Berlin/Norderstedt. Athleten der Norderstedter Werkstätten stehen im Finale der Special Olympics. Wer Chancen auf Gold hat.

Emotionaler Start für die Athleten der Norderstedter Werkstätten bei den Special Olympics World Games in Berlin. Läufer Jan Brückner (32) hat bei der Qualifikation im 200-Meter-Sprint mit 27,4 Sekunden eine neue persönliche Bestzeit aufgestellt, dann im Finale eine Medaille aber knapp verpasst. In einem knappen Rennen erreichte der 32-Jährige den 5. Platz.

Special Olympics: Emotionaler Start mit persönlicher Bestzeit

Der Tag startete unter schwierigen Bedingungen: Das deutsche Leichtathletik-Team wollte sich gerade einlaufen, als es in Berlin zu regnen anfing. Innerhalb kürzester Zeit stand die Bahn im Hanns-Braun-Stadion unter Wasser. „Oh je“, sagte Jan Brückner, der hier heute sein Finale im 200-Meter-Lauf antreten sollte. „Selbst mit Spikes ist das gefährlich.“

Das befanden dann auch die Veranstalter und verschoben die Wettbewerbe um eine Stunde. Jan Brückner reagierte erleichtert auf die Entscheidung. „Ich will hier heute meine persönliche Bestzeit aufstellen, das geht nicht auf nasser Bahn“, so der 32-Jährige. Aus den Lautsprechern im Hanns-Braun-Stadion läuft „It’s Raining Men“.

Franz Bechler (34) singt laut mit und wippt mit dem Fuß im Takt der Musik. Er ist entspannt. Das Finale im Mini-Speer – seiner Paradedisziplin – findet erst morgen statt. Heute muss er nur in der Klassifizierung antreten, die darüber entscheidet, in welcher Gruppe er morgen im Finale steht.

Special Olympics World Games: Die größte Sportveranstaltung seit Olympischen Spielen

Das Hanns-Braun-Stadion liegt nur ein paar Meter vom Olympiastadion entfernt. Vor ein paar Wochen hat Franz Bechler dort für Coca Cola einen Werbespot gedreht. Schon damals hat er davon geträumt, hier eine Medaille zu gewinnen. Hier – bei den Special Olympics Word Games, der weltweit größten Sportveranstaltung für Menschen mit geistiger Behinderung.

Mit mehr als 7000 Athleten und Athletinnen aus der ganzen Welt ist es das größte Sportevent in Deutschland seit den Olympischen Spielen 1972. Zum ersten Mal finden die Weltspiele in Deutschland statt – und das Team der Norderstedter Werkstätten ist mit acht Sportlern dabei!

Wenn Franz Bechler den Mini-Speer in der Hand hält, ist er hochkonzentriert – so wie hier auf dem Foto, als er für Coca Cola einen Werbespot im leeren Olympiastadion gedreht hat.
Wenn Franz Bechler den Mini-Speer in der Hand hält, ist er hochkonzentriert – so wie hier auf dem Foto, als er für Coca Cola einen Werbespot im leeren Olympiastadion gedreht hat. © Miriam Opresnik

Dabeisein ist alles! Trotzdem wollen Norderstedter Athleten eine Goldmedaille holen

Als sie heute morgen um kurz vor 8 Uhr am Olympiastadion aus der S-Bahn gestiegen sind, haben sie auf einer dieser riesigen Plakatwände ein Bild von Franz gesehen, das für die Coca-Cola-Kampagne gemacht wurde. „Das war vielleicht irre“, sagt Franz Bechler und grinst.

Für ihn und Jan Brückner ist das Ziel klar: Gold. Auch wenn es heißt, Dabei sein sei alles – die beiden Athleten aus Norderstedt wollen unbedingt eine Medaille holen. „Für meine Mutter und meine Freundin Jana und das ganze deutsche Team“, sagt Franz Bechler. „In meinem Herzen ist Jana drinnen, das bringt mir Glück. Ich habe einen Glücksbringer im Herzen.“

Ein Müsliriegel für den leeren Magen und die Nerven

Als ein Athlet aus Gibraltar mit einer Gold-Medaille um dem Hals auf die Athleten-Tribüne kommt, blicken Franz und Jan sehnsüchtig zu ihm. „Wenn ich so eine gewinne, leg ich die nie wieder ab“, sagt Franz, und Jan meint: „Ich würde die im Bilderrahmen in mein Zimmer hängen.“

Während der Regen auf das Zeltdach der Athleten-Tribüne prasselt, geht Franz Bechler immer wieder die Bewegungsabläufe durch. Aufgeregt sei er nicht. Nur glücklich! „Es ist so toll, hier zu sein“, sagt er und strahlt. Die Regenpause nervt ihn. „Ich will endlich anfangen.“ Er greift zu einem Müsliriegel, heute Morgen hat er weniger gefrühstückt, damit ihm das Essen nicht so schwer im Magen liegt. Jetzt bekommt er langsam Hunger.

Langsam wird es heller, der Regen hört auf. Mit großen Walzen werden die Bahnen getrocknet. Jan Brückner blickt immer wieder auf die Uhr. Ob die Bahn rechtzeitig trocken ist? Er will endlich raus.

Jan Brückner stellt in der Qualifikation seinen persönlichen Rekord auf

Er startet im 200 Meter Lauf, ein Heimspiel für ihn. Gestern hatte er sich für das heutige Finale qualifiziert – und einen neuen persönlichen Rekord aufgestellt. 27,4 Sekunden. In einem fantastischen Fight hatte er sich mit der Startnummer 1191 auf den letzten Metern einen Vorsprung erlaufen und sicherte sich den Sieg in seiner Gruppe. Angefeuert von den lauten „Jani, Jani“-Rufen seiner Eltern Raymond und Christa Brückner.

Jan Brückner bei der Klassifizierung im 200 Meter Lauf.
Jan Brückner bei der Klassifizierung im 200 Meter Lauf. © Michael Richter

Die beiden sind bei jedem Training, jedem Wettkampf dabei, um ihren Sohn anzufeuern und zu unterstützen. „Wir sehen, wie gut ihm der Sport tut und wie viel Selbstbewusstsein ihm die Wettkämpfe geben“, sagt sein Vater Raymond. Als Jan am Sonnabend bei der Eröffnungsfeier ins Olympiastadion eingelaufen ist, sei er so unglaublich stolz gewesen, dass es dafür kaum ein passendes Wort gibt.

Special Olympics: In den Klassifizierungen werden gleich starke Teilnehmer ermittelt

Da die Athleten nach ihrer Bestmarke klassifiziert werden, starten sie in Gruppen, bei denen die Teilnehmer in etwa gleich stark sind. Das Klassifizierungssystem von Special Olympics ist einzigartig in der Sportlandschaft. Es berücksichtigt das Leistungsvermögen der Sportler und Sportlerinnen.

So starten in einer Leistungsgruppe jeweils höchstens acht Teilnehmer, die ein vergleichbares Niveau haben. „Wir wollen ja spannende und ausgeglichene Wettbewerbe sehen“, sagt Tom Hauthal, der Direktor Sport und Bildung bei Special Olympics Deutschland (SOD).

„Und alle sollen die faire Chance auf gute Platzierungen haben, eben ihrem Leistungsvermögen entsprechend.“ Deshalb werden in den ersten Tagen die Klassifizierungs-Wettbewerbe ausgetragen, nach deren Ergebnissen die Gruppen für die Finals zusammengestellt werden.

Während sich Franz Bechler langsam warm macht, greift Jan Brückner nach seiner blauen Fleece-Decke und breitet sie über vier Sitzen aus. Er will sich kurz hinlegen, runterkommen, alles ausblenden. Das macht er immer vor einem Wettkampf, bevor er zum Aufwärmen geht. Er braucht die Auszeit, um den Kopf leer zu bekommen.

Franz Bechler startet im Mini-Speer-Wurf, Jan Brückner im 200-Meter-Lauf

Es ist 14.56 Uhr, als Franz Bechler nach dem Mini-Speer greift und in Stellung geht. Dann spult er die Bewegungsabläufe ab, der Speer fliegt ihm hohen Bogen. Das war ordentlich“, klingt der Kommentar aus dem Lautsprecher, noch bevor die Weite angesagt wird. Es sind 15,31 Meter. Sein Rekord liegt bei 20.30 Meter. Franz freut sich trotzdem, springt in die Luft und streckt eine Faust in die Luft. „Morgen im Finale will ich noch eine Schippe drauflegen“, kündigt er an.

Jan Brückner bekommt davon nichts mehr mit. Er macht sich für sein großes Finale bereit. Irgendwo in der Kurve stehen seine Eltern und feuern ihn an, doch sobald er auf der Bahn ist, blendet er alles aus. Denn hört er keine Rufe, keine Stimmen, keine Musik. Dann hört er nur seine innere Stimme, die ihn antreibt.

Die Stimmung im Stadion ist überwältigend. Immer wieder brechen die Teams in Jubel aus, wenn ein Wettbewerb startet – egal, wer antritt, ob es jemand aus der eigenen Mannschaft oder einer anderen ist. Jeder wird angefeuert, jede Leistung gewürdigt.

Auf den Spuren des schnellsten Mannes der Welt

Es ist 15.29 Uhr, als Jan Brückner auf die Kunststoff-Bahn des Hanns-Braun-Stadions tritt und ein letztes Mal die Beine ausschüttelt. Die Konkurrenz ist stark, wer sich in den letzten Tagen für diese Gruppe qualifiziert hat, ist so schnell wie er – und noch schneller.

Der 32-Jährige ist hochkonzentriert. Er will mit kleinen schnellen Schritten in der Kurve starten und dann auf der Geraden lange Schritte machen. Nur ein paar Meter von hier entfernt wurde 2009 der Weltrekord in der 200-Meter-Distanz aufgestellt. Der Jamaikaner Usain Bolt schaffte die Strecke in 19,19 Sekunden und ist bis heute der schnellste Mann der Welt.

Norderstedter stellt persönliche Bestzeit auf, verpasst aber eine Medaille

Inzwischen ist die Sonne wieder rausgekommen, das Gras dampft. Die Luft ist schwül, als Jan Brückner auf Block 8 zugeht. Ein letztes Mal springt er auf und ab, dann geht er in Position.

Als das Startsignal ertönt, legt er los. Er kommt gut aus dem Block, zieht schnell an. Bereits in den ersten Sekunden ist klar, dass es ein knappes Rennen wird, das Feld bleibt eng zusammen. Jan Brückner fällt etwas zurück, dann gibt er noch einmal alles. Als er ins Ziel einläuft, ist er 5. Seine Zeit: 28 Sekunden.

Special Olympics: Norderstedter verpasst Medaille, ist aber glücklich

„Er war gestern einfach etwas zu schnell, daher musste er heute gegen eine sehr starke Konkurrenz antreten“, resümiert Trainerin Maike Rotermund (60) nach dem Lauf. Sie ist stolz auf Jan, stolz auf jeden ihrer Athleten. „Jan ist einfach glücklich, wenn er läuft! Das ist das wichtigste, das zählt“, sagt Maike Rotermund.

Jan Brückner freut sich über seine persönliche Bestzeit – auch wenn es zu einer Medaille nicht gereicht hat.
Jan Brückner freut sich über seine persönliche Bestzeit – auch wenn es zu einer Medaille nicht gereicht hat. © Miriam Opresnik

Für sie ist nach dem Finale vor dem Finale. Morgen steht das Finale im Mini-Speer an, Franz Bechler hofft auf eine Goldmedaille.

Die Norderstedter Werkstätten sind mit einem Fanclub angereist, der die Athleten anfeuert. Sie sind stolz auf jeden von ihnen, der es soweit geschafft hat – mit oder ohne Medaille. Auf dem T-Shirt einer Mitarbeiterin der Werkstätten steht: „In jedem von uns steckt ein Held.“