Norderstedt. 130 Ukrainerinnen und Ukrainer besuchen Schulen in Norderstedt. Der Alltag gibt ihnen Sicherheit. Wie sie in ihr neues Leben eintauchen.

Es ist kurz nach Unterrichtsschluss an der Offenen Ganztagsgrundschule Falkenberg (OGGS) in Norderstedt. „Kommst Du mit auf die Seilschaukel?“, ruft Drittklässlerin Valeria der neunjährigen Marta aus der Ukraine zu. Das Mädchen nickt, und schon bringen die beiden gemeinsam mit zwei weiteren Klassenkameradinnen das baumdicke Tau in Bewegung.

Dass die Mädchen zusammen schaukeln, ist nicht selbstverständlich, denn: Noch vor wenigen Wochen hat Marta in der Ukraine gelebt. Mit ihrer Mutter und ihrem siebenjährigen Bruder Vitalii ist sie aus Brody, das 100 Kilometer nordöstlich von Lwiw liegt, geflohen. Nun besucht sie mit 20 weiteren ukrainischen Kindern seit März die Schule am Falkenberg.

Mit großer Freude beobachtet Gesine Stahnke, Leiterin des Teams für die Nachmittagsbetreuung, das Geschehen. Organisiert wird es am Falkenberg von der städtischen Gesellschaft Bildung-Erziehung-Betreuung (BEB), wie auch an den anderen Ganztagsgrundschulen in Norderstedt.

130 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine an Schulen in Norderstedt

Die neunjährigen Mädchen Anna und Marta aus der Ukraine haben Anschluss in und außerhalb der Klassengemeinschaft gefunden.
Die neunjährigen Mädchen Anna und Marta aus der Ukraine haben Anschluss in und außerhalb der Klassengemeinschaft gefunden. © BEB Norderstedt

Dort werden die meisten Jungen und Mädchen unterrichtet, die vor dem Krieg geflüchtet sind und in Norderstedt eine neue Heimat gefunden haben. Laut Stadtverwaltung lernten im Mai gut 130 Kinder und Jugendliche an Norderstedter Schulen, jeweils zur Hälfte an Grund- und an Gemeinschaftsschulen. Aktuell sind im Rathaus 710 ukrainische Geflüchtete offiziell bekannt, die zurzeit in Norderstedt leben. 484 sind privat untergebracht, 226 in städtischen Unterkünften.

Die Mädchen und Jungen gehen entweder in die DaZ-Klasse (Deutsch als Zweitsprache) oder in eine Regelklasse. Mathe, Sachunterricht, Kunst – gelernt wird auf Deutsch. Da hilft es einigen geflüchteten Kindern wie Marta, wenn sie in ihrem Heimatland Englischunterricht hatten und bereits lateinische Buchstaben kennen.

„Die Kinder sind sehr lernfreudig. Das ist keine Selbstverständlichkeit nach den Strapazen der Flucht, schließlich liegen beunruhigende Tage und Wochen hinter den Kindern. Der strukturierte Schulalltag gibt ihnen Halt, Sicherheit und Normalität“, sagt Gesine Stahnke.

Gebürtige Ukrainerin beantwortet Fragen in ihrer Muttersprache

Vier Mal pro Woche für jeweils drei Stunden kommen alle ukrainischen Schülerinnen und Schüler bei Nataliia Kumorkievich zusammen. Die gebürtige Ukrainerin ist seit einigen Jahren als BEB-Betreuungskraft an der OGGS Heidberg am Nachmittag tätig. Seit kurzem arbeitet sie zusätzlich vormittags als Ersatzlehrerin an der OGGS Falkenberg, kann Fragen in der Muttersprache beantworten und versuchen kleine Probleme zu lösen.

„Anfangs haben wir uns viele Gedanken gemacht, wie wir die Kinder am besten integrieren können, aber das haben sie selbst in die Hand genommen, indem sie offen und neugierig an allem teilnehmen, was sie interessiert“, sagt Gesine Stahnke. Sprachbarrieren werden mit Bildkarten beseitigt. Vieles geht auch ohne große Worte. Aus Rücksicht auf die ukrainischen Kinder hat die Schule auf die anstehende Notfallübung mit Sirenenalarm verzichtet.

Gut die Hälfte der aufgenommenen Grundschüler bleibt nach Unterrichtsschluss auf dem Schulgelände. Erst gibt es Mittagessen in der Mensa, dann erledigen die Kinder ihre Hausaufgaben, anschließend können sie toben und klettern.

Krieg gegen die Ukraine: Flüchtlinge in Norderstedt

Am liebsten mag Marta das Zahlenraten und spielt mit Anna, die auch aus der Ukraine kommt, und anderen neuen Klassenfreundinnen wie Valeria. Die Neunjährige hat eine wichtige Funktion in und außerhalb der Klasse, denn sie spricht Russisch. Die vielen Fragen von Marta und Anna würden zwar manchmal nerven, dennoch übersetze und helfe sie gerne, räumt die Nachwuchs-Dolmetscherin ein.

Zumal die Neuzugänge wissbegierig sind und überall mitmachen wollen – auch in der Nachmittagsbetreuung. Für Gesine Stahnke ein Zeichen, dass sie sich wohlfühlen – jedenfalls bei den meisten. „Doch es ist zu erkennen, wer von ihnen ein Päckchen zu tragen hat“, sagt die BEB-Leiterin.