Der geistig behinderte Kicker Tom Jürs aus Tangstedt geht ins Leistungszentrum Frechen und holt sich Tipps beim U19-Bundesliga-Torhüter des HSV

Norderstedt. Sie haben dasselbe Ziel: Fußballspielen auf höchstmöglichem Level. Doch die Voraussetzungen für Abwehrmann Tom Jürs, 19, und Torhüter Ole Rathmann, 17, könnten kaum unterschiedlicher sein.

Auf der einen Seite ist Modellathlet Ole. Der hat sein Fußball-Handwerk bei Flensburg 08 gelernt, wurde dort vom Hamburger SV gesichtet, 2012 auch verpflichtet und spielt nun mit den A-Junioren der Rothosen in der Bundesliga Nord-Nordost. Dem jungen Torhüter steht als Bewohner des HSV-Internats an der Ulzburger Straße mit den anliegenden Trainingsplätzen der komplette Ausbildungsapparat des Bundesliga-Dinos zur Verfügung. „Ganz klar: Ich möchte den Sprung zum Fußball-Profi schaffen“, sagt der 17-Jährige.

Anders der Werdegang von Tom. Der junge Tangstedter hatte es von Geburt an nicht leicht, als absehbar wurde, dass er mit geistiger Behinderung durchs Leben würde gehen müssen. „Laut Aussage der Ärzte sollte Tom nie in der Lage sein, einen Ball mit Hand oder Fuß kontrolliert spielen zu können“, sagte sein Vater Carsten Jürs, 46.

Doch was irgendwelche Mediziner einmal gesagt hatten, wusste Tom nicht und kümmerte ihn wenig. „Und kaum kann er laufen, was macht er da als Erstes? Er rennt los und tritt gegen einen Ball“, erinnert sich Vater Jürs, der selber eine lange Vergangenheit als Vereins-Fußballer beim SC Alstertal-Langenhorn und später dem WSV Tangstedt hat. „Seitdem ist die Leidenschaft für Fußball Toms ständiger Begleiter.“

Doch während Oles Weg zum Leistungs-Fußball früh vorgezeichnet war („Mein erstes Trikot bekam ich mit einem Jahr, mit drei hab ich im Feld zu spielen begonnen, mit sechs kam ich ins Tor und von der E-Jugend an ging es mit Auswahl- und Stützpunkttraining los.“), brauchte Tom für seine sportliche und allgemeine Entwicklung viel Hilfe und Unterstützung. Aber die bekam er auch.

Als der Youngster altersmäßig in den Herrenbereich vorstieß, war es zu seinem Vorteil, dass auch Großvater Helmut Jürs, 69, sein Leben dem Fußball gewidmet hat. Als der letzte Vorsitzende des nun abgewickelten Post SV ermöglichte es Opa Jürs seinem Enkel, im ersten Herrenteam mitzutrainieren.

Und der bissige Verteidiger („Ich hab mal im Tor gespielt, aber das mache ich nie wieder. Mein Vorbild ist Jonathan Tah vom HSV, Abwehr macht Spaß. Ich versuch, allen den Ball abzunehmen.“) entwickelte sich dort so gut, dass er anschließend auch bei Concordia in den Trainingsbetrieb des Herrenteams mit einstieg. „Im Training war ich immer dabei, aber eingesetzt haben sie mich dann doch nicht“, sagte Tom mit hörbarer Enttäuschung.

Aber Erfolge haben sich dennoch eingestellt. 2012 kam Tom Jürs in den Berufsbildungsbereich der Norderstedter Werkstätten und hatte sich durch Vermittlung von Werkstätten-Sportlehrerin Maike Rotermund auch beim Sichtungstraining in Eckernförde für die Landesauswahl empfohlen. Mit diesem Team gewann er im Juli 2013 die Deutsche Vizemeisterschaft der geistig Behinderten – und wurde erneut entdeckt. Seit Jahresbeginn besucht der 19-Jährige in Köln-Frechen das Fußball-Landesleistungszentrum. Ziel: Sollte es einmal ein Nationalteam geistig behinderter Fußballer geben, so würde wohl das Gros der Kicker von hier kommen.

Und das bringt wieder Ole Rathmann ins Spiel. Denn über ein Leben, das nur aus Fußball und der Vorbereitung auf den Alltag besteht, wer könnte da besser Auskunft erteilen, als der HSV-Youngster. Beim arrangierten Treffen im HSV-Internat gab er Tom viele gute Tipps – und Abschiedsworte, die von Herzen kamen: „Tom, egal wie schwer es vielleicht wird: Gib niemals auf, es lohnt sich, es ist dein Traum.“