen der Verwendung der Notbremse Thema gewesen. Das Personal habe erst nach der Betätigung der Notbremse vom Vorfall erfahren. Lage: "Wir zweifeln nicht an der Aussage unserer Mitarbeiter. Hier steht nun Aussage gegen Aussage."

Dennoch bedauere sie den Vorfall, der so nicht hätte passieren sollen. "Wir werden der Schule natürlich noch antworten und auf die Schüler zugehen."