Norderstedt. Angeklagter erhält Bewährungsstrafe und hohe sechsstellige Geldbuße. So begründet der Richter die Entscheidung.

„Beispiellos für Schleswig-Holstein“ – so beschrieb Staatsanwalt Detmar Kofent am letzten Tag des Prozesses um den Skandal-Müllberg von Norderstedt das Verfahren und wohl auch generell all das, was in den letzten Jahren ans Licht gekommen ist. Vor dem Schöffengericht ist der ehemalige Betreiber der Containerdienst Gieschen GmbH nun verurteilt worden: Zwei Jahre Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, dazu muss er 598.000 Euro zahlen und 150 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. „Vorzugsweise im Bereich Umweltschutz“, betonte Richter Jan Willem Burchert.

Müllberg Norderstedt: Drastische Worte am letzten Prozess-Tag

Der Angeklagte, der die Plädoyers und die Urteilsverkündung regungslos verfolgte, ist damit eines unerlaubten Umgangs mit Abfällen und des unerlaubten Betriebs einer Anlage schuldig, und zwar in einem besonders schweren Fall. Er ist damit verantwortlich dafür, dass zwischen 2015 und 2019 eine Menge von 2330 Kubikmetern verschiedenster Stoffe, Materialien und Bauschutt, asbesthaltig, potenziell krebserregend, teerhaltig, auf dem Gelände an der Straße Am Umspannwerk in Friedrichsgabe angehäuft werden konnte. Eine zeitweilige Genehmigung des zuständigen Landesamtes hatte es hier nur für eine zwölfmonatige Zwischenlagerung gegeben vor einem Transport in eine Deponie.

Im Saal F des Amtsgerichts Norderstedt versuchte die Staatsanwaltschaft in ihren Ausführungen deutlich zu machen, dass der Angeklagte wusste, was er tat. „Der Vorsatz war von Anfang an darauf gerichtet, Abfall anzunehmen und den Müllberg wachsen zu lassen“, sagte Staatsanwältin Ann-Christin Voß.

Skandal-Grundstück: Komplizierte Familiengeschichte bei den Betreibern

Und doch hängt alles mit einer komplizierten Familiengeschichte zusammen, auf die auch Richter Burchert noch einmal verwies. Das Unternehmen hatte einst der Vater aufgebaut. Dieser starb in den 1990er-Jahren, sodass sein Sohn die Firma erbte – und kurz darauf insolvent ging. Seine Ehefrau übernahm, der Abfall nahm zu, dann starb auch sie. Voß: „Der Angeklagte betrieb das operative Geschäft. Er bestellte die Container, transportierte diese ab, vor allem nahm er Abfälle zur Entsorgung an.“

15.000 Kubikmeter – teils vermutlich hoch toxischer Müll aus mehreren Jahrzehnten – lagern auf dem Gieschen-Areal in Friedrichsgabe.
15.000 Kubikmeter – teils vermutlich hoch toxischer Müll aus mehreren Jahrzehnten – lagern auf dem Gieschen-Areal in Friedrichsgabe. © Thorsten Ahlf

Es folgte die Tochter. „Eine Studentin ohne jegliche geschäftliche Erfahrung“, so die Staatsanwältin. Sie leitete die Geschäfte, schied aber zwei Jahre später aus gesundheitlichen Gründen ebenso aus. Ihr Vater blieb zurück. Spätestens dann wurde es offenbar auf vielen Ebenen dramatisch. „Das Ganze war darauf ausgerichtet, früher oder später vor die Wand zu fahren. Es war rücksichtslos und darauf ausgerichtet, dass die öffentliche Hand für den Schaden aufkommt“, sagte Staatsanwalt Kofent, der das Plädoyer zusammen mit seiner Kollegin hielt. „Und das nur, um kurzfristig einen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen, ohne jede sinnvolle ökonomische Kalkulation.“

Verteidigung: Mandant fuhr mit dem Lkw und sortierte Müll

Rechtsanwalt Wolfgang Höwing zeichnete das Bild eines komplett überforderten Mandanten. „Man kann darüber streiten, ob jemand, der Müll sortiert, mitverantwortlich ist. Das operative Geschäft bestand darin, mit dem Lkw rumzufahren und Müll zu sortieren – eine einfache, niedrige Tätigkeit.“ Im Juni 2017 sei es zu einer Zäsur gekommen. Die Tochter schied aus dem Unternehmen aus. „Der Angeklagte hat auf einem kritzeligen Zettel mitgeteilt: Ich mache das irgendwie weiter.“ Faktisch sei er Betreiber gewesen, das räumte Höwing ein. Er hatte einst ein Grundstück von seinem Vater übernommen, auf dem bereits 80 Prozent der heutigen Probleme gelagert hätten. Die einzige Alternative wäre gewesen, das Erbe auszuschlagen. Aber über Jahrzehnte hätten die Behörden bei dem Betrieb nicht eingegriffen. „Er ist in die Falle getappt als jemand, der nicht ansatzweise einen Überblick über das Ganze hat.“

Der Verteidiger wählte bewusst drastische Worte. „Er war nicht in der Lage, einen vollständigen Geschäftsplan zu erstellen.“ Ein „massiv dominanter Vater“ habe ihn in die Situation gebracht, das Grundstück zu übernehmen. „Am Ende ist der Angeklagte an seinem vollkommenen Unvermögen gescheitert. Es gab kein Konzept, weil er intellektuell nicht in der Lage ist, so etwas zu kalkulieren.“

Am letzten Prozesstag gab es hohes Medieninteresse an dem Verfahren.
Am letzten Prozesstag gab es hohes Medieninteresse an dem Verfahren. © Christopher Mey

Unterschiedliche Auffassungen zur Qualität des Geständnisses

Staatsanwalt Kofent sah das anders. „Strafmildernd ist ganz klar zu berücksichtigen, dass er bisher noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Nicht strafmildernd ist die Einlassung. Sie ist kein Geständnis. Er räumte nur Umstände ein, die durch die Beweislage feststehen.“ Es sei „nichts“ von ihm zur eigenen Verantwortung für den Betrieb gekommen. „Letztlich waren immer andere verantwortlich. Der gesamte wirtschaftliche Hintergrund des Betriebs hätte uns interessiert.“

Für die Anklage hätte der Beschuldigte für alles, was sich auf dem Grundstück befindet, zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht. Jan Willem Burchert: „Wir reden nicht über die Altlasten. Die 15.000 Kubikmeter gehören zwar zur Anlage, aber nicht zu dem, was er 2015 bis 2019 mit angehäuft hat.“ Daraus wurden auch die 598.000 Euro berechnet: Es ist die Summe aus den Einnahmen sowie den gesparten Entsorgungskosten.

Norderstedt: Müllberg Gericht sieht mildernde Umstände

In diesem Zusammenhang stellte er klar: „Das Gericht ist der Auffassung, dass er die Anlage schon 2015 mitgeleitet hat.“ Ein Grund: Er war schon 2002 Geschäftsführer der später insolventen Containerdienst-Firma, wird die Abläufe also gekannt haben. Für den Angeklagten spreche, so der Richter, dass er geständig sei. Hier waren Burchert und die Schöffinnen anderer Auffassung als die Staatsanwaltschaft. Seine Begründung zielte auf den psychischen Zustand des Mannes.

„Es gab relativierende Momente. Aber wir glauben, dass er an die Grenze gekommen ist, was ihm möglich ist und wie wir ihn während des Verfahrens kennengelernt haben. Auch wenn er eine Zeit lang nicht erreichbar war, hat er sich dem Verfahren gestellt.“

Der Angeklagte verhandelte zeitweise mit Geschäftsmann aus Quickborn

Und: Er habe sich bemüht, eine Lösung zu finden, sprach mit einem Geschäftsmann aus Quickborn, der plante, auf dem Gelände eine Autowaschanlage zu bauen. Das scheiterte am behördlichen Veto. „Gegen den Angeklagten spricht, dass er sich viel früher mit der Altlastenproblematik auseinandersetzen hätte müssen.“

Und eben nicht, dass weiter Müll gesammelt wurde. „Was die Rolle der Behörden angeht, hätten wir uns schneller ein konsequenteres Einschreiten gewünscht.“ Auch Rechtsanwalt Höwing hatte in diese Richtung kritisch gesagt: „Alle haben alles richtig gemacht, aber der Berg liegt seit Jahrzehnten da. Behörden müssen keine Bescheide machen, sondern Probleme lösen. Sie haben auf ganzer Linie versagt, warum auch immer. Der Angeklagte wird Konsequenzen tragen. Das ganze Drumherum wird keine Konsequenzen tragen, trotz eines jahrzehntelangen Hinschauens.“

Der Mann muss nicht ins Gefängnis, auch wenn man, so Burchert, „an der Grenze“ sei. Das Schöffengericht attestierte ihm eine positive Sozialprognose, hat also keine Sorge, dass dieser wieder straffällig werden könnte. Und es habe besondere Umstände gegeben: „Er hat aus einer Überforderungssituation heraus gehandelt, nicht aus bloßer Bosheit.“

Der Verurteilte äußerte sich zum Prozessabschluss knapp. „Ich stimme dem zu, was mein Anwalt gesagt hat. Ich bin froh, dass es auf den Tisch gekommen ist, dass es geklärt wurde.“

Müllberg Norderstedt: 2023 soll die Räumung beginnen – bezahlt aus Steuergeld

Wie es jetzt weitergeht? Das Grundstück selbst gehört mittlerweile der Stadt Norderstedt, die es für einen niedrigen vierstelligen Betrag im vergangenen Mai ersteigert hat. 2023 soll mit der Räumung begonnen werden, diese wird fast 4 Millionen Euro kosten – aus Steuermitteln.

Denn auch wenn das Umweltministerium theoretisch den nun Verurteilten belangen könnte – von welchen Ersparnissen soll schon jemand, der von 388 Euro Witwenrente und der Grundsicherung lebt, so etwas selbst auf Raten bezahlen? Trotzdem: Das letzte Kapitel im Müllberg-Skandal ist auch mit dem Urteil des Schöffengerichts längst nicht geschrieben.