Vor 30 Jahren war das Jugendzentrum Barmstedt Hochburg der linken Szene. Heute ist Politik dort ein Schimpfwort

Barmstedt. Vor 30 Jahren war es ein Ort der politischen Streitkultur. Friedensdemonstrationen, antifaschistische Kundgebungen und Ostermärsche wurden hier geplant und gestartet. Heute ist davon kaum noch etwas übrig geblieben. Das Barmstedter Jugendzentrum, das in diesen Wochen seinen 30. Geburtstag feiert, hat sich zu einem reinen Freizeitreffpunkt für Kinder und Jugendliche entwickelt. Mit Politik haben die Jugendlichen nichts mehr am Hut, sagt Regina Orgaß. "Politik ist für sie eher ein Schimpfwort geworden", so die langjährige Stadtjugendpflegerin. "Der Zeitgeist ist eben so."

Das war noch ganz anders, als Regina Orgaß mit 27 Jahren im Oktober 1980 als erste weibliche Stadtjugendpflegerin im Kreis Pinneberg in Barmstedt anfing. Das Jugendzentrum, damals noch in der Feldstraße, war selbst verwaltet. Das bedeutete, erklärt Günter Thiel, Mann der ersten Stunde in der Einrichtung: "Wir bestimmten die Inhalte und das Programm. Die Stadt stellte die Logistik und Infrastruktur zur Verfügung."

In dem neunköpfigen Vorstand hatte Regina Orgaß als einzige Vertreterin der Stadt nur eine Stimme und kein Veto-Recht. "Das war eine enorm spannende Zeit und extrem anstrengend." So habe sie manches Mal zwischen den Stühlen gestanden, wenn es Protestkundgebungen vor dem Rathaus gegen stadtpolitische Entscheidungen gab.

Aber diese brisante Arbeit, bei der etwas zu bewegen ist, war ja ihr Wunsch, erzählt die Hamburgerin, die nun schon fast 30 Jahre lang das Barmstedter Jugendzentrum leitet. "Ich wollte unbedingt Jugendarbeit in einer Kleinstadt machen. Das ist viel direkter, und man hat mehr Gestaltungsspielraum als in einer Großstadt wie Hamburg, wo alles durch 1000 Instanzen muss."

Diese "Spielwiese" für die Barmstedter Jugendkultur musste allerdings erst erkämpft werden, erinnert sich Günter Thiel, der 1978 als 28 Jahre junges DKP-Mitglied in die Stadtvertretung einzog und dort heute noch als Fraktionsvorsitzender der Barmstedter Linken Liste (BALL) Oppositionspolitik macht. Schon 1971 forderte die Barmstedter Jugend einen eigenen, nicht kommerziellen Treffpunkt in der Stadt. Eine Allianz aus kommunistischen (DKP), sozialistischen (SDAJ) und kirchlichen Vertretern gründete die Arbeitsgemeinschaft Jugendzentrum, die 1000 Unterschriften für ihr Projekt sammelte. 1974 feierte die Initiative einen ersten Erfolg: An der Ecke Chemnitzstraße/Reichenstraße erhielt sie ihren ersten eigenen Treffpunkt. Die Räume renovierten sie selber. Heute befindet sich darin ein Imbiss.

1978 erreichten die Wortführer mit ihren DKP-Stadtvertretern Thiel und Helmut Welk (heute BALL) ihr Ziel: Die Stadtvertretung beschloss auf ihren Antrag hin, ein Jugendzentrum zu schaffen. Das geschah einstimmig. CDU, FWB, SPD und FDP stimmten seinerzeit zu. Im März 1980 wurde die neue Jugendeinrichtung offiziell eröffnet.

Wie linkslastig damals die Jugendkultur in Barmstedt war, zeigt auch die Person des ersten Stadtjugendpflegers. Der Vorgänger von Regina Orgaß, die damals noch Hartwig hieß, war Rainer Link, der aus dem Kommunistischen Bund kam und später Geschäftsführer der GAL in der Hamburger Bürgerschaft wurde. "Wir waren die Orthodoxen", erinnert sich Thiel. Endlose politisch-theoretische Diskussionen wurden geführt, Anti-Nazi-Demos organisiert, die sich gegen den Neonazi Michael Kühnen richteten, der sich mit seinen Anhängern damals bei paramilitärischen Spielen in den Bokeler Wäldern austoben konnte. Linke Aktivisten aus Hamburg und der gesamten nördlichen Region strömten nach Barmstedt, um sich dort in Theorie und Praxis schulen zu lassen.

Auch Solidaritätsbekundungen für die Besetzungen gefährdeter Betriebe wie den Büroartikelhersteller Velox, damals mit 500 Mitarbeitern größter Arbeitgeber der Stadt, und der Dosenfabrik Züchner gehörten zu dieser Streitkultur. Da traf dann die linke politische Jugendszene mit der antifaschistischen Bewegung und der engagierten Arbeiterjugend zusammen, analysiert der Psychologe Thiel.

Davon ist heute nicht viel übrig geblieben. Zwar haben die Jugendlichen gerade ihr geliebtes "JuZe" in "Juks" umbenannt, damit im Namen, der für "Jugend und Kinder der Stadt" steht, auch alle Altersgruppen von sechs bis 20 Jahren vertreten sind. Ansonsten werde im Zentrum am Rosenweg eher gespielt, über Jugendmoden geredet und entschieden, welche Musik-CDs gehört werden sollen als politische Debatten geführt, sagt Orgaß.

"Aber das ist auch kein Wunder. Jugendarbeit ist ein Spiegelbild der Gesellschaft und kein eigener Kosmos." Und wenn den Jugendlichen nicht vorgelebt werde, wie wichtig soziales Verhalten und Engagement ist, und stattdessen die Ellbogen-Kultur vorherrsche, weil jeder Angst um die eigene Existenz habe, könne das nicht gefördert werden. "Das hat etwas mit dem Wert der Gemeinschaft zu tun. Die muss transportiert werden sonst funktioniert das nicht."

Günter Thiel sieht das etwas anders. "Wenn die Jugend sich von der Politik abwendet, ist das auch eine Form der politischen Aussage." Sobald die eigenen Interessen auf dem Spiel stehen, könnte die Jugend auch heute noch sehr politisch sein, wie in jüngster Zeit die Schulstreiks, Studentenbesetzungen oder die 120 Kilometer lange Anti-AKW-Kette bewiesen haben, an der sich viele Jugendlichen beteiligt hätten.