Erica Warncke aus Wedel ist seit 50 Jahren beim Ostermarsch mit von der Partie. Ihr Enkel Kalle ist jetzt auch dabei

Kreis Pinneberg. Sie hat als Kind im Luftschutzbunker gesessen und Angst um ihr Leben gehabt. Sie hat Vater und Bruder im Krieg verloren. Sie hat als 15-Jährige erlebt, wie das eigene Haus und große Teile der Stadt mitsamt Kirchturm nach dem schweren Luftangriff am 3. März 1943 brannten. Sie hat beobachtet, wie hinterm Stacheldraht im Wedeler Außenlager des Vernichtungslagers Neuengamme Menschen geschunden wurden. "Diese Bilder werde ich nie vergessen", sagt Erica Warncke. Ihre Hände und ihr Mund zittern.. Ihre Lehre daraus begleitet sie bis heute: Nie wieder Krieg.

Diese Lebensphilosophie hat Erica Warncke in ihrer Familie von klein auf gepflegt. Sohn Horst, damals zwei Jahre alt, war 1961 beim ersten Ostermarsch gegen die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland in der Kinderkarre dabei. Enkel Kalle, heute 20, war ebenfalls als Säugling mit auf der Straße, damals ging es um den Protest gegen den ersten Golfkrieg einer von den USA geführten Militärkoalition gegen den Irak.

"Jeder Krieg ist ein reines Geschäft", sagt der junge Wedeler, der nach dem Abitur eine Lehrstelle als Bootsbauer sucht. Er diskutiert gern, denn er will "die Menschen überzeugen". "Den Staat können wir durch Demonstrationen nur wenig bewegen", sagt Kalle Warncke.

So pessimistisch ist seine Großmutter nicht. Sie hat Ende der 50er-Jahre erlebt, wie auch nach dem Rückzug von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern Zigtausende von Menschen die Bewegung "Kampf dem Atomtod" auf die Straße trugen. Sie gehörte vor 50 Jahren zu den Ersten, die in der Lüneburger Heide demonstrierten - der Geburtsstunde des Ostermarsches.

Anfangs mussten sich die Friedensbewegten noch auf Schleichwegen durch Wald und Flur bewegen. "In manchen Orten stellte sich uns der Dorfpolizist entgegen: 'Hier geht es nicht durch'", erinnert sich die Friedensüberzeugte. Auch Spruchbänder und Parolen waren zu Beginn verboten - undenkbar für die heutige Zeit. "Wir haben uns natürlich nicht daran gehalten", sagt Erica Warncke. Heute gehören Fahnen, Musik und Demonstrationszüge auch durch die Innenstädte zum normalen politischen Geschehen. "Das Demonstrationsrecht haben wir durchgesetzt", sagt Erica Warncke.

Im Laufe der Jahrzehnte hat die Wedelerin sämtliche Höhen und Tiefen der Friedensbewegung mitgetragen. Sie war dabei, wie Hunderttausende 1983 in Hamburg und Bonn gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen demonstrierten. Blieb hartnäckig, auch als wenig später viele Friedensaktive enttäuscht von der Entscheidung der politischen Mehrheit lieber daheim blieben.

Stolz war Erica Warncke, als sie 1993 für ihr ehrenamtliches Engagement die Ehrennadel ihrer Heimatstadt verliehen bekam. Ausschlaggebend war dafür neben dem nimmermüden Einsatz für den Frieden das soziale Engagement für den Mieterbund, der Aufbau der Hausaufgabenhilfe für benachteiligte Kinder und der Einsatz im städtischen Arbeitskreis gegen Ausländerfeindlichkeit. Auch Ehemann Rolf haben die Gräuel des Zweiten Weltkriegs geprägt. Von seinen 38 männlichen Mitschülern überlebten nur drei. So zog das Paar die Kinder gemeinsam mit dem absoluten Friedenswillen auf. Sohn Horst, mittlerweile 53 und Ingenieur, ist nach wie vor beim Ostermarsch dabei. Weil sich die Friedensbewegung möglichst unabhängig von musikalischen Strömungen machen wollte, stießen Liedermacher in die Lücke. Horst Warncke gehört dazu. . Er gründete 1994 die "Oma-Körner-Band" mit, die traditionell nach der Demo beim Friedensfest auf dem Theaterschiff "Batavia" spielt. Enkel Kalle freut sich am meisten auf die Gespräche an Bord. Die Demonstration beginnt um 10 Uhr auf dem Wedeler Rathausplatz.

Seit 1983 wird am Ostersonnabend in Wedel der kreisweite Ostermarsch. Das ist zum großen Teil ein Verdienst von Irmgard Jasker. Die Lehrerin zog 1979 nach Wedel, lenkt seitdem unermüdlich die Arbeit der Friedenswerkstatt. Klar, dass auch ihre Söhne von klein auf dabei waren - die nächste Wedeler Friedensfamilie.