Norderstedt. Vor 75 Jahren wurde in Garstedt die Wohnungsbaugesellschaft Adlershorst gegründet. Die beiden Vorstandsmitglieder Uwe Wirries und Hendrik Pieper erläutern, was Adlershorst in den vergangenen Jahrzehnten für die Region geleistet hat und was das Unternehmen für die Zukunft plant.
Hamburger Abendblatt: 75 Jahre Adlershorst. Was bedeutet das für den Wohnungsmarkt in Norderstedt und das Umland?
Uwe Wirries: Adlershorst verfügt heute über 5629 Wohnungen. Etwa die eine Hälfte davon befindet sich in Norderstedt, die andere in Elmshorn, Wedel, Quickborn, Tornesch, Rellingen und Bönningstedt im Nachbarkreis Pinneberg. Die Genossenschaft hat jetzt 9246 Mitglieder und 64 Mitarbeitende. Adlershorst hat durch seine Bauten diese Städte mitgeprägt. Vor allem am Anfang. Allein in den 1950er-Jahren haben wir 1063 Wohnungen gebaut. In den 1960ern, als Adlershorst an die Ochsenzoller Straße in Garstedt gezogen ist, waren es sogar 1166 neue Wohnungen.
Und wie ging es weiter?
Wirries: In den 1980er-Jahren schmolz der Neubau etwas ab, als es noch 670 Wohnungen waren. In den 1990er-Jahren haben wir 509 neue Wohnungen gebaut und im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends nur noch 267 Wohnungen. 2010 drehte es sich wieder. Seitdem haben wir 1300 neue Wohnungen gebaut, von denen 590 Sozialwohnungen waren.
Norderstedt: Jubiläum – wie Adlershorst seit 75 Jahren die Region prägt
Der Bedarf an Wohnraum ist also heute wieder so groß wie vor 50 oder 70 Jahren. Dazu kommt, dass wir inzwischen fast alle älteren Wohnungen energetisch saniert haben und die Sozialbindung von weiteren 350 Sozialwohnungen in Norderstedt, Wedel und Elmshorn verlängert haben. Damit hat Adlershorst einen enormen Beitrag zu bezahlbarem Wohnraum im Speckgürtel Hamburgs geleistet.
Wie fing es damals an?
Wirries: 1948, kurz nach dem Krieg, war Hamburg ausgebombt. Aus den Ostgebieten sind Flüchtlinge in großer Zahl hierhergekommen. In einigen Teilen des südlichen Schleswig-Holsteins war das Verhältnis von Flüchtlingen zu Ansässigen eins zu eins. Und man darf nicht vergessen: Es gab noch kein Grundgesetz, keine D-Mark, der Schwarzmarkt blühte. Es gab Zwangseinweisungen in Wohnungen und Behelfswohnungen in Nissen-Hütten. Das war damals eine völlig andere Welt als die, die wir uns heute vorstellen können.
Wer waren die Gründungsväter?
Wirries: In dieser Not- und Mangelsituation kamen am 20. Januar 1948 im Gasthof Wenzel in Friedrichsgabe 16 Menschen zusammen und gründeten die Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgenossenschaft Adlershorst. Initiator war der Bauingenieur Heinrich Lönnjes. Da wurde der Grundstein gelegt und gesagt: Wir wollen hier etwas schaffen. Diese Menschen nahmen ihre Zukunft in die Hand. Das ist bis heute unsere Vorgehensweise geblieben: Komm‘, wir probieren etwas und versuchen, für unsere Mitglieder eine gute Wohnsituation zustande zu bringen.
Wo wurden die ersten Wohnungen gebaut?
Wirries: Das erste Mehrfamilienhaus wurde 1950 gebaut, nicht in Norderstedt, sondern an der Reeperbahn in Elmshorn. Es wurde quasi aus Trümmerteilen zusammengebaut.
Adlershorst: In der Anfangszeit spielte die Muskel-Hypothek eine große Rolle
Da waren auch Selbsthilfe und Muskel-Hypothek im Spiel. Die haben improvisiert und sich vielleicht auch auf dem Schwarzmarkt bedient. Denn große Baustoffhändler gab es damals noch nicht. Immer mit der Zielsetzung, Wohnraum zu schaffen. 2012 ist das Haus abgerissen und durch ein neues ersetzt worden.
Was waren das für Wohnungen? Welchen Komfort gab es?
Wirries: Die waren aus einfachsten Mitteln zusammengebaut. Es gab noch keine Kunststofffenster und auch noch keine Bäder. Die Toiletten waren meist auf den Fluren und noch nicht in den Wohnungen wie heute. Das waren oft einfachste Verhältnisse. Weil der Wohnraumbedarf enorm war. Die Menschen hausten zum Teil in Blechhütten und Kellern.
Konnte rasch gebaut werden? Welche Hürden mussten überwunden werden?
Wirries: Damals war der Druck, neuen Wohnraum zu schaffen, immens groß. Das Land war zerstört. Und es ging viel schneller voran als heute, wo wir bis zu einem dreiviertel Jahr auf eine Baugenehmigung warten müssen. Damals war man glücklich, dass neuer Wohnraum entstand, und hat dem Bauherrn alle Möglichkeiten zugestanden. Verständlich aus der tiefen Mangelsituation damals.
Adlershorst: Die Bürokratie hat enorm zugenommen
Wenn wir heute von Wohnraummangel sprechen, ist das nicht vergleichbar mit der Situation nach dem Krieg. Mit all‘ den Flüchtlingen. Familien mit drei, vier Kindern mussten sich einen Raum teilen. Darum wurde um jeden Wohnraum gerungen, der neu geschaffen wurde.
Wie hat sich das bis heute entwickelt? Ist es schwieriger geworden, bezahlbare Wohnungen zu bauen?
Wirries: Das lässt sich am Umfang der Bauanträge ablesen. Der Bauantrag für unser erstes Haus 1950 war keine drei Zentimeter stark. Wenn wir ein solches Haus heute genehmigen lassen wollen, füllen die Unterlagen Leitz-Ordner auf drei Metern Länge. So weit ist die Bürokratie inzwischen gewachsen. Damals war das per Hand gezeichnet und mit Maschine geschrieben. Heute machen vieles Computer.
Hendrik Pieper: Die Regulierung für die Genehmigungen hat enorm zugenommen mit Baumschutzsatzungen, Vorgaben zur Gestaltung der Häuser, der Fassaden, Dachziegel, Bausteine und zur Wärmeerzeugung. Alles Vorgaben, die es damals in der Komplexität noch nicht gab. Es ist heute viel anspruchsvoller geworden, weil es viel mehr Regelungen gibt.
Adlershorst: Früher gab es keine Bürgerinitiativen
Wirries: Damals gab es auch keinerlei Einsprüche von Nachbarn, weil eine Beschattung da wäre oder sie sonst etwas störte. Die waren alle glücklich, dass da Wohnraum entstand.
Pieper: Früher gab es auch noch keine Bürgerinitiativen, die sich gegen den Bau aussprachen. Sie haben heute die politische Dimension, die Regulierungsdimension und die Kostensituation. Denn die Grundstücke sind teurer geworden, die technischen Anforderungen umfangreicher und die Baukosten in die Höhe geschossen.
Was wünschen sich die Mieter heute? Sind die Ansprüche gewachsen?
Wirries: Sie haben sich geändert und ändern sich permanent. Die Wünsche von Senioren, Familien oder Alleinstehenden unterscheiden sich enorm. Und das ist eine der Herausforderungen, der wir uns immer wieder stellen müssen.
Wie reagieren Sie darauf?
Wirries: Zum Beispiel mit unserem Projekt Levenslust am Harksheider Markt. Da haben wir 85 Millionen Euro in den Bau von 291 Wohnungen investiert, von denen 84 Wohnungen für Senioren als betreutes Wohnen zur Verfügung stehen und ein Drittel öffentlich gefördert sind. Wir haben eine Kita mit 80 Plätzen am Alten Kirchenweg geschaffen, sodass jede Altersgruppe darin ihren Platz findet. Da können die Senioren den Kindern beim Spielen zuschauen, und die Kinder kommen zu den Senioren und machen Adventssingen oder Laternelaufen. Solche generationsübergreifenden Quartiersentwicklungen werden das Thema der Zukunft sein. Das gilt auch für die ökologische Entwicklung.
Inwiefern?
Wirries: Unter der Kita gibt es ein Auffangbecken, das bis zu 38.000 Liter Regenwasser sammeln kann. Da haben wir dann das Wasser, um im Hochsommer die Bäume zu bewässern. Und es wird eine Pumpe geben, mit der die Kita-Kinder Wasser zum Spielen holen können. Das haben wir gemacht, um Wasser zu sparen und an die nächste Generation zu denken.
Was unterscheidet Adlershorst von anderen Wohnungsbaugesellschaften?
Pieper: Wir wollten zu unserem Jubiläum ein Zeichen für die Zukunft setzen. Darum haben wir für jedes unserer 9246 Mitglieder einen Baum gepflanzt. Das ist auf einer 20 Hektar großen Fläche bei Wrist im Kreis Steinburg geschehen.
Dieser kleine Wald, der dort entsteht, ist ein weiterer kleiner Beitrag zum Klimaschutz. Wir wollten nicht nur auf 75 Jahre zurückblicken, sondern etwas ökologisch Sinnvolles für die Zukunft tun. Jedes Mitglied hat darüber seine persönliche Baumwidmung erhalten.
Adlershorst: zum Jubiläum wurde ein Wald gepflanzt
Wirries: Ein anderes Beispiel ist unsere Weihnachtsaktion vor zwei Jahren. Da haben wir mit unseren Auszubildenden in der Backstube einer Kaffeerösterei für alle unsere Mieter 35.000 Kekse gebacken, ausgestochen, gestempelt und verpackt. Wir standen drei Tage hintereinander in der Backstube. Mir tat hinterher der Rücken weh. Aber so sind wir auch mit unseren Azubis gut ins Gespräch gekommen. Die Kekse haben dann unsere Quartiersmanager in die Briefkästen der Mieter geworfen. Das hat die sehr gefreut. Und so versuchen wir, für unsere Mieter immer mal etwas Außergewöhnliches zu tun, um zu zeigen, dass wir ein anderer Vermieter sind.
Welche Philosophie vertritt das Unternehmen gegenüber seinen Genossen?
Wirries: Wir sind hier alle angestellt, um Wohnraum für unsere Mitglieder zu vernünftigen Preisen anzubieten. Das ist unsere Zielsetzung, und das steht auch in unserer Satzung. Diesen Job haben wir hier zu erfüllen. Wir sind im Grunde Angestellte unserer Mieter und Mitglieder, die wir so zufrieden wie möglich stellen wollen. Das ist die oberste Prämisse, die wir haben und die auch bestätigt wird. So sind wir im Jahr 2021 bei einer Befragung unter einer Million Mietern von 116 Wohnungsunternehmen in ganz Deutschland zu einem der beliebtesten Vermieter gekürt worden. 91 Prozent der Mieter sind demnach mit dem Preis-Leistungsverhältnis zufrieden oder sehr zufrieden. Die Vertrauensquote liegt sogar bei 98 Prozent.
Wie lange wohnt ein Mieter durchschnittlich in einer Wohnung?
Pieper: Die Mieter wohnen zum Teil seit Jahrzehnten in einer Wohnung und sind unglaublich dankbar, dass ihnen alles rund ums Wohnen abgenommen wird. Sie haben einen Quartiersbetreuer, der sichtbar ist mit dem Adler auf dem Rücken. Den rufen sie an, wenn was ist, und dieser fühlt sich auch verantwortlich. In einer Genossenschaft ist es ein Miteinander, Vertrauen und Verbundenheit. Und wir sind dankbar für die Treue unserer Mitglieder und Mieter.
Adlershorst: Viele Mieter wohnen schon seit 50, 60 Jahren in den Wohnungen
Wirries: Manche leben seit 50, 60 Jahren in ihrer Wohnung und sind vielleicht nur einmal umgezogen. Die leben dann in einem Quartier mit ihren Nachbarn und sehen, wie deren Kinder aufgewachsen sind. Das hat schon etwas sehr Familiäres, was sich dort abspielt. Das kann man nicht mit einem normalen Mietverhältnis vergleichen.
Wie hoch ist die Miete im Durchschnitt bei Adlershorst?
Wirries: Die liegt je nach Ausstattung, Lage, Qualität und Alter der Wohnung zwischen sechs und 14 Euro. Die durchschnittliche Kaltmiete liegt bei etwa acht Euro je Quadratmeter und Monat. Viel wichtiger aber ist uns, wie zufrieden die Mieter mit der Miete sind und dem, was sie dafür bekommen. Und die liegt bei 91 Prozent.
Pieper: Wir haben dafür auch ein Mietfindungs-Unterstützungssystem. Das bedeutet, wir bewerten jede einzelne Wohnung nach ihrer Ausstattung und Lage und legen eine individuelle Miethöhe fest.
Wirries: Und von dieser Marktmiete ziehen wir dann einen genossenschaftlichen Abschlag ab. Das sind zwischen 70 und 80 Cent auf den Quadratmeter. Bei den knapp 360.000 Quadratmetern, die unsere Mieter bewohnen, ist das eine jährliche Mietsubvention von etwa 3,2 Millionen Euro, die wir unseren Mietern erlassen. Die Gesamtmieteinnahmen machen mit Nebenkosten etwa 40 Millionen Euro im Jahr aus.
Was war das wichtigste Projekt in der Geschichte von Adlershorst?
Wirries: Dazu gehört sicherlich das bereits erwähnte Levenslust-Projekt mit den knapp 300 Wohnungen am Alten Kirchenweg. Aber wir haben auch in den letzten zehn Jahren den Wohnungsbestand energetisch saniert, die Fenster, Fassaden, Dächer und Gebäudehüllen erneuert und isoliert. Dies hat natürlich auch Spuren bei dem CO2-Ausstoß hinterlassen. Gegenüber vergleichbaren Unternehmen liegt unser CO2-Ausstoß pro Quadratmeter Wohnfläche etwa 30 Prozent niedriger. Übrigens ist ein Teil dieser Maßnahmen mit Eigenkapital finanziert worden.
Pieper: Und wir haben das zum richtigen Zeitpunkt gemacht. Wer jetzt noch nicht damit angefangen hat, für den wird es deutlich schwieriger, angesichts der hohen Baukosten bis 2045 seine Immobilien klimaneutral zu machen.
Adlershorst: In Norderstedt und Tornesch soll 2024 gebaut werden
Wirries: Jetzt sind die Heizungen dran. In Norderstedt wollen wir unsere Objekte an das Fernwärmenetz anschließen, um so die CO2-Freiheit zu erreichen.
Wie viele Wohnungen werdet ihr dieses Jahr fertig stellen?
Wirries: Wir haben im Jahr 2022 etwa 140 Wohnungen fertiggestellt. In diesem Jahr werden etwa 120 Wohnungen entstehen. Die meisten davon in Norderstedt am Alten Kirchenweg und am Heimpfad/Glojenbarg. Und 2024 wollen wir auch wieder 120 neue Wohnungen bauen, zum Beispiel am Stonsdorfer Weg in Norderstedt und auch in Tornesch.
Haben Außenstehende überhaupt eine Chance, in absehbarer Zeit bei euch eine Wohnung zu kriegen?
Wirries: Es ist schwierig. Wenn eine Wohnung frei wird, geht es zunächst nach der Warteliste unserer Mitglieder, die umziehen möchten. Die Nachfrage ist unterschiedlich. Auf die ersten 84 Wohnungen im Levenslust-Quartier haben wir etwa 800 Bewerbungen erhalten. In Wohnungen, in die keiner aus unserem Bestand einziehen möchte, können aber auch Außenstehende rein, die dann neue Mitglieder werden.
Wie hoch ist die Fluktuation?
Wirries: Die liegt zwischen zwei und drei Prozent. Etwa 100 Wohnungen werden frei im Jahr, die aber zunächst unseren Mitgliedern angeboten werden.
Adlershorst hat mehr Mitglieder als Wohnungen
Pieper: Wir haben mehr Mitglieder als Wohnungen. Wenn keines unserer Mitglieder die freiwerdende Wohnung haben möchte, gehen wir nach außen, und so wird der neue Mieter bei Anmietung Mitglied bei uns. Und so wachsen wir in den Mitgliederzahlen.
Wirries: Wir hatten seit 2009 rund 800 Umsetzungen von Mietern, die wegen Neubauten vorübergehend in andere Wohnungen umziehen mussten. Davon haben sich nur zwei Mieter gerichtlich dagegen gewehrt, obwohl wir ihnen zahlreiche alternative Wohnungen angeboten haben und den Umzug bezahlt hätten. Beide Fälle sind zu unseren Gunsten ausgegangen.
Wird der Wohnungsmarkt noch lange so angespannt sein?
Wirries: Wir hatten in den letzten zehn Jahren einen sehr stabilen Wohnungsmarkt. Erst jetzt durch die Inflation steigen die Preise deutlich. Und wenn wir heute einen Neubau machen wollen, stellt sich die Frage der Verfügbarkeit bei den Mitarbeitern und dem Material. Und wenn das vorhanden ist, haben wir permanent die Diskussion, dass die Lieferanten mehr Geld haben wollen für ihren Beton oder ihre Fenster.
75 Jahre Adlershorst im Dienste der regiopnalen Wirtschaft
Und man fragt sich, was kommt am Ende dabei für eine Miete heraus, damit sich das noch rechnet. Ich glaube, dass wir noch ein bis zwei Jahre diese Preissteigerungen haben werden. Und dass es dann zu einer Nivellierung kommt.
Was hat Norderstedt davon, dass es Adlershorst schon so lange gibt?
Wirries: Norderstedt ist mit etwa 2000 Wohnungen unser größter Standort. Und wir haben hier auch in großer Zahl öffentlich geförderten und bezahlbaren Wohnraum geschaffen. Des Weiteren haben wir die außergewöhnliche Quartiersentwicklung Levenslust für ein generationsübergreifendes Wohnen umgesetzt. Und wir tun was für die regionale Wirtschaft. Allein im vergangenen Jahr haben wir 70 Millionen Euro an Aufträgen mit der regionalen Bauwirtschaft abgewickelt. Das ist unsere Unterstützung hier vor Ort zum Erhalt der Arbeitsplätze.
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