Nahe. Einwohnerversammlung: Noch sind viele Fragen offen. Fachmann erklärt Vor- und Nachteile und Folgen. Warum aber die Skepsis überwiegt.

Die Einwohnerversammlung in Nahe dauert bereits knapp eine Stunde, da steht mitten in der Unterredung zur möglichen Fusion mit der Nachbargemeinde Itzstedt ein Mann auf. „Ich habe jetzt seit Beginn der Veranstaltung nur Negatives gehört. Ich möchte gerne etwas Positives hören. Ich bin nur negativ beeinflusst worden!“

Ein anderer Besucher erwidert unter Gelächter und Applaus: „Sie sind nicht negativ beeinflusst worden. Es gibt nichts Positives!“

Diese Szene steht sinnbildlich für die Debatte: Wer möchte, kann sämtliche Argumente für oder gegen ein Zusammengehen zum 1. Januar 2024 auslegen. Am 6. November werden die Menschen in den beiden Orten abstimmen.

Die Veranstaltung in der Sporthalle war eine der letzten Möglichkeiten, sich noch einmal zu informieren – und einem Fachmann Fragen zu stellen. Frank Wulff ist leitender Beamter des Amtes Marsch und Geest Südholstein, er hat viele Fusionen begleitet und Kommunen bei diesen Verfahren beraten. Und: Er ist neutral.

Dorf-Fusion von Nahe und Itzstedt: Hitzige Debatte über Pro und Contra

Wulff sieht die Art und Weise, wie hier an einer Fusion gearbeitet wird, kritisch. „Ich habe nach einer Sitzung des Gemeinschaftsausschusses im letzten Jahr in die Presse, auf die Websites geguckt. Ich darf es sagen: Ich habe nicht viele Informationen für die Öffentlichkeit gesehen.“

Er macht keinen Hehl daraus: Aus seiner Sicht hätte es zunächst eine detaillierte Machbarkeitsstudie geben müssen, die „in allen Bereichen“ die zentrale Frage erörtert: „Wie würde sich der Ist-Zustand verändern?“

Er zählt auf: Mit Vereinen und Institutionen sprechen, mit der Feuerwehr, Senioren und Familien, über den möglichen Namen, Förderprogramme, Ortsentwicklungskonzepte, Projekte, Partnerschaften, Bauleitpläne, Beteiligungen.

Knapp 200 Menschen waren zur Veranstaltung in die Sporthalle gekommen.
Knapp 200 Menschen waren zur Veranstaltung in die Sporthalle gekommen. © Christopher Mey | Christopher Mey

Keine Machbarkeitsstudie? Die Bürger sind überrascht

Eine Frau ist erstaunt, dass all dies nicht vorliegt. „Und wir sollen jetzt ohne diese Machbarkeitsstudie entscheiden? Super.“

Zwar hatte sich der Gemeinschaftsausschuss im März darauf verständigt, eine solche Analyse anfertigen zu lassen – doch bis Sommer geschah das nicht, sodass sich zwei Bürgerinitiativen bildeten, die per Unterschriftensammlung den Bürgerentscheid erzwungen haben.

Frank Wulff: „Das sind Grundsatzfragen, die man im Vorwege klärt. Eine frühzeitige Beteiligung ist unerlässlich. Der Maßstab für eine gelungene Fusion ist die Zufriedenheit der Einwohnerinnen und Einwohner. Sie müssten informiert sein. Es muss auf Sorgen eingegangen, Vor- und Nachteile klar kommuniziert werden. Dabei müssen Kommunikationswege genutzt werden, um alle Altersgruppen zu erreichen. Und wenn ich so in das Publikum schaue – die ganz jungen Wahlberechtigten sehe ich nicht.“

Die meisten Nachfragen waren kritisch, viele fühlen sich nicht ausreichend informiert.
Die meisten Nachfragen waren kritisch, viele fühlen sich nicht ausreichend informiert. © Christopher Mey | Christopher Mey

„Es ist leichter, den demografischen Wandel zu bewältigen“

Eine Fusion hat im Allgemeinen mehrere Ziele, berichtet er aus Erfahrung: Die gemeinsame Handlungs- und Leistungsfähigkeit stärken, den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fortschritt sichern.

Und es gäbe mehr Geld über den kommunalen Finanzausgleich, auch wenn das nicht so genau beziffert werden kann. „Es ist leichter, den demografischen Wandel zu bewältigen“, so Wulff. Die Ansiedlung von Dienstleistungen, Arbeitgebern, das Gewinnen von Fachkräften, das könnte leichter sein.

Andererseits: Nahe und Itzstedt bilden schon einen ländlichen Zentralort, erhalten sechsstellige Zuweisungen des Landes. Gemeinsam kümmert man sich um den Friedhof, die Bücherei, das Familienzentrum, auch im Schulverband sitzen beiden Orte. Es ist immer eine Frage der Perspektive: Entweder, das reicht im Sinne des Miteinanders – oder, die Fusion wäre der logische nächste Schritt.

Bei erfolgter Fusion gäbe es 50 Euro pro Einwohner

Bei einem Zusammengehen wird es Geld vom Land geben – was Bürger umgangssprachlich „Hochzeitsprämie“ nennen. Für jeden Einwohner der kleineren Gemeinde – in diesem Fall Nahe – wären das 50 Euro. Die maximal möglichen 100.000 Euro wären sicher.

„Die Feuerwehr kann eigenständig bleiben. Die Standorte sind auch wichtig für das Dorfleben und die Gemeinschaft“, sagt der Referent. Das gilt auch für Vereine – hier wären Vereinigungen eine freiwillige Sache. Über eine Postleitzahl müsste die Deutsche Post entscheiden – beide könnten bleiben, oder eine wird gestrichen.

Nahes Bürgermeister Holger Fischer ist kein Freund einer Fusion, wie er deutlich machte.
Nahes Bürgermeister Holger Fischer ist kein Freund einer Fusion, wie er deutlich machte. © Christopher Mey | Christopher Mey

„Die Dokumentenänderung muss gebührenfrei erfolgen. Aber trotzdem ist der Aufwand da. Sie müssen ja auch ihre Adresse an die Sozialversicherung melden, an Vertragspartner, an Versicherungen.“ Die Steuern wären eine politische Entscheidung. Bei der Gewerbesteuer (400 Prozent) sowie der Grundsteuer A und B (350 Prozent) sind die Werte identisch, bei der Hundesteuer hingegen nicht.

Ein Doppelname wäre möglich

Und der Name des fusionierten Ortes? Theoretisch könnte das in einem weiteren Bürgerentscheid geklärt werden. „Ein Doppelname wäre möglich, sollte aber vermieden werden.“

So richtig zufrieden sind die Anwesenden nicht. „Es fehlt doch der ganze Informationsprozess. Gucken wir doch auf die britische Insel“, sagt ein Mann. „Wir wissen gar nicht, worum es geht.“

Bürgermeister Holger Fischer hält sich unterdessen zunächst zurück. „Ich möchte mich neutral halten, die Bürger nicht beeinflussen.“ Sein Kollege Helmut Thran aus Itzstedt ist ein ausdrücklicher Verfechter der Fusion.

Vertreter des Bürgerbegehrens hält Plädoyer für Fusion

Nachdem es fast ausschließlich skeptische Nachfragen gegeben hat, meldet sich schließlich einer der Initiatoren des Bürgerbegehrens – Manfred Schernus von der SPD Nahe. „Warum haben wir das Bürgerbegehren gestartet? Die Gemeindevertretungen waren überfordert, sie haben nichts unternommen, um Fragen, die seit November auf dem Tisch lagen, zu beantworten. Wir haben das Bürgerbegehren als letzte Möglichkeit gesehen, um uns Bürger entscheiden zu lassen. Es wird der demokratische Wille sein, wir werden uns dem alle beugen.“

Die Machbarkeit sieht er als gegeben an. „Faktisch werden wir vom Land als eine Gemeinde behandelt. Wir haben so viele Einrichtungen und Vereine, wo Leute aus Itzstedt und Nahe drin sind. Hier wird versucht, eine Trennung herbeizuführen, die faktisch überwunden ist. Im täglichen Leben existiert sie nicht. Wir schaffen ja den Kern einer neuen Gemeinde östlich der B 432 mit dem Kindergarten, dem Jugendzentrum und dem neuen Amtsgebäude.“

Und dann wird der Bürgermeister doch noch deutlich. „Ich bin in vier Jahren an einem gemeinsamen Bauhof gescheitert. Beim neuen Amtssitz wehrt sich Itzstedt mit Händen und Füßen.“ in der Tat droht Itzstedt sogar mit einer Klage gegen das Vorhaben, die Amtsverwaltung zu verlagern und in Nahe neu zu bauen.

Gute Voraussetzungen für eine Fusion sehen anders aus. Fischers Urteil: „Auf der Kippe macht es keinen Sinn.“

Am Montag, 24. Oktober, findet ab 19.30 Uhr (Juhls Gasthof, Schützenstraße) in Itzstedt eine Einwohnerversammlung zum Bürgerentscheid statt.