Norderstedt. Er gilt als Verräter: Ex-Rocker Kassra Zargaran hat nach seiner Haft ein Buch geschrieben. Warum er ausgestiegen ist.

Er ist in Norderstedt aufgewachsen, wird ein schwerer Junge, ein Hells Angel. Bis er an einem Mord beteiligt ist, gegen seine Kumpanen auspackt – und im Zeugenschutz landet. Der 35 Jahre alte Kassra Zargaran hat über sein kriminelles Leben und seinen Ausstieg zusammen mit dem Autor Nils Frenzel im Riva Verlag ein Buch verfasst. „Der Perser. Wie ich ein Hells Angel wurde, als Kronzeuge vor Gericht auspackte und im Zeugenschutz landete.“

Sein Leben verändert sich mit einem Mord am 10. Januar 2014. 13 teils vermummte Männer, darunter Zargaran, stürmen ein Wettcafé in Berlin-Reinickendorf. Einer von ihnen schießt in einem Hinterzimmer ohne Vorwarnung auf einen 26-Jährigen, der, von sechs Kugeln getroffen, vor Ort verstirbt. Der Schütze und die Begleiter fliehen. Doch die brutale Tat wurde von Videokameras aufgezeichnet. Die Polizei veröffentlicht Aufnahmen. In den kommenden Wochen werden zahlreiche deutsche und türkische Hells Angels verhaftet.

Vom Hells Angel zum Kronzeugen: Ein Norderstedter packt aus

So auch Kassra Zargaran. Der Mordanschlag soll die Rache für eine Schlägerei vor einem Diskothek im Jahr 2013 gewesen, bei der ein Rocker verletzt wurde. Dazu hätten die Hells Angels ihre Machtposition verdeutlichen wollen, sagt die Berliner Staatsanwaltschaft. Der Prozess gegen zehn Angeklagte erregt Aufsehen, dauert rund fünf Jahre, es werden mehr als 370 Zeugen. Kassra Zargaran entscheidet sich, Kronzeuge zu werden.

Nach dem Mord im Wettcafé habe er sich dazu entschieden. Einen größeren Verrät gibt es nicht. „Ich hatte gedanklich zwar schon vor Monaten mit dem Club abgeschlossen und wollte dieses Leben längst hinter mir lassen, aber jetzt war es endgültig vorbei“, erinnert er sich.

In der U-Haft sagt er sich von den Hells Angels los

In der Untersuchungshaft entfremdet er sich nach eigenen Angaben weiter. Sein neuer Verteidiger Steffen Tzschoppe rät ihm zur Kronzeugenregelung. „Es war ein Wechsel von einem ins andere Extrem. Denn allumfassend auszusagen hieß gleichzeitig auch: mein altes Leben zu beenden.“ Er wollte nicht für eine Gemeinschaft „sitzen“, die mordete.

Das Landgericht urteilt im Oktober 2019. Sieben Angeklagte erhalten wegen gemeinschaftlichen Mordes lebenslange Freiheitsstrafen. Der Rockerchef, der die tödlichen Schüsse in Auftrag gegeben haben soll, wird wegen Anstiftung zum Mord verurteilt. Kronzeuge Zargaran wird ebenfalls wegen Mordes verurteilt - kommt aber mit zwölf Jahren glimpflicher davon. Auch der zehnte Angeklagte erhält eine niedrigere Strafe.

Die Idee für das Buch kam hinter Gittern

Weitere Verdächtige hatten sich in die Türkei abgesetzt. Der Bundesgerichtshof bestätigte im November 2021 die Verurteilungen im Wesentlichen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Kronzeuge längst in Freiheit. Nach sechs Jahren und sieben Monaten Haft kam er wieder auf freiem Fuß.

Die Idee für das Buch kam ihm im Gefängnis. Nach der Haft sei das Interesse von Medien und Verlagen „sehr groß“ gewesen. „Das hat gepasst“, sagt er und räumt ein: „Natürlich ist das auch ein Geschäft.“ Er sei berufstätig, gibt Zargaran an. Aber der jahrelange Prozess hat immense Kosten verursacht, die auch ein Kronzeuge zu begleichen hat.

Das Rocker-Leben war „maximal menschenverachtend“

Auf rund 270 Seiten schildert er seine Jugend in Norderstedt. Der Sohn eines aus dem Iran stammenden Optikers und einer Erzieherin mit chilenischen Wurzeln driftet in die kriminelle Szene ab, erliegt der Faszination des Rocker-Lebens. „Maximal menschenverachtend“ nennt er diese Kultur heute.

„Der Club und vor allem die Außenwirkung des Clubs waren mir wichtig. Wobei „wichtig„ vielleicht untertrieben ist. In dieser Phase meines Lebens war der Club alles für mich. Der Club bestimmte mein Leben. Er war mein Leben.“

Hells Angel aus Norderstedt geht in den Zeugenschutz

Heute führt er unter anderem Namen ein ruhiges Leben, hat eine Tochter. Um für das Buch zu werben, riskiert er einiges. „Ich bin vorsichtig.“ Angst hat er nicht, weder vor Nachbarn, die ihn erkennen könnten, noch vor einer Racheaktion der Hells Angels.

„Angst ist eine hemmende Eigenschaft, die einen Lebensqualität entziehen kann. Darauf habe ich mich nicht eingelassen“, sagt er. In der Haft sei er nahezu isoliert gewesen. Nun versuche er, sich nicht von „irgendwelchen Leuten“ zusätzlich einen Teil seines Lebens nehmen zu lassen. „Manche Menschen wenden sich aber von mir ab, weil sie sich dem Ganzen nicht aussetzen wollen“, räumt er ein.