Der Schachklub Norderstedt darf sich berechtigte Hoffungen auf den Aufstieg in Deutschlands Eliteklasse machen. Zwei Siege reichen aus.

Norderstedt. Bekommt die fünftgrößte Stadt Schleswig-Holsteins nach den Bogenschützen bald noch ein zweites Bundesliga-Team?

Nachdem die erste Mannschaft des Schachklubs Norderstedt vor knapp vier Wochen mit 4,5:3,5 gegen den SV Werder Bremen II gewonnen und sich auf Platz eins der 2. Bundesliga Nord vorgeschoben hatte, sprachen alle Beteiligten von einer Momentaufnahme. Doch nach dem überraschend deutlichen 5,5:2,5-Erfolg beim Lübecker SV scheint selbst das Undenkbare möglich: Der SKN klopft energisch ans Tor zum Oberhaus - mit zwei Siegen in den beiden noch ausstehenden Punktspielen beim Hamburger SK II (18. März) und gegen den SSC Rostock 07 (15. April) wäre der Sprung in die aus 16 Vereinen bestehende Elitestaffel perfekt.

Rüdiger Schäfer, Chef des 1975 gegründeten SK Norderstedt, hat - wie es sich für den Vorsitzenden eines Schachklubs gehört - deshalb schon einige Züge vorausgedacht, die positiven und negativen Aspekte eines möglichen Aufstiegs abgewogen, um für den Fall der Fälle gewappnet zu sein. Seine klare Ansage: "Wir alle verfolgen fasziniert, was die Mannschaft leistet. Sollten wir uns tatsächlich für die Bundesliga qualifizieren, würden wir dieses Abenteuer optimistisch und mit großer Freude in Angriff nehmen. Das wäre doch ein absolutes Highlight."

Sportlich - da sind sich Aktive und Funktionäre einig - wäre das Norderstedter Team in seiner jetzigen Konstellation eine leichte Beute für die Konkurrenz. "Um mit den etablierten Vereinen im Oberhaus einigermaßen mithalten zu können, müssten wir uns an den ersten vier Positionen verstärken", sagt Christian Michna, der beim SKN an Brett neun gemeldet ist. Kostspielige Verpflichtungen kann sich der 1975 gegründete und 60 Mitglieder starke Verein aber nicht leisten. Rüdiger Schäfer: "Uns fehlt das Geld, um Könner mit gehobenem internationalen Niveau anzulocken."

Oliver Zierke, die Nummer sieben des SKN, bringt allerdings noch eine andere Variante ins Spiel. "Die Schach-Bundesliga gilt als die stärkste Klasse der Welt, die Plätze an den Spitzenbrettern sind heiß begehrt. Demzufolge wären wir sicherlich interessant für Akteure, die anderswo nicht zum Zug kommen, aber auf sich aufmerksam machen und den eigenen Marktwert steigern möchten. Solchen Leuten ist das Geld nicht ganz so wichtig."

Apropos Finanzen: Rüdiger Schäfer beziffert den Etat für eine Serie in der Bundesliga auf knapp 20 000 Euro. Den Löwenanteil verschlingen dabei die Reise- und Übernachtungskosten. Außerdem wäre der SK Norderstedt dazu verpflichtet, zusammen mit einem anderen Erstliga-Klub mindestens ein Punktspielwochenende auszurichten. Dafür müsste der SKN jedoch spezielle Schachbretter, -uhren und -figuren anschaffen oder mieten. Denn nur mit diesem High-Tech-Equipment ist es möglich, die Bundesliga-Partien - wie vom Deutschen Schachbund gefordert - live im Internet zu präsentieren. "Das sind ganz andere Dimension als in der 2. Bundesliga, da wäre jeder Sponsor willkommen. Aber noch ist sportlich ja nicht alles klar", sagt Schäfer.

Übrigens: Die Norderstedter würden auch ohne Verstärkung mit ihrem aktuellen Kader eine Saison lang Bundesliga-Luft schnuppern - gewissermaßen als Belohnung für die grandiose Saison 2011/2012. Denn der Höhenflug des SKN in der laufenden Punktrunde ist keine Selbstverständlichkeit.

Vor noch nicht einmal zwei Jahren lag die Mannschaft nach dem Abstieg in die Oberliga Schleswig-Holstein am Boden. Verstärkt durch Falko Meyer, der von den Hamburger Schachfreunden nach Norderstedt wechselte, und Arne Jochens (Meerbauer Kiel) schaffte das Team dann aber auf Anhieb die Rückkehr in die zweithöchste deutsche Klasse und ist nun nur noch zwei Schritte vom größten Triumph der Vereinsgeschichte entfernt.

Drei Zweitliga-Teams haben eine höhere ELO-Zahl als der SKN

Nimmt man die ELO-Zahl, die die Spielstärke eines Wettkampf-Denksportlers beziffert, als Gradmesser, dürfte der SK Norderstedt nie und nimmer die Tabelle der 2. Bundesliga Nord anführen. Christian Michna: "Das zweite Team von Werder Bremen, der SSC Rostock 07 und der Lübecker SV haben statistisch einen besseren Gesamtwert. Das beweist, dass wir in dieser Saison am oberen Limit, manchmal sogar wie im Rausch spielen. Aber auch im Schach stärken Erfolge das Selbstvertrauen - und so gewinnt man auf einmal Wettkämpfe, die man sonst sang- und klanglos verloren hätte."

Maßgeblichen Anteil am "Lauf" des SK Norderstedt hat Michnas Ehefrau Marta. Die gebürtige Polin, die in der Frauen-Bundesliga für den Hamburger Schachklub antritt und seit heute für Deutschland bei der Europameisterschaft in Gaziantap/Türkei startet, hat an Brett vier alle fünf Partien gewonnen - den Bremer Sven Joachim bezwang sie dabei in nur 24 Zügen...