Sonja Scheibl aus Itzstedt startet in London in den Royal Artillery Barracks als einzige deutsche Teilnehmerin im Trap-Wettbewerb.

Itzstedt. "Ein Maskottchen habe ich nicht. Denn dann müsste ich ja auf noch eine Sache mehr aufpassen. Und es gibt schließlich so viel zu beachten", sagt Sonja Scheibl.

Dabei könnte die 32 Jahre alte Itzstedterin am Sonnabend, 4. August, alles Glück dieser Welt gebrauchen. Denn dann steht der Wurfscheibenschützin des Itzstedter SV, dem sie auf Anregung ihrer Eltern Heidi und Gerd Günter im zarten Alter von 13 Jahren beigetreten ist, der Höhepunkt ihrer bisherigen Sportler-Laufbahn bevor: Der Blondschopf startet für Deutschland bei den Olympischen Sommerspielen in London im Trapschießen.

+++ Sonja Scheibls Erfolge +++

Der Weg dorthin war allerdings lang und steinig. Für die Tischlermeisterin, die anders als viele Kadermitglieder des Deutschen Schützenbunds (DSB) nicht in einer Sportkompanie dient, sondern in der Möbeltischlerei Adam Design in Bad Segeberg ganz normal ihrem erlernten Beruf nachgeht, schien die Olympia-Nominierung zu Saisonbeginn noch so weit entfernt zu sein wie der Zwergplanet Pluto von der Sonne.

"Mein erster Weltcup-Wettbewerb des Jahres 2012 lief Ende März in Tucson/Arizona für mich nur so lala", sagt Sonja Scheibl und umschreibt mit einem entwaffnenden Lächeln den für sie unbefriedigenden 29. Platz mit gerade einmal 61 getroffenen von 75 möglichen Scheiben. Ihre Konkurrentinnen Jana Beckmann (Magdeburg/4.) und Katrin Quooß (Heiligengrabe/23.), die im Juli 2011 beim Weltcup in Maribor für Deutschland den Olympia-Startplatz erkämpft hatte, schnitten wesentlich besser ab.

"Ab April war meine Leistung dann aber so, wie ich sie mir erhofft habe. Meine Technik konnte ich dank der Tipps von Bundestrainer Wilhelm Metelmann erheblich verbessern", so die 32- Jährige, die fast immer alleine üben muss. "Einen Heimcoach habe ich hier in Itzstedt nicht. Ich gehe auf die Anlage, versuche beim Training, das Gesagte umzusetzen - und beim nächsten Verbandstreffen überprüfen wir dann, ob die Hinweise gefruchtet haben."

Gelungene Generalprobe auf dem Schießstand in London

Schon vier Wochen nach Tucson setzte sich Sonja Scheibl beim nächsten Weltcup an die Spitze des deutschen Trap-Damentrios. Mit 65 getroffenen Scheiben ließ sie als 14. Jana Beckmann (22./64) und Katrin Quooß (31./61) an einem überaus regnerischen Tag auf der Olympia-Schießanlage von London, den Royal Artillery Barracks, hinter sich. Ein gutes Omen? Vielleicht. Aber der Wettkampf brachte ihr auf jeden Fall die Gewissheit, dass sie Fehler auch unter Druck kompensieren kann.

"Ich hatte wegen des Regens meine Beretta mit einem Tuch abgedeckt und darüber vergessen, die Flinte zu laden", erinnert sich die Olympia-Fahrerin, "als dann beim nächsten Versuch kein Schuss losging, war die Konzentration zum Glück nur für zwei weitere Scheiben flöten. Danach habe ich wieder gut getroffen."

Die 32-Jährige holt sich als EM-Vierte das Olympia-Ticket

Doch auch London war nur ein Formtest. Allen drei deutschen Schützinnen war klar, dass es erst am 17. Mai bei den Europameisterschaften auf Zypern um das Olympia-Ticket gehen würde. "Neben Starterinnen aus China und den USA sehe ich in den Slowakinnen, Italienerinnen, Russinnen und vielleicht noch den Frauen aus Finnland und Spanien die Medaillenfavoriten für London", so Scheibl, "und alle waren in Larnaka am Start."

Ideale Bedingungen also, um Coach Metelmann die von ihm gerne eingeforderte Wettkampfhärte zu demonstrieren. Und Sonja Scheibl war bereit, hatte nach der Vorrunde 69 Treffer auf ihrem Konto - fünf mehr als Katrin Quooß, und sogar zehn mehr als Jana Beckmann. Ein Stechschuss gegen drei andere Konkurrentinnen brachte ihr den Einzug ins Finale.

Dass es dort mit 90 Treffern und einer 5:6-Niederlage im Stechen um Platz drei gegen Federica Caporuscio/Italien "nur" zu Rang vier reichte, war unerheblich. "Als ich in den Endkampf ging, wusste ich bereits, dass ich zu den Olympischen Spielen reisen würde. Die letzten Schüsse waren für mich nur noch die Kür, das war ein wirklich tolles Gefühl."

Diese Euphorie ist nach der offiziellen Nominierung durch den Deutschen Olympischen Sportbund im Juni erst einmal einer Reihe von Verpflichtungen gewichen. "Unglaublich, wer mich alles zu Ehrungen, Präsentationen oder sonst was einladen wollte", sagt der "Stolz des Itzstedter SV", wie Vereinschef Günther Kaste seine Vorzeigeschützin liebevoll nennt, "aber den meisten habe ich absagen müssen; ich bin schließlich berufstätig."

Doch an einem Termin gab es kein Vorbeikommen. Nachdem sie tags zuvor im Wiesbadener DSB-Stützpunkt einige Formalitäten zu erledigen hatte, durfte Sonja Scheibl am 28. Juni in Mainz ihre offizielle Olympia-Garderobe in Empfang nehmen. Scheibl: "Da sind allein vier verschiedene Jacken dabei, für jeden Anlass eine. Aber was soll ich mit einem Reise-Duschkopf? Soweit kommt es noch, dass ich im Olympischen Dorf den Duschkopf abschraube und austausche."

Zimmergenossin ist Pistolenschützin Munkhbayar Dorjsuren

Vielleicht kommt ja ihre Zimmergenossin, die Bronzemedaillengewinnerin von den Olympischen Spielen 2008 in Peking, Pistolenschützin Munkhbayar Dorjsuren aus München, auf diese Idee. "Theoretisch könnten wir während der gesamten Spiele eine Mädels-WG aufmachen. Die Zimmer sind durchgehend geblockt, aber so viel Zeit kann ich mir nicht nehmen."

Für ihre wettkampffreien Tage in der britischen Hauptstadt hat Sonja Scheibl noch keine Pläne. "Ich reise am 1. August an, also fünf Tage nach der Eröffnungsfeier. Und egal, wie es für mich ausgeht: Am 7. August geht mein Flieger zurück nach Hamburg." Tags darauf steht sie wieder an ihrem Arbeitsplatz in der Möbeltischlerei von Klaus-Peter Adam. "Aber vielleicht fange ich dann etwas später als normal an, so gegen 9 Uhr. Schau'n wir mal..."

Früher als Sonja Scheibl wird in London die 21 Jahre alte Dänin Stine Nielsen antreten. Die Sportschützin von der Ostseeinsel Fünen, die in Luftgewehr-Ligawettkämpfen für die BSG Stadtwerke Norderstedt antritt, startet am Sonnabend, 28. Juli, um 9.15 Uhr in der Luftgewehr-Konkurrenz der Olympischen Sommerspiele. Außerdem kämpft sie am 4. August von 9 Uhr an mit dem Kleinkaliber-Gewehr im Dreistellungskampf um Edelmetall.