Handball-Spielerin Annika Wollermann muss mit 18 Jahren ihre Karriere beenden, sprüht aber dennoch vor Lebensfreude und Tatendrang.

Dienstag, 4. Dezember 2012, Besprechungszimmer von Dr. Christian Queitsch in Hamburg-Hoheluft. Der Spezialist für Sprunggelenksverletzungen erläutert Annika Wollermann die Röntgenaufnahme und die Magnetresonanztomographie ihres rechten Fußes. Mit professionell-emotionsloser Stimme stellt er die Diagnose. Knackpunkt seiner Ausführungen: Die drei Außenbänder sind nicht mehr vorhanden, das Innen- und das Deltaband angerissen. Das Gelenk ist extrem instabil, eine komplizierte Operation unumgänglich. Ohne Watson-Jones-Plastik, die aus körpereigenem Sehnenmaterial gebildet wird, droht seiner Patientin in fünf bis zehn Jahren eine Arthrose, in 20 Jahren sogar eine Versteifung.

Im Gegensatz zum Mediziner verliert Annika Wollermann schon nach dessen ersten Sätzen die Fassung und beginnt zu weinen. Wie durch einen Schleier vernimmt sie die niederschmetternden Worte: "Das bedeutet nie wieder Handball!"

"Ich war total geschockt, dann aber auch über die klare Ansage erleichtert", erinnert sie sich, "endlich wusste ich, warum mich vier Jahre lang ein ständiger dumpfer Schmerz gequält hat." Hinzu kam die Wut über Fehleinschätzungen von Ärzten, die die Schülerin des Henstedt-Ulzburger Alstergymnasiums vor Dr. Queitsch behandelt hatten: "Vermutungen reichten von Borreliose bis Rheuma. Da gab's sogar den tollen Tipp, ich solle mir angewöhnen, beim Zähneputzen auf einem Bein zu stehen."

Doch Übungen zur Stärkung der Muskulatur hatte der Teenager, der zuletzt im A-Jugend-Oberligateam des SV Henstedt-Ulzburg auf Torejagd ging und zum Kader der Drittliga-Frauenmannschaft des SVHU gehörte, keinesfalls nötig. "Ich habe inklusive Fitnessprogramm schließlich neunmal pro Woche trainiert."

Anfang Februar 2013. Annika Wollermann hat die ersten vorsichtigen Schritte ohne Gehhilfen gemacht ("ein komisches Gefühl") und muss sich vorerst noch in Geduld üben - auch wenn das Abitur ansteht. "Im März schreibe ich drei Klausuren in Physik, Mathematik und Englisch. Im Mai sind dann meine mündlichen Fächer dran, WiPo und Sport mit zwei praktischen Prüfungen in Volleyball und Leichtathletik."

Der Countdown für die Sport-Abiprüfungen im Mai läuft

Sport? Praktische Prüfungen? Mit dieser Vorgeschichte? "Das ist ein heikles Thema", sagt die 18-Jährige, "die OP ist zwar gut verlaufen, und Dr. Queitsch hat grünes Licht gegeben. Ich mache mir aber trotzdem Sorgen, weil man beim Volleyball ähnliche Bewegungen wie beim Handball machen muss. Das ist auch mit Tapeverband und Bandage sicherlich nicht gut fürs Gelenk. Aber fürs Abi werde ich eine Ausnahme machen."

Annika Wollermann, die 2007 in den Disziplinen Ballwurf, 75 Meter und Vierkampf Leichtathletik-Kreismeisterin der Altersklasse W 13 war, hat gelernt, die Zähne zusammenzubeißen. Bandscheibenvorfall, zwei Bänderrisse im linken Sprunggelenk, drei einfache Nasenbeinbrüche inklusive Korrekturoperation - diese schweren und viele kleinere Blessuren haben sie immer wieder zurückgeworfen. "In den letzten beiden Jahren konnte ich eigentlich nie drei Monate am Stück trainieren. Meine Formkurve hat deshalb kontinuierlich nach unten gezeigt, das war extrem frustrierend für mich."

Aber: Annika Wollermann wird das Handballspielen trotzdem sehr vermissen. "Alles andere wäre auch nicht normal, das war immerhin ein ganz wichtiger Teil meines Lebens. Und ich habe ja auch viele schöne Momente erlebt." Beispielsweise den Eulencup 2009 in Tarp, einem hochkarätig besetzten B- Jugend-Turnier, bei dem sie zur besten Spielerin gewählt wurde. Oder aber den Einzug ins Viertelfinale der spanischen B-Jugend-Meisterschaft mit Carabanchel Madrid. Dem Verein, für den sie während eines Auslandsaufenthalts sechs Monate lang auflief.

Begonnen hat Annika Wollermann ihre Handball-Laufbahn in der F-Jugend des SV Henstedt-Ulzburg, unter der Regie von Erich Eggenstein (C- und D-Jugend) machte sie große Fortschritte, von denen sie auch in der dreijährigen Zusammenarbeit mit Tina Bahnsen profitierte. Das Nachwuchs-Ass durchlief die Auswahlteams auf Kreis- und Landesebene, Annika war sogar eine Kandidatin für die C-Jugend-Nationalmannschaft. Nach einem Intermezzo beim Elmshorner HT und der Rückkehr zum SVHU galt sie als Hoffnungsträgerin der Drittliga-Frauencrew. "Trainer Volker Paul hat sich intensiv um mich gekümmert. Ich bin sehr traurig darüber, dass ich mich bei ihm für seine Mühe nicht mit starken Leistungen bedanken konnte."

Vater Claus sowie Mutter Rebecca waren und sind eine große Hilfe

Den Abschied vom aktiven Handball hat Annika Wollermann inzwischen schweren Herzens akzeptiert. Sehr geholfen haben ihr dabei Vater Claus und Mutter Rebecca. "Beide waren und sind immer für mich da."

Langeweile kennt sie aufgrund ihrer vielen Interessen und Talente eh nicht. Die frühere Jahrgangs- und Schülersprecherin liebt es, zu diskutieren und zu debattieren. Sie mag Philosophie und Rollenspiele wie das United Nations Model, ist Mitglied des Landesschülerparlaments, spielt Querflöte und Klavier, ist maßgeblich am Projekt Schulkleidung und dem Talented-Musikwettbewerb beteiligt, wird demnächst zusammen mit Steffen Bahr die Handballmannschaften des Alstergymnasiums auf den Wettbewerb "Jugend für Olympia" vorbereiten, hat sich als Betreuerin für die weibliche E-Jugend des SV Henstedt-Ulzburg zur Verfügung gestellt. Und, und, und...

Nicht zu vergessen: Annika Wollermann, deren Großonkel Johann Hansen (TSV Medelby) 2001, 2005 und 2008 Weltmeister im Wurf-Fünfkampf war, schmiedet bereits Pläne für eine zweite sportliche Karriere. "Mich wirft so schnell nichts um. Ich bin nicht der Typ, der den Kopf hängen lässt und schaue immer nach vorn." Ihr aktueller Favorit ist - wen wundert's - Wasserball. "Das ist einerseits gelenkschonend, andererseits aber auch ein harter Teamsport, bei dem man sich richtig auspowern kann. So etwas liegt mir."