Olympia

„Meine Enttäuschung hält sich in Grenzen“

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Frank Best
Aktuell ist Scheibl die Nummer drei der Weltrangliste

Aktuell ist Scheibl die Nummer drei der Weltrangliste

Foto: Thomas Maibom

Trapschützin Sonja Scheibl hat ihre zweite Olympiateilnahme knapp verpasst. Trotzdem ist sie 2016 so erfolgreich wie noch nie zuvor.

Itzstedt.  Wenn Trapschützin Sonja Scheibl mit einem energischen „Hoooo!“ den Auslösemechanismus der Wurfmaschine aktiviert hat, muss alles blitzschnell gehen. Der Apparat, der auf akustische Signale reagiert, katapultiert einen elf Zentimeter großen und 105 Gramm schweren Diskus mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h in die Luft. Scheibl bleiben nun noch etwa 0,7 Sekunden, um den Oberkörper zu stabilisieren, das Ziel auf dessen Flugbahn mit den Augen zu fixieren, vorzuhalten und mit einem oder zwei Schüssen aus ihrer Beretta 892, in deren beiden Läufen 24 Gramm schwere Schrotpatronen stecken, deutlich sichtbar zu treffen.

Was auf den Laien wie Hexerei wirkt, ist für die 36 Jahre alte Itzstedterin Routine. Scheibl, 1,62 Meter groß, Deutsche Meisterin der Jahre 2014 und 2015, gehört zu den Besten ihres Fachs; vor den olympischen Wettkämpfen in Rio de Janeiro an diesem Wochenende belegt sie Platz drei der Weltrangliste. „Das alles ist gar nicht so schwierig“, sagt sie augenzwinkernd, „man hat ja bei jedem Schuss total viel Zeit.“

2012 war Scheibl in London die einzige deutsche Trapschützin

Mit dem Sportschießen begonnen hat Sonja Scheibl schon als junges Mädchen. „Bei uns im Dorf gibt’s in puncto Freizeitbeschäftigung ja nur den Tennisclub und den Schützenverein. Und da meine Eltern in Letzterem Mitglieder waren, bin ich halt mit ihnen dort hingegangen.“ Die Wahl einer Lieblingsdisziplin fiel der damals 16-Jährigen nach ersten Versuchen mit dem Luftgewehr nicht schwer: „Trap fand ich viel cooler. Die Mischung aus Konzentration und Reaktion hat mich von Anfang an fasziniert.“ Mit einer Sondergenehmigung – Flinte und Schrotmunition sind für Jugendliche normalerweise tabu – durfte sie schon bald loslegen.

Bei den Wettbewerben geben ihr die Finalrunden einen ganz besonderen Kick. „In der Vorausscheidung hat man für jede Scheibe zwei Schuss, im Semifinale und Endkampf dann allerdings nur noch einen. Und gerade das macht unheimlich Spaß.“

Ihre Laufbahn ist gespickt mit sportlichen Erfolgen – unter anderem dem Sieg mit der deutschen Mannschaft bei der Team-EM 2010 in Kazan. Und, na klar, der Teilnahme an den Olympischen Spielen 2012 in London, bei denen Sonja Scheibl als einzige Deutsche starten durfte und den 17. Platz belegte.

„Ein grandioses Erlebnis, auch wenn ich an der Eröffnungs- und Abschlussfeier nicht teilnehmen konnte“, erinnert sich die selbständige Tischlermeisterin, die Möbel nach den individuellen Wünschen ihrer Kunden entwirft und fertigt. „Da ich kein Profi bin und arbeiten musste, war ich nur sechs Tage in London, habe aber jede Sekunde genossen.“

Sie nutzte ausgiebig die Gelegenheit, um sich einen Einblick in andere Randsportarten zu verschaffen. „Wir Athleten konnten damals im Büro des Deutschen Olympischen Sportbundes Eintrittskarten für andere Wettkämpfe bestellen, also habe ich mir Schwimmen, Frauenboxen, Bahnradfahren und Ringen angeschaut.“

Doch warum ist Sonja Scheibl trotz ihrer vorzüglichen Weltranglistenplatzierung in Rio de Janeiro nicht mit dabei? Im Trapschießen der Frauen gibt es für Deutschland nur einen Quotenplatz – und der wurde bei den beiden Weltcup-Wettbewerben in San Marino und Baku ausgeschossen.

Im Zwergenstaat im Osten Italiens hatte sich Scheibl mit 67 von 75 möglichen Treffern einen Mini-Vorsprung auf ihre letzte verbliebene Konkurrentin, Jana Beckmann (Magdeburg/66), erarbeitet. Und auch beim Shoot-Out in der aserbaidschanischen Hauptstadt lag die Itzstedterin bis zur letzten 25er-Serie knapp vorn. Dann allerdings zeigte sie Nerven, leistete sich sechs Fehlversuche und zog gegen Beckmann mit 65:68 den Kürzeren – das Ticket zum Zuckerhut war passé.

Für Sonja Scheibl ein bitteres, aber keinesfalls dramatisches Erlebnis. „Selbstverständlich hätte ich mich gern für Rio de Janeiro qualifiziert, wer will das nicht, wenn er die Chance dazu hat? Aber meine Enttäuschung hält sich in Grenzen“, sagt sie, „in den Wochen zuvor hatte sich schon abgezeichnet, dass ich in Baku nicht in Topform sein würde. Ich tröste mich damit, dass ich lange Flugreisen nicht besonders mag und dass 2016 trotz der verpassten Quali das beste Jahr in meiner Karriere ist.“

So gewann sie im März beim Weltcup-Schießen in Nikosia die Silbermedaille. Einen Monat später holte sie beim als Olympia-Generalprobe dienenden Wettbewerb in Rio Bronze. „Sonst hatte ich immer ein Abonnement auf vierte Plätze“, sagt Scheibl, die sich schon jetzt auf den Oktober freut. Dann nämlich findet in Rom das Weltcupfinale statt. „Und ich bin dabei, das macht mich total glücklich.“

Frühmorgens, 5 bis 6 Uhr: Dopingkontrolle in Itzstedt

Dopingfälle bei den Sportschützen erwartet sie während der Olympischen Spiele nicht. „Für uns ist ja wichtig, dass man während eines Wettkampfs entspannt bleibt und sich gut konzentrieren kann. Um das zu erreichen, muss man keine verbotenen Substanzen nehmen. Da gibt es doch ganz andere Möglichkeiten – zum Beispiel Yoga.“

Scheibl gehört zu den deutschen Sportlerinnen, die regelmäßig von der Nationalen Anti Doping Agentur gecheckt werden. „Ich muss der NADA monatelang im Voraus mitteilen, wo ich mich aufhalte. Die können theoretisch jeden Tag vor der Tür stehen. Damit das Privat- und Berufsleben nicht allzu sehr beeinträchtigt wird, habe ich vorgeschlagen, etwaige Tests zwischen 5 und 6 Uhr morgens vorzunehmen. Das ist dann auch von der Agentur so akzeptiert worden. Mir macht das frühe Aufstehen nichts aus, ich bin eh ein Morgenmensch.“

Um sich körperlich fit zu halten, geht Sonja Scheibl regelmäßig laufen. Auf Krafttraining verzichtet sie hingegen ganz. „Ich habe ja meine anstrengende Arbeit in der Tischlerei“, sagt sie lachend, „da werde ich nicht noch zusätzlich Gewichte stemmen.“

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