Lesung Norderstedt

Uropas Kriegserinnerungen als Mahnung an den Frieden

| Lesedauer: 4 Minuten
Heike Linde-Lembke
Celina Keute aus Henstedt-Ulzburg las in der Stadtbücherei Garstedt aus ihrem Buch „Schüsse in der Stille“, in dem sie die Erinnerungen ihres Urgroßvaters aufschrieb.

Celina Keute aus Henstedt-Ulzburg las in der Stadtbücherei Garstedt aus ihrem Buch „Schüsse in der Stille“, in dem sie die Erinnerungen ihres Urgroßvaters aufschrieb.

Foto: Heike Linde-Lembke

Celina Keute machte aus den Kriegserinnerungen ihres Urgroßvaters Hermann Kronemeyer einen spannenden Tatsachenbericht.

Norderstedt.  Celina Keute schrieb die Berichte ihres Urgroßvaters auf. Immer wieder fragte die 26-Jährige den 95-Jährigen seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg, immer wieder berichtete er neue Details. Sie chronologisierte die Erzählungen, stimmte die Aussagen ihres Urgroßvaters mit historisch gesicherten Daten ab und schrieb das Buch „Schüsse in der Stille – Hermann Kronemeyers Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg“, das sie bei der Hamburger Tredition GmbH drucken ließ. Jetzt stellte sie es in einer Lesung in der Garstedter Stadtbücherei vor.

Hermann Kronemeyer war erst 17 Jahre alt, als er zu Hitlers Wehrmacht eingezogen und an die Front geschickt wurde. Aufgewachsen in der Grafschaft Bentheim an der niederländischen Grenze und mit Niederländern befreundet, stand er ihnen plötzlich als feindlicher Soldat gegenüber. Gewehr im Anschlag.

Lesung Norderstedt: Uropas Kriegserinnerungen als Mahnung an den Frieden

Hermann Kronemeyer, geboren am 2. April 1927 in Bathorn, einem Ortsteil von Hoogstede, erzählte Jahrzehnte später seiner Urenkelin Celina Keute, wie es war als Kind im Krieg, als Soldat im Infanterie-Regiment 1301, neunte Kompanie, an der Front, in der Gefangenschaft und in der Nachkriegszeit.

Der Urgroßvater erzählte, weil Urenkelin Celina Keute ihn fragte. Wie so viele Täter und vor allem auch Opfer des NS-Regimes, die sich der ersten Generation nach ihnen nicht anvertrauen mochten oder konnten – zu nah war noch die große Katastrophe des 20. Jahrhunderts, die sie erleben mussten, zu nah waren ihnen auch ihre eigenen Kinder.

Opfer wie Täter des Zweiten Weltkriegs taten sich schwer, zu erzählen

Erst jetzt, 80 Jahre später, können sie der dritten Generation berichten, wie es war – das Grauen des Nationalsozialismus und des Krieges, das Grauen der Schoa, in der 6,3 Millionen Jüdinnen und Juden systematisch vom NS-Terror ermordet wurden.

„Ich wollte keinen Roman schreiben, sondern einen chronogischen Tatsachenbericht“, sagte Celina Keute zu den 20 Zuhörerinnen und Zuhörern, die nach der Lesung mit der Autorin diskutierten und ihre eigenen Geschichten über das Schweigen der Kriegsgeneration erzählten. Trotzdem hat Keutes Tatsachenbericht etwas Romanhaftes und ist sehr spannend, von hohem Informationsgehalt und aufschlussreich zu lesen.

Kronemeyer schildert das Grauen des NS-Regimes aus eigener Erfahrung

Hermann Kronemeyer vermittelt authentisch, aus eigenem Erleben, wie er und seine Familie sich langsam an den NS-Terror gewöhnten, an die ausgemergelten Häftlinge im Kriegsgefangenen-Lager Bathorn, 500 Meter vom Hof der Familie entfernt. Sie kamen aus Polen und der Sowjetunion, aus Frankreich und Italien, sogar aus den Kolonialgebieten Belgiens – aus aller Welt. Er erzählt, wie brutal die NS-Wächter diese Gefangenen behandelten, ihnen Gewehrkolben ins Gesicht schlugen, ihre Kleidung verschenkten: „Die brauchen sie nicht mehr.“

Und er erzählte: „Unter Prügel und lautem Schimpfen trugen sie das Holz im Laufschritt auf unseren Hof [als Zwischenlager für das Gefangenenlager]. Schließlich führten die Männer die Gefangenen ab und trieben sie zum Lager. Mitleid überkam mich. Ich wusste nicht, warum sie fortgebracht wurden, aber da es nur ausgewählte Polen waren, kann ich mir heute vorstellen, dass sie Juden waren. Damals wusste ich nicht, wie schlecht man die jüdische Bevölkerung grundsätzlich behandelte, da ich kaum jemanden von ihnen kannte.“ Heute weiß auch Hermann Kronemeyer, dass das NS-Regime die Juden nicht nur schlecht behandelte, sondern systematisch vernichtete.

Lesung Norderstedt: Zuhörer tauschten eigene Erfahrungen aus

Celina Keute zeigte bei der Lesung Fotos von ihrem Urgroßvater, seiner Schwester als Brückenwärterin am Kanal Coevorden-Piccardie, vom Kriegsgefangenenlager und eine Landkarte von der Grafschaft Bentheim. Sie hat ihren Urgroßvater, der nach wie vor auf den elterlichen Hof in Hoogstede lebt, gefragt, wie er den russischen Krieg gegen die Ukraine erlebe.

Er antwortete: „Krieg kann man nicht verhindern, er geschieht immer wieder erneut.“ Und: „Veränderungen kann man nur erzielen, wenn man immer wieder darüber berichtet, was den Krieg verursacht.“

Celina Keute „Schüsse in der Stille“, Hermann Kronemeyers Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg“, 21,95 Euro als gebundenes Buch, 14,95 als Taschenbuch und 9.99 als E-Book im Buchhandel.

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