Norderstedt. Norderstedts Gebrauchtwarenhaus hat 2022 knapp 275 Tonnen vor dem Müll gerettet. Ein exklusiver Blick hinter die Kulissen.

Noch bevor Hempels um 10 Uhr öffnet, warten am Dienstagmorgen bereits die ersten Kunden vor dem Gebrauchtwarenhaus in Norderstedt. Als wenig später die Schiebetüren aufgehen, strömen sie auf die rund 1700 Quadratmeter große Verkaufsfläche. „Seitdem wir im Juli 2012 eröffnet haben, steht jeden Tag eine Traube Menschen vor der Tür. Das ist Wahnsinn! An diesen Erfolg hätte ich nie geglaubt“, sagt Betriebsleiter André Klinger, der von Beginn an dabei ist.

Die Idee, Hempels zu gründen, hatte das Betriebsamt der Stadt Norderstedt. Immer wieder sammelten die Mitarbeitenden an den Straßen Sperrmüll ein, der aus ihrer Sicht viel zu gut war, um ihn einfach wegzuschmeißen. Das Team habe sich einmal maßlos über einen völlig intakten Tischkicker geärgert, den jemand einfach nicht mehr im Haus haben wollte und entsorgte, erinnert sich André Klinger. Das Betriebsamt wollte eine nachhaltigere Lösung finden. Gebrauchtes sollte wiederverwendet werden.

Norderstedt: „Einzigartig in Deutschland“ – Was Hempels so besonders macht

„Zu dieser Zeit stand die Immobilie an der Stormarnstraße leer“, berichtet Klinger weiter. Dort zog Hempels vor mehr als zehn Jahren ein, nachdem die Politik das Projekt abgesegnet hatte. Allerdings stellte sie zwei Bedingungen: Sozialpassinhaber sollten Rabatt beim Einkaufen erhalten und Inklusion sollte im Unternehmen gelebt werden. „Für uns war Hempels eine Wundertüte. Kommen überhaupt Leute vorbei?“, fragte sich der 56-jährige Klinger damals. Und wie sie kamen. Und sie brachten viele Dinge mit, die sie nicht mehr brauchten. „Nach nur vier Wochen drohten wir vor lauter aussortierter Sachen zu explodieren.“

Bei Hempels in Norderstedt werden auch viele antike Möbel abgegeben, die nicht mehr genutzt werden.
Bei Hempels in Norderstedt werden auch viele antike Möbel abgegeben, die nicht mehr genutzt werden. © Annabell Behrmann

Im Eingangsbereich des Gebrauchtwarenhauses stehen antike Möbel. Stühle, Tische, Schränke. Hempels achtet auf günstige Preise. Jede Norderstedterin und jeder Norderstedter soll sich vernünftige Alltagsgegenstände leisten können. Wertvolle Sachen werden allerdings nicht verscherbelt, sondern für einen angemessenen Preis verkauft. So kostet die antike Anrichte aus Massivholz trotzdem 349 Euro und die alte Standuhr 249 Euro.

Hempels hat im vergangenen Jahr 100.000 Kleidungsstücke verkauft

Jacken, Hosen und Hemden hängen teils nach Farben sortiert an Kleiderständern. „Unser Herzstück“, sagt Marktleiter Carsten Loock. Nur etwa 30 Prozent der abgegebenen Kleidung schafft es in den Verkauf. Viele Stücke, die Löcher enthalten oder zu verschmutzt sind, müssen aussortiert werden. „Ich finde es viel schöner, wenn die Menschen nicht alles neu kaufen, sondern ein Teil ihres Kleiderschranks gebraucht ist“, sagt Loock. Hempels sei es im vergangenen Jahr gelungen, fast 100.000 Kleidungsstücke weiterzuverkaufen und damit im Kreislauf zu halten.

Rund 100.000 Kleidungsstücke hat das Gebrauchtwarenhaus im vergangenen Jahr verkauft.
Rund 100.000 Kleidungsstücke hat das Gebrauchtwarenhaus im vergangenen Jahr verkauft. © Annabell Behrmann

In der Buchabteilung funktioniert dieser Zyklus sogar so gut, dass die Kunden gebrauchte Bücher für 1 oder 2 Euro kaufen, zuhause lesen und dann erneut zurück zu Hempels bringen. 37.000 Bücher gingen 2022 über die Ladentheke. „Das Prinzip geht auf. Das ist total schön zu sehen“, sagt der 48 Jahre alte Loock, der seit Ende 2018 im Betrieb tätig ist.

Auch ungewöhnliche Sachen gibt es im Gebrauchtwarenhaus zu kaufen

Zu Hempels gehören auch Bereiche mit Schmuck, Glas, Deko, Sportartikeln, Bildern oder Möbeln aller Art. Im hinteren Teil der Halle reiht sich ein Sofa an das andere – vom kitschigen Blümchenmuster bis zum Lederüberzug ist so gut wie alles vertreten. „Die Stücke sind sehr individuell. In der Regel gibt es sie nur einmal bei uns. Die Leute geben alles Mögliche bei Hempels ab“, sagt Loock. Auch ungewöhnliche Sachen wie zum Beispiel ein schätzungsweise 80 bis 100 Jahre alter Kinderstuhl aus Holz, Telefone mit Wählscheibe oder ein historischer Tisch mit Waschschüsseln sind im Verkauf zu finden.

Der Kinderstuhl ist schätzungsweise 80 bis 100 Jahre alt. Dahinter steht ein alter Tisch mit Waschschüsseln.
Der Kinderstuhl ist schätzungsweise 80 bis 100 Jahre alt. Dahinter steht ein alter Tisch mit Waschschüsseln. © Annabell Behrmann

„Solche Dinge wären sonst wahrscheinlich einfach weggeschmissen worden“, sagt Carsten Loock. Der Marktleiter freut sich, dass sie bei Hempels eine zweite Chance erhalten. „Besonders schön finde ich Sachen, die es eigentlich gar nicht mehr gibt“, sagt Loock und präsentiert einen alten Diaprojektor und Fotokameras aus den 60er-Jahren. Bei Hempels seien auch immer wieder Filmemacher unterwegs, die nach passenden Requisiten suchten, erzählt er.

So gut wie alles finde einen Abnehmer. „Ladenhüter“ gebe es kaum, so Loock. „Manches braucht etwas länger, bis es verkauft ist, aber für jeden Topf gibt es einen Deckel. Für jeden Gegenstand gibt es jemanden, der ihn wertzuschätzen weiß.“

Telefone mit Wählscheibe und eine alte Kasse – bei Hempels sind viele Gegenstände aus vergangenen Zeiten zu finden.
Telefone mit Wählscheibe und eine alte Kasse – bei Hempels sind viele Gegenstände aus vergangenen Zeiten zu finden. © Annabell Behrmann

Hempels hat 2022 mehr als eine Million Euro Umsatz gemacht

Knapp 372.000 Artikel hat Norderstedts Gebrauchtwarenhaus im vergangenen Jahr verkauft und mehr als eine Million Euro Umsatz gemacht. Was steckt hinter dem Erfolgskonzept von Hempels? Wie funktioniert das System? Ein Blick hinter die Kulissen.

Pro Tag werden etwa 100 ausrangierte „Schätze“ bei der Warenannahme abgegeben. Geld bekommen die früheren Besitzer nicht. Aber sie werden kostenlos Ballast los. Hempels ist ein städtischer Betrieb und an das Betriebsamt angedockt. Über den Abfallgebührenhaushalt wird das Haus finanziert. Deren Einnahmen fließen zurück in den Haushalt.

Dieses Stück ist einzigartig auf der Welt: eine selbst gebastelte Figur aus Pappe.
Dieses Stück ist einzigartig auf der Welt: eine selbst gebastelte Figur aus Pappe. © Annabell Behrmann

Die Weiterverwendung der Waren ist aufwendig organisiert und erfordert ein Team von 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die alle fair bezahlt werden müssen. „Dass wir uns als Stadt dieses Haus leisten, ist etwas ganz Besonderes“, sagt Betriebsleiter André Klinger. „Meines Wissens sind wir mit unserem Konzept immer noch einzigartig in Deutschland.“

Sperrige Stücke werden von Hempels auch zu Hause abgeholt

In einer großen Halle hinter dem Verkauf werden Waren angenommen und grob vorsortiert. Massig Kleidung stapelt sich in großen Metallbehältern. Wandbilder stehen aneinandergereiht im Regal. Sogar ein Schlagzeug hat jemand vorbeigebracht.

„Wir bekommen oft Sachen von Verstorbenen, wenn ihr Haushalt aufgelöst wird. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt“, sagt Marktleiter Loock. Hempels holt Sperriges wie alte Möbel kostenfrei aus Wohnungen und Häusern heraus und transportiert sie mit einem Lkw an die Stormarnstraße. „Derzeit bekommen wir deutlich mehr Sachen, als wir verarbeiten können. Das Nachhaltigkeitsbewusstsein ist sehr groß“, sagt Loock.

Marktleiter Carsten Loock steht in der Halle, in der angenommene Waren zunächst gesammelt und grob sortiert werden.
Marktleiter Carsten Loock steht in der Halle, in der angenommene Waren zunächst gesammelt und grob sortiert werden. © Annabell Behrmann

Innerhalb von Sekunden wird entschieden, wie viel Sachen wert sind

Anschließend landen die Sachen palettenweise an der nächsten Station: Hier werden sie „fein sortiert“. Eine erfahrene Mitarbeiterin entscheidet innerhalb von Sekunden, was die Waren wert sein könnten und packt sie in Kisten. Die Plastikboxen sind beschriftet: Alle Sachen, die für 1 Euro verkauft werden sollen, landen in einer Kiste. Das Prinzip funktioniert genauso mit den anderen Preisen: Gegenstände für 2, 3 oder 4 Euro usw. werden auf unterschiedliche Boxen aufgeteilt.

Carsten Loock präsentiert Kinderwagen aus unterschiedlichen Jahrzehnten – von alt bis modern.
Carsten Loock präsentiert Kinderwagen aus unterschiedlichen Jahrzehnten – von alt bis modern. © Annabell Behrmann

Bei einigen Dingen ist es allerdings nicht sofort ersichtlich, wie wertvoll sie sind. Dann überlegt das Team gemeinsam und recherchiert im Internet. Wie hochwertig ist das Porzellanservice? Was kann man für ein selbst gemaltes Bild verlangen? Was kostet eine Standuhr aus den 50er-Jahren? „Es ist eine echte Kunst, herauszufinden, was die Sachen wert sind. Dazu braucht es Fachkenntnis“, sagt Carsten Loock.

„Etwa eine Million Mal stellt sich jemand die Frage im Jahr, ob das Stück verkaufsfähig ist oder nicht. Ist es kaputt? Oder schmutzig? Verstößt es gegen geltendes Recht?“ Es sei schon vorgekommen, berichtet Loock, dass Menschen Schmuck aus Elfenbein abgeben wollten. „Die Leute haben wir weggeschickt“, sagt er. Der Handel mit Elfenbein ist verboten und strafbar.

Das Inklusions-Team übernimmt wichtige Aufgaben bei Hempels

Wenn der Wert der Waren eingeschätzt ist, müssen sie mit Preisen ausgezeichnet werden. An dieser Stelle übernimmt das Inklusions-Team von Hempels die Verantwortung. Menschen mit einer Beeinträchtigung sitzen an Tischen und kleben mit einem Gerät Etiketten an die Gegenstände. Dann ordnen sie die Sachen Überbegriffen wie zum Beispiel Porzellan, Haushalts- oder Schreibwaren zu.

Sophie Knoop ist Arbeitsanleiterin im Inklusionsbereich und unterstützt Mitarbeitende mit einer Behinderung bei ihrer Arbeit.
Sophie Knoop ist Arbeitsanleiterin im Inklusionsbereich und unterstützt Mitarbeitende mit einer Behinderung bei ihrer Arbeit. © Annabell Behrmann

Auf einem Wagen schieben sie mehrere Kisten auf eine Waage. Auf diesem Weg erfassen sie, wie viel Kilogramm sie vor dem Müll gerettet haben. Im vergangenen Jahr waren es an die 275 Tonnen. Dann räumen sie eigenständig die Artikel auf der Verkaufsfläche in die richtigen Regale ein. „Die wissen, was sie tun“, sagt Sophie Knoop, die als Arbeitsanleiterin im Inklusionsbereich tätig ist.

Norderstedt: Gebrauchtwarenhaus trifft Nerv der Zeit

Manchmal sitzt die 29-Jährige in ihrem Büro, erledigt Papierkram und schaut niemandem über die Schulter – und trotzdem erledigen die Mitarbeitenden mit Behinderung eigenständig ihre Aufgaben. „Unser Ziel ist es, dass die Menschen selbstbewusst sind und selbstständig arbeiten können“, sagt sie. Hempels kooperiert unter anderem mit den Norderstedter Werkstätten und bietet den Beschäftigten Arbeitsplätze an. Bestenfalls werden sie hier so gut vorbereitet, dass sie den Schritt auf den freien Arbeitsmarkt schaffen.

Carsten Loock absolviert zurzeit eine sonderpädagogische Zusatzausbildung, um den Angestellten mit Unterstützungsbedarf noch besser helfen zu können. „Diese Freude, die sie bei der Arbeit ausstrahlen, ist außergewöhnlich und ansteckend“, schwärmt der Marktleiter. „Wir wollen divers und inklusiv unterwegs sein. Das ist die Zukunft. Und wir sind in der glücklichen Lage, dass wir ein Teil der Veränderung sein können. Das ist großartig.“

Hinter den Kulissen von Hempels geht es genauso bunt zu wie im Laden selbst. Menschen sämtlicher Bevölkerungsschichten kaufen im Gebrauchtwarenhaus ein – vom Schnäppchenjäger, über den Sozialschwachen bis hin zum Umweltbewussten. „Wir treffen den Nerv der Zeit. Hempels vereint Inklusion, soziale Gerechtigkeit, Abfallverwertung und Nachhaltigkeit – das sind wichtige Attribute, die total in die Zeit passen“, sagt Carsten Loock.

Hempels, Öffnungszeiten Verkauf: Montag bis Freitag, 10.00 bis 18.00 Uhr, Sonnabend, 10.00 bis 15.00 Uhr. Öffnungszeiten Warenannahme: Montag bis Freitag, 9.00 bis 12.30 Uhr, Montag bis Donnerstag, 12.30 bis 15.30 Uhr und Donnerstag, 15.30 bis 17.30 Uhr (nur mit Termin). Mehr Infos unter www.hempels-norderstedt.de