Bad Bramstedt. Nach massiver Kritik ist Verena Jeske krank geschrieben. Aufgeben will sie jedoch nicht. Was viele Politiker an ihrer Arbeit stört.

Abwahl, Auszeit, Demontage – diese Begriffe fallen in diesen Wochen am häufigsten, wenn sich die Bewohner von Bad Bramstedt über ihre Bürgermeisterin unterhalten. Nach endlosen Streitereien wird in der Kurstadt über Verena Jeske so viel diskutiert wie über keine andere Person in den vergangenen Jahrzehnten.

Vorläufig letzter Höhepunkt der Debatten: Jeske riet ihren Kritikern in der Stadtverordnetenversammlung, ihre eigene Abwahl zu organisieren, wenn sie nicht mit ihrer Arbeit zufrieden sind. Kurz darauf verlor sie zwei wichtige Posten in der Stadt, wurde als Vorsteherin des Schulverbandes und als Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke abgewählt.

Bürgermeisterin weiter unter Druck – derzeit ist Jeske krank geschrieben

Die Lager stehen sich kaum versöhnlich gegenüber: CDU, FDP und Grüne kritisieren ihre Amtsführung scharf und nennen immer wieder Alleingänge der Rathauschefin. Auf der anderen Seite stehen die Fans der 44-Jährigen, die sich über eine entscheidungsfreudige Bürgermeisterin mit eigenen Ideen freuen. Dazu gehört zum Beispiel die SPD, die Jeske zur Bürgermeisterwahl ins Rennen schickte und einen Überraschungserfolg erzielte – sie siegte 2018 überlegen gegen den langjährigen Amtsinhaber Hans-Jürgen Kütbach (FDP).

Derzeit ist Verena Jeske krank geschrieben. Sie verhehlt nicht, dass die andauernden Querelen sie körperlich und psychisch belasten. Offen spricht sie von einer Auszeit. Ihre Arbeitsunfähigkeit endet am Wochenende; danach geht sie in den Urlaub. „Was passiert ist, war zu viel“, sagt die Bürgermeisterin. „Ich bin ein Mensch und keine Maschine“.

Anti-Jeske-Dreier-Koalition macht der Bürgermeisterin das Leben schwer

Selbst diese Auszeit nehmen Kritiker zum Anlass, die Bürgermeisterin ins Visier zu nehmen. Nachdem sie während der Arbeitsunfähigkeit ein Interview für die „Segeberger Zeitung“ gegeben hatte, schrieb der Bramstedter FDP-Grande Jürgen Koppelin einen Leserbrief an das Blatt und äußerte Befremden, wie jemand mit den Medien reden könne, wenn er krank geschrieben sei.

Eine kleine, zu erwartende Attacke des politischen Gegners, könnte man meinen. Der Brief passt jedoch in das Vorgehen der Anti-Jeske-Dreier-Koalition. Schon kurz nach ihrem Amtsantritt im Jahr 2019 tauchte die erste Kritik über Jeske auf, die deutlich forscher als ihr Vorgänger Themen anpackte und sich zum Ziel setzte, die Verwaltung zu modernisieren und die Infrastruktur zeitgemäß auszubauen: Die Feuerwache muss dringend ersetzt werden, gewinnträchtiges Gewerbe fehlte, das Kulturprogramm war mau.

Die Bürgermeisterin postet „Kurzer Rock und langer Atem“

An die Öffentlichkeit gelangten zunächst Bemerkungen hinter vorgehaltener Hand, die zwar gehässig waren, aber rein gar nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatten. Die kurzen Röcke der Bürgermeisterin wurden dabei ebenso thematisiert wie ihre Herkunft als „Ossi“ und die Nähe zur SPD. Jeske reagierte cool und postete auf Facebook den Spruch „Kurzer Rock und langer Atem“.

Dann unterlief der kommunalpolitisch noch unerfahrenen Jeske ein entscheidender Fehler: Sie verkaufte unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein großes Grundstück an einen Investor, der im Südosten der Stadt das neue Wohnquartier „Auenland“ für bis zu 700 Wohnungen bauen wollte, trieb die Planungen voran und unterschätzte dabei den Widerstand derer, die ein Projekt dieser Größe ablehnten. Zum einen aus Gründen des Naturschutzes, zum anderen, weil Bad Bramstedt seinen Charme als Kleinstadt verliere. „Sie hat versäumt, die Bürger mitzunehmen“, sagte dazu ein Kollege Jeskes.

Der Besuch beim Kindergeburtstag war nicht zu beanstanden

Es folgten Versuche, ihr rechtliche Verfehlungen nachzuweisen. Zum Beispiel fragte die Dreierkoalition bei der Kommunalaufsicht nach, ob die Bürgermeisterin einen Vertreter zu einer Ausschusssitzung schicken dürfe, damit sie mit ihren Kindern Geburtstag feiern könne. Sie durfte. Ebenso antworteten die Juristen der Kreisverwaltung auf eine Frage aus der Politik zu einer Stellenbesetzung. Auch in diesem Punkt bekam Jeske recht.

Danach zu fragen, sei das gute Recht der Politik, sagte dazu der Grünen-Fraktionsvorsitzende Gilbert Sieckmann-Joucken. Der scharfzüngige Politikwissenschaftler steht häufig vor der Kamera eines lokalen Fernsehsenders, um seine Kritik an Jeske zu äußern.

Bramstedter Politik lehnt Gründung eines Ältestenrats ab

Danach drehte sich die Eskalationsspirale immer schneller bis zur aktuellen Situation. Daran änderte auch der Vorschlag der Bürgermeisterin nichts, einen Ältestenrat zu gründen, um die Kommunikation mit der Politik zu verbessern, die immer wieder die Alleingänge der Chefin im Rathaus kritisiert hatte. Auch eine Mediation führte zu keinem Ergebnis.

Die FDP will sich derzeit nicht äußern, was sie an der Arbeit der Bürgermeisterin stört. Antworten darauf würden die Situation weiter verschärfen, auch wenn es dazu viel zu sagen gäbe, schrieb die Ortsvorsitzende Kathrin Parlitz-Willhöft an die Redaktion des Abendblatts.

Reimer Fülscher (CDU) gehört zu den schärfsten Kritikern von Verena Jeske.
Reimer Fülscher (CDU) gehört zu den schärfsten Kritikern von Verena Jeske. © Privat | Reimer Fülscher

Christdemokrat würde antreten, „wenn sich kein Geeigneterer findet“

Die CDU hatte direkt nach ihrem deutlichen Stimmengewinn bei der Kommunalwahl damit begonnen, nach einem Nachfolger für Jeske zu suchen. Gespräche darüber lehnte die FDP jedoch als verfrüht ab. Dass die Christdemokraten einen Gegenkandidaten bei der Bürgermeisterwahl im kommenden Jahr aufstellen werden, gilt als sicher. Der stellvertretende Bürgermeister, Ortsvorsitzende und Eisenwarenhändler Reimer Fülscher, brachte sich mit der Bemerkung ins Spiel, er würde selbst antreten, „wenn sich kein Geeigneterer findet“.

„Ein Abwahlverfahren kommt im Moment für die CDU nicht in Frage, wird aber auch nicht mehr ausgeschlossen“, schrieb die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Merle Lauff. Dass Jeske mit den Stimmen der CDU die wichtigen Posten im Schulverband und im Aufsichtsrat der Stadtwerke verloren hat, hält die Partei für einen normalen Vorgang. Das davon jedoch keine Rede sein kann, beweist der Blick in die Vergangenheit der Stadt und in die Nachbarorte.

Grüne: Die Bürgermeisterin hat massiv Vertrauen verspielt

Der Grüne Sieckmann-Joucken listet eine ganze Reihe von Kritikpunkten auf, nennt dabei ein Thema, das auch in anderen Kommunen zu Zerwürfnissen geführt hat: Ist die Spitze der Verwaltung nur ausführendes Organ der örtlichen Politik oder sollte sie selbst Themen anpacken und in die kommunalen Parlamente einbringen?

Gilbert Sieckmann-Joucken, Fraktionschef der Grünen, kann sich eine Fortsetzung der Mediation vorstellen..
Gilbert Sieckmann-Joucken, Fraktionschef der Grünen, kann sich eine Fortsetzung der Mediation vorstellen.. © Grüne | Grüne

„Die Bürgermeisterin gibt Ziele, Ideen und Vorstellungen vor und meint, dass Politik dies umzusetzen habe. Erfolgt dies nicht, wird Politik wahlweise des Mobbings, fehlenden Willens, Fehlen eines Roten Fadens etc. beschuldigt und beschimpft“, sagt Sieckmann-Joucken. Außerdem wirft er der Bürgermeisterin vor, Beschlüsse der Politik nicht umzusetzen. Jeske habe Vertrauen massiv verspielt. Eine Fortsetzung der Mediation könne möglicherweise dazu führen, ihre Amtszeit „anständig“ zu Ende zu bringen.

Verena Jeske will erneut zur Bürgermeisterwahl antreten

Und Verena Jeske? Sie will weitermachen und bei der Wahl im kommenden Jahr erneut antreten – so, wie sie es beim Amtsantritt versprochen hat. „Man sucht permanent Fehler bei mir, aber es ist bislang nichts hängengeblieben“, sagt sie über die Versuche ihrer Kritiker, ihr Fehlverhalten nachzuweisen. Jetzt werde versucht, sie zu demontieren.

Dass die Bürgermeisterin viele Projekte wie neue Wohn- und Gewerbegebiete, den Bau der Feuerwache und des MVZ angeschoben habe, hält sie für zwingend notwendig. Dazu gehören nach ihrer Einschätzung auch scheinbar nebensächlich Themen wie ein Generalentwässerungsplan, der fehlt. Inzwischen führt diese Lücke dazu, dass der Kreis diverse Projekte nicht mehr genehmigt, weil der Hochwasserschutz in der von mehreren Flüssen durchzogenen Stadt nicht gewährleistet sei.

Ihren Vorgänger Hans-Jürgen Kütbach nennt Jeske nicht beim Namen

Wer für die Versäumnisse verantwortlich ist, steht für Jeske außer Frage: ihr Vorgänger Kütbach, den sie nicht beim Namen nennt, und eben jene Politiker, die ihr das Leben schwer machen. „Ich wurde von den Bürgern gewählt, um Themen anzupacken, die Jahre lang liegen geblieben sind“, sagt die Bürgermeisterin. „Ich werde mit Volldampf daran arbeiten, solange ich Bürgermeisterin bin.“

Wenn es nach ihrer Hausmacht in der Stadtverordnetenversammlung, der SPD, geht, soll Verena Jeske ihre Arbeit in der nächsten Wahlperiode fortsetzen. „Frau Jeske wurde im Jahr 2018 gewählt, weil sich ihre Wählerinnen und Wähler wünschten, unseren Ort aus seiner Rückständigkeit herauszuführen und so aufzustellen, dass die Stadt moderner und attraktiver wird“, sagt der Stadtverordnete Jan-Uwe Schadendorf.

SPD: Kritiker der Bürgermeisterin waren Fans ihres Vorgängers

Er hat in der Kommunalpolitik die Gegner des Jeske-Kurses genau bei den Kollegen ausgemacht, die sich 2018 für ihren Vorgänger und Gegenkandidaten eingesetzt haben. „Dieser Widerstand hat leider Formen angenommen, die mit respektvollem Umgang wenig zu tun haben und die man – wie die jüngsten Vorgänge um Stadtwerke und Schulverband – nur noch als Versuch der Demontage und bewussten Demütigung bezeichnen kann“, sagt Schadendorf.

Und auch diesen Satz schrieb er der politischen Konkurrenz ins Stammbuch: „Die frei gewählte Kommunalpolitik hat die Aufgabe mit der ebenso frei gewählten Bürgermeisterin zum Wohle der Stadt zusammenzuwirken und nicht gegen sie zu arbeiten.“

Wenn die Parteien die Vertrauensfrage nicht stellen und damit zu verstehen geben, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler diese Bürgermeisterin weiterhin im Amt sehen wollen, dann hätten sie in der Konsequenz auch die Pflicht, mit ihrer Obstruktion aufzuhören und im Interesse der Stadt mit Verena Jeske konstruktiv zusammenzuarbeiten, sagt Schadendorf.