Steven Vo wurde als Kind vietnamesischer Flüchtlinge in Deutschland geboren und sah sich mit 14 Jahren von sechs Bundesligaclubs umworben

Norderstedt. Wenn er in der Umkleidekabine am Exerzierplatz die Fußballstiefel schnürt, sein Trikot mit dem knappen "Vo" unter der Spielernummer überstreift und mit seiner Mannschaft in den collatz+schwartz-Sportpark einläuft, ist für den 26-jährigen Steven Vo alles so, wie es sein sollte. Doch die Geschichte, die ihn in fast alle Höhen des Fußballsports und letztlich ins Team des damals noch Bezirksligisten TuRa Harksheide führte, ist eine ganz außergewöhnliche.

2001 war es, als Hamburgs Verbandssportlehrer Uwe Jahn von der "Welt" nach Hamburger Talenten und dem Problem vermehrt auftauchender Spielerberater gefragt wurde. Ganz spontan fiel ihm da ein "Härtefall" ein: Der damals 14 Jahre alte Steven Vo in Diensten von Barmbek-Uhlenhorst wurde gleich von sechs Bundesligisten umworben. "Überall kreuzt ein Berater auf", beschwerte sich Jahn, und: "Steven ist ein Talent, aber er ist total durcheinander, und das wirkt sich auf die Leistung aus."

Die reichte zunächst aber durchaus, um vom Hamburger SV unter Vertrag genommen zu werden und ins vereinseigene Internat am Ochsenzoll zu ziehen. In der folgenden Spielzeit galt Vo in einer Reihe mit Rouwen Hennings (heute Karlsruher SC) und Abdul Yilmaz (VfR Neumünster) als Traum-Sturm. Die Saison selbst lief für das Trio zwar eher suboptimal, dennoch standen alle drei im U15-Nationalkader und reisten gemeinsam mit Sami Khedira (heute Real Madrid), Dennis Aogo (HSV) und Kevin-Prince Boateng (AC Mailand) nach Japan, um dort an einem Kurz-Turnier teilzunehmen. Am 9. Mai 2002 trugen sich Hennings und Vo in einem Spiel gegen die U16-Auswahl der Präfektur Chiba sogar in die Torschützenliste ein.

Das Fußballspielen gelernt hatte Vo beim TuS Neu-Steilshoop, war dann aber bald zum SV Barmbek-Uhlenhorst und dort unter die Fittiche von Matthias Missulis geschlüpft, den er noch heute hochachtungsvoll seinen "zweiten Vater" nennt. Die Eltern des Deutsch-Vietnamesen waren 1980 als sogenannte "Boat-People" nach Deutschland gekommen - Bootsflüchtlinge, die über das südchinesische Meer aus Vietnam flüchteten.

Und das ist die zweite Geschichte, die der 26-Jährige zu erzählen hat, eine über den deutschen Umgang mit Flucht und Migration. Tatsächlich ist Steven 1987 als Thanh-Trung geboren worden. Diesen Namen gaben ihm seine Eltern und so steht es auch in seiner Geburtsurkunde. In seinem Pass hingegen heißt Thanh-Trung jetzt "Steven".

Wie aus seinem Namen Thanh-Trung Steven wurde, weiß Vo auch nicht mehr

Wie genau es dazu kam, weiß er nicht. Auch nicht, warum seine vietnamesischen Eltern heute "Stefan" und "Stefanie" heißen und ein (ebenfalls vi etnamesischer) Freund "Markus". Ei ne Spielart deutscher Behörden, die offenbar mit der vietnamesischen Namensgebung zu kämpfen hatten.

Doch auch wenn Steven sich erst im Kindergarten an den neuen Namen gewöhnte und weder er noch seine Eltern in der Familie "Steven", "Stefan" oder "Stefanie" genannt wurden - Groll hegt der 26-Jährige nicht gegen sein Geburtsland. Mit Blick auf die Zustände im Vietnam der 80er Jahre könnten sich auch seine Eltern "in puncto Einwanderung nicht beschweren".

Aufgewachsen ist Vo im multikulturell geprägten Steilshoop. Obgleich er sich immer als Deutscher gefühlt hat, irritierte ihn an der hiesigen Gesellschaft das wenig verbindliche Verhältnis zwischen den Generationen. So hat er das Gefühl, dass die Alten früh in Heime ziehen müssen, während bei den Kindern allzu schnell auf Selbstständigkeit gesetzt wird. Dass er selber die elterliche Wohnung schon mit 15 in Richtung HSV-Internat verließ, ist einer der sympathischen Widersprüche, auf die man im Gespräch mit Steven Vo trifft.

So auch beim Thema Rassismus: Selten habe er damit Probleme gehabt, sagt er zunächst - dann aber fallen ihm immer mehr Beispiele ein. Aus dem Kindergarten, aus der Schule, vom Fußballplatz. Erst diesen Februar wieder, es war bei einem Freundschaftsspiel in Kaltenkirchen, fragte ihn ein Gegenspieler, was er denn hier wolle - als "Schlitzauge". Schon als er vor einigen Jahren für ein Buchprojekt mit dem Titel "Zweiheimisch" interviewt wurde, lieferte Vo eine bemerkenswerte Rassismus-Analyse: "Es ist einfach komplett durchgeknallt: Die Deutschen hacken auf die Türken ein. Die auf die Araber. Die wieder auf die Europäer, die dann auf die Asiaten und die wieder auf die Russen. Es ist und bleibt immer derselbe Scheiß: Kaputte Typen suchen sich immer Schwächere, auf die sie eindreschen können. Das erhöht ihr Selbstwertgefühl."

Noch 2001 als eines der größten Hamburger Talente gefeiert, konnte sich Vo beim HSV nie wirklich durchsetzen. Nach fünf Jahren am Ochsenzoll wechselte er Anfang 2007 zunächst nach Meiendorf in die Oberliga und von dort über Voran Ohe, den TSV Sasel und Vorwärts/Wacker Billstedt Anfang 2013 nach Harksheide. Was letztendlich schief gegangen ist? Eigentlich nichts.

Wenn man ihn heute fragt, warum es mit der erhofften Karriere als Fußballprofi nicht geklappt hat, fällt schnell der Name Stephan Hildebrandt. Immer wieder hat der Nachwuchsleiter des HSV ihm und seinen Mitspielern eingeprägt: "Ihr müsst verbissen sein". Und immer wieder hat Vo damals gedacht: "Wir trainieren vier-, fünfmal wöchentlich im Verein und zusätzlich ein- bis zweimal im Internat - ist das nicht verbissen?" Aus heutiger Sicht eben nicht: "Wäre ich noch einmal in der Situation und würde Profi werden wollen, müsste ich eben noch zwei-, dreimal privat an meinen Schwächen arbeiten." Hat er aber nicht und wirkt trotzdem durch und durch zufrieden: "Die Momente in Japan oder in Eschweiler gegen Wales - die nimmt mir keiner mehr."

Nach dem Abitur am Gymnasium Heidberg begann Vo eine Ausbildung zum Industriekaufmann, arbeitet heute halbtags, um sein Fernstudium mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht zu absolvieren. Mit TuRa Harksheide hat er noch große Pläne, erst recht nach dem doch noch geglückten Landesliga-Aufstieg. Dem Verein wäre er aber auch in der Bezirksliga treu geblieben. "Hier soll langfristig etwas aufgebaut werden", sagt Steven Vo, "wenn die Gesamtstruktur stimmt und das Trainerteam bleibt, bringt mich hier nichts weg." Es ist eben alles so, wie es sein soll.