Kreis Segeberg. Ausbauprojekt verliert „überragendes öffentliches Interesse“. Minister Madsen schäumt. Und Bad Segeberg muss weiter leiden.

Der Weiterbau der A 20 von Bad Segeberg bis nach Westerstede in Niedersachsen droht sich weiter zu verzögern. Denn die Ampelkoalition in Berlin sieht offenbar kein „überragendes öffentliches Interesse“ mehr an dem Projekt einer „Küstenautobahn“. Entsprechend wird es keine Planungsbeschleunigung des Projekt geben. Das geht aus den Beschlüssen des Koalitionsausschusses von SPD, Grünen und FDP hervor.

Der in der Nacht Mittwoch ausgehandelte Kompromiss zur Infrastruktur-Beschleunigung ist aus Sicht von Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen für den Norden eine maßlose Enttäuschung: „Abgesehen davon, dass nicht einmal der Nord-Ostsee-Kanal und auch keine andere Wasserstraße auf der Liste beschleunigter Projekte auftaucht, bremst das Ergebnis vor allem den Weiterbau der A 20 massiv aus“, sagte Madsen.

Küstenautobahn: „Schlag ins Gesicht!“ – Berlin drückt bei A 20 auf die Bremse

Entgegen aller vollmundigen Bekundungen und Bekenntnisse von Bundesverkehrsminister Volker Wissing zu dem Projekt verliere die Küstenautobahn am Ende doch das „überragende öffentliche Interesse“. Madsen bezeichnete die Entscheidungen als „Schlag ins Gesicht für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Westküste“, ebenso für tausende Menschen, „die seit zwei Jahrzehnten unter dem Dauer-Stau in Bad Segeberg leiden“.

Auch für die Transformation zum grünen Industrieland sei dies ein Rückschlag. Madsen erinnerte daran, dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing die A 20 noch im Februar bei einem Besuch in Brunsbüttel als „ganz wichtige Autobahn“ bezeichnet hatte, die „dringend gebraucht“ werde. Nun habe es der FDP in den Verhandlungen am nötigen politischen Gewicht gefehlt, die halbfertige Ost-West-Magistrale beschleunigt voranzutreiben.

Ruhe Madsen: „Groteske Argumentation des Verkehrsministers“

Claus Ruhe Madsen (parteilos), Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus, in seinem Büro im Ministerium.
Claus Ruhe Madsen (parteilos), Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus, in seinem Büro im Ministerium. © dpa | Marcus Brandt

Dass Wissing das bittere Ergebnis für Schleswig-Holstein mit Verweis auf „Beschleunigungen im Naturschutzrecht“ und „schnellere Raumverträglichkeitsprüfungen“ sowie „Vereinfachungen bei Verwaltungsgerichtsverfahren“ nun zu kaschieren versuche, sei grotesk, sagt Madsen. „Das könnte im besten Fall nur noch geringe Wirkungen auf den niedersächsischen Teil der A 20 haben.“

Zudem zeige das Koalitionsergebnis einmal mehr, dass die Bundesregierung beim Thema Straßen-Infrastruktur nur auf den Westen und Süden ausgerichtet sei. „Wir werden mit der DEGES die Planungen und den Bau der Autobahn trotz dieser Bremsklötze weiter vorantreiben“, versprach Madsen. Er gehe zudem fest davon aus, dass der Bund weiterhin zu seinen Finanzierungs-Zusagen für die A 20 stehen werde.

Überragendes Interesse nur noch für eng begrenzte Zahl an Projekten

Protest von Klimaschützern in Niedersachsen gegen die Küstenautobahn: Klagen von Umweltschützern haben nach der Berliner Entscheidung bessere Erfolgsaussichten.
Protest von Klimaschützern in Niedersachsen gegen die Küstenautobahn: Klagen von Umweltschützern haben nach der Berliner Entscheidung bessere Erfolgsaussichten. © dpa | Mohssen Assanimoghaddam

In einem 16-seitigen Beschlusspapier aus dem Koalitionsausschuss wird definiert, dass „überragendes öffentliches Interesse“ im Straßenbau nur „für eine eng begrenzte Zahl von besonders wichtigen Projekten und Teilprojekten zur Engpassbeseitigung“ gesetzlich festgelegt werden. Diese Vorhaben müssen im Bundesverkehrswegeplan entweder in die Kategorie „Vordringlicher Bedarf mit Engpassbeseitigung“ eingeordnet sein oder in die Kategorie „Laufende und fest disponierte Vorhaben zur Engpassbeseitigung“. Beides ist bei der A20 nicht der Fall.

Der 200 Kilometer langen und geschätzte sechs Milliarden Euro teuren Fortführung der A 20 droht nun die weitere Verzögerung. Denn ohne „überragendes öffentliches Interesse“ fehlt dem Land und des DEGES ein gewichtiges Argument, um das Projekt in den Prozessen der Natur- und Klimaschützer vor Gericht zu verteidigen. Vier Klagen von Umweltverbänden waren bereits erfolgreich.

IHK: „Zermürbend und niemandem mehr zuzumuten!“

Kritik aus der Wirtschaft zur Entscheidung der Ampel kommt postwendend. Hagen Goldbeck, Präsident der IHK Schleswig-Holstein: „Dieses Hin-und-Her der Ampel ist zermürbend und niemandem mehr zuzumuten. Noch vor vier Wochen betonte Bundesverkehrsminister Volker Wissing unbeirrt, die A 20 solle im Eiltempo umgesetzt werden. Jetzt gibt es scheinbar die nächste Kehrtwende, und die A 20 fliegt wortwörtlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Beschleunigungspapier.“

An der Entscheidung sehe man, dass norddeutsche Interessen nach wie vor in der Bundespolitik kein Gehör fänden, sagt Goldbeck. „Dass die A 20 nicht in die Kategorie Engpassbeseitigung fällt, grenzt an Realitätsverweigerung und ist für uns nicht nachvollziehbar. Wir werden nicht müde zu betonen, was für ein unzumutbares Nadelöhr Bad Segeberg ist – für die Wirtschaft und die gesamte Bevölkerung.“

Küstenautobahn: Bad Segeberg bleibt Nadelöhr, Bevölkerung leidet

Die A 20 sei für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Westküste, für die Anbindung des Energiestandortes Schleswig-Holstein sowie der Häfen im Land von herausragender Bedeutung. „Insbesondere das weiterhin erleichterte Klagerecht wird dazu führen, dass sich der Bau der Autobahnabschnitte und der Festen Unterelbquerung weiter verzögert“, sagt Goldbeck. „Der Gesetzesentwurf für schnelleren Straßenbau wäre die einmalige Chance gewesen, beim Bau der A 20 endlich das Gaspedal durchzudrücken. Stattdessen haben sich die Koalitionäre beim Thema A 20 als Sonntagsfahrer erwiesen.“

Zu Erinnerung: Bundesverkehrsminister Volker Wissing hatte sich zuletzt klar positioniert. „Wir haben ein Votum des deutschen Gesetzgebers, dass diese Autobahn gebaut werden soll. Deshalb stellt sich nicht die Frage, ob wir sie bauen, sondern wie schnell wir sie bauen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hängt an dieser zuverlässigen und engmaschigen Infrastruktur.“