Kreis Segeberg. Praxen und Kliniken wollen angehenden Ärzten Weiterbildung erleichtern, um Hausärzte-Mangel in Norderstedt und Umgebung zu bekämpfen.

Im Raum Norderstedt fehlen aktuell fünf Hausärzte, im Bereich Kaltenkirchen, Bad Bramstedt, Trappenkamp sind bereits zehn Hausarztpraxen unbesetzt. Damit die medizinische Versorgung der Bevölkerung weiterhin gewährleistet und möglichst noch verbessert wird, hat der Kreis Segeberg jetzt mit 24 Arztpraxen mit insgesamt etwa 50 niedergelassenen Ärzten und allen fünf Kliniken im Kreis den „Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin“ vertraglich vereinbart.

Mit dieser beispielhaften Kooperation, die die erste dieser Art in Schleswig-Holstein ist, soll die gesundheitliche Versorgung vor allem im ländlichen Raum für die Zukunft gesichert werden, sagt Landrat Jan Peter Schröder.

Hausarzt: Konzept soll Medizinstudenten in den Kreis Segeberg locken

So soll diese Initiative, die es in anderen Bundesländern bereits gebe, die Medizinstudierenden direkt von der Uni in den Kreis Segeberg locken, erklärt Otto Melchert, der diese Kooperation in zwei Jahren zusammengebracht hat. Der frühere Klinikchef ist jetzt offiziell Kreiskoordinator für die ambulante ärztliche Versorgung im Kreis Segeberg.

Jeder angehende Arzt muss nach dem Studium eine fünfjährige praktische Weiterbildung absolvieren, erklärt er. Davon mindestens ein Jahr in einer Klinik. Die Krankenhäuser dürften aber nur Fachärzte ausbilden. Um ein niedergelassener Hausarzt oder eine Allgemeinmedizinerin zu werden, müsse dieser oder jene drei Fachgebiete wie Chirurgie, Kardiologie, Innere Medizin, Orthopädie oder Geriatrie in der Weiterbildungspraxis lernen.

Hausärzte: Fünf Kliniken in der Region machen mit

Dafür biete der jetzt geschlossene Weiterbildungsverbund nun „alles aus einer Hand“ an, erklärt Melchert. Die fünf Kliniken (Segeberg, Schön, Bad Bramstedt, Rickling und Paracelsus), die dazugehören, sicherten die klinische Ausbildung für die angehenden ÄrztInnen ab.

Die angeschlossenen 19 Hausarzt- und fünf Facharztpraxen gewährten den praktischen Einblick in Chirurgie oder Gynäkologie. Und das medizinische Institut in Kiel übernehme die Mentoren-Aufgabe in der Weiterbildung mit erfahrenen Kollegen, die sie „an die Hand nehmen“, beschreibt Swantje Gehring von der Ärztegenossenschaft das neue Modell, der 60 Arztpraxen angehören.

Jungen Medizinern wird der berufliche Einstieg erleichtert

„Für die jungen Mediziner ist das ein absoluter Gewinn“, sagt Gehring, der selbst eine Hausarztpraxis in Norderstedt betreibt. „Wir erleichtern dem medizinischen Nachwuchs den Einstieg in das Berufsleben.“

Und wenn ein Arzt oder Ärztin in der Ausbildung erst einmal in der Region verankert sei und womöglich eine Familie gegründet habe, bleibe er oder sie dann auch als niedergelassene MedizinerIn in der Region. „Das ist meine langjährige Erfahrung“, sagt Dr. Gehring. Für die Patienten im Kreis Segeberg sei dieses Modell ohnehin „ein großer Gewinn“.

Für die Anwerbung der jungen Ärzteschaft gibt es bereits eine Werbestrategie, führte Lars Wrage von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft WKS bei der Vorstellung des Weiterbildungsverbundes im Kreishaus aus. Mehrere Hausärzte , wie der 38 Jahre alte Norderstedter Jan Oppermann beim Joggen im Norderstedter Stadtpark, werben auf Plakaten mit dem Slogan: „Ich mach Karriere als Hausarzt.“

Norderstedt und Umgebung: Werbeplakate gehören zur Kampagne

Diese Werbeplakate und drei Werbefilme seien Teil der neuen Kampagne, die jetzt in den medizinischen Fakultäten ausgehängt und in den sozialen Medien geschaltet werden sollen, um die angehenden Mediziner auf den Kreis Segeberg aufmerksam zu machen, kündigt Wrage an.

Ohnehin sei der Beruf eines Allgemeinmediziners einer der schönsten, den es gibt, schwärmt Ilka Petersen-Vollmar, die selbst als Hausärztin in einer Gemeinschaftspraxis in Norderstedt praktiziert. „Wir müssen immer ran“, erst recht in Zeiten wie diesen, sagt sie.

24 Hausarztpraxen mit 50 Medizinern und alle fünf Kliniken im Kreis Segeberg haben jetzt den Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin gegründet, um die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung mit Hausärzten für die Zukunft zu sichern.
24 Hausarztpraxen mit 50 Medizinern und alle fünf Kliniken im Kreis Segeberg haben jetzt den Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin gegründet, um die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung mit Hausärzten für die Zukunft zu sichern. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

„Aber die Patienten verlassen sich auf einen und oft behandeln wir die Kinder und Kindeskinder von ganzen Familien. Das ist eine ganz andere Medizin als in den Kliniken.“ Und zum Selbstverständnis ihres Berufsstandes sagt sie: „Wenn wir Hausärzte aussterben, dann gibt es keine Ärzte mehr, die die Patienten in die Kliniken überweisen können.“

Kreis Segeberg: Funktionierende medizinische Vor- und Nachsorge

Das sei den Krankenhäusern durchaus bewusst, sagte Jens Ritter vom Klinikum in Bad Bramstedt. „Uns Kliniken ist eine funktionierende medizinische Vor- und Nachsorge unserer Patienten sehr wichtig.“ Dafür seien vielerorts bereits Medizinische Versorgungszentren geschaffen worden, die das gewährleisteten. Mit dem jetzt geschaffenen Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin würden zudem neue Möglichkeiten für die jungen Ärzte und Arbeitsplätze in den Arztpraxen geschaffen.

Für die Mediziner biete der Verbund neben dem Mentoring und dem festen Ansprechpartner eine für fünf Jahre gesicherte Weiterbildung an, erklärt Koordinator Melchert. „Das ist attraktiv für die jungen Ärzte. Damit haben sie Planungssicherheit und müssen sich für ihre notwendige Rotation ihrer praktischen Ausbildung keine Arztpraxen mehr suchen.“

Ältere Hausärzte müssen nicht mehr weiterarbeiten

Auch für die Kreispolitik sei dies „ein sehr guter Schritt in die Zukunft“, lobte die Kreistagsabgeordnete Rosemarie Jahn (FDP) den Weiterbildungsverbund, die dem Ausschuss für Ordnung, Verkehr und Gesundheit vorsitzt. Und sie biete auch den vielen älteren Kollegen eine Perspektive, sagte Alexandra Emken, Fachdienstleiterin Gesundheit in der Kreisverwaltung. „Die müssen dann nicht mehr mit 70 oder 80 Jahren weiterarbeiten, weil sie keinen Nachfolger finden.“

Der Kreis Segeberg lässt sich diese Investition in die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung auch einiges kosten. So hat er 3,3 Millionen Euro in ein Fünf-Jahres-Programm zur ärztlichen Nachwuchsförderung zur Verfügung gestellt.

Hausarzt: Derzeit 15 angehende Ärzte in der fünfjährigen Weiterbildung

Allerdings brauche das Projekt einen langen Atem, sagt Melchert. Vom Studium bis zur fertigen Fach- oder Hausarztausbildung würden meist zwölf Jahre vergehen. Und zurzeit gebe es im Kreis Segeberg 15 angehende Ärzte und Ärztinnen in der fünfjährigen Weiterbildung.

Also drei pro Jahr könnten eine Hausarztpraxis übernehmen, erklärte Melchert. Doch gleichzeitig hörten hier sechs Hausärzte auf, weil sie das Rentenalter erreicht hätten. Ein Drittel der 175 niedergelassenen Hausärzte sei jetzt schon älter als 60 Jahre und werde bald in Ruhestand gehen.