Wakendorf II. Wie Landwirte und Jäger Rehkitze mit modernster Technik vor dem sicheren Tod in den Messern von Mähmaschinen retten.

„Daniel, geh‘ mal mit der Drohne runter – da liegt was“, ruft York Weitzmann. Auf dem Bildschirm, der mit der fliegenden Wärmebildkamera gekoppelt ist, leuchtet ein roter Punkt auf. Die beiden jungen Männer stehen auf einer großen Wiese und sind auf der Jagd nach Rehen. Nicht mit Kimme und Korn: Sie sind auf einer Rettungsmission für gefährdete Bambis.

Zwischen Anfang Mai und Ende Juni bringen die Rehmütter, Ricken genannt, ihre Kitze zur Welt und legen sie zum Schlafen bevorzugt im hohen Gras ab. Doch in dieser Zeit setzen die Landwirte auch zur ersten Heumahd an. Unzählige Kitze sterben dabei einen grausamen Tod, wenn die scharfen Messer der Mähwerke über sie kommen – weil die Kitze noch kein Fluchtverhalten haben und sich bei lauten Geräuschen einfach ducken, statt wegzulaufen.

Die Rehkitze werden aus der Luft geortet und behutsam gerettet

Mit der Drohnenortung und anschließenden Sicherung wird Baby-Rehe wird den Tieren dieses Schicksal erspart. „Bis vor drei Jahren haben wir vor dem Mähen mit ein paar Leuten das jeweilige Feld abgesucht und in Abständen Stecken mit flatternden Bändern oder akustischen Signalgebern gesetzt, um Unruhe zu erzeugen und die Ricken davon abzubringen, die Kleinen dort abzulegen. Doch das war nicht wirklich erfolgreich“, erzählt Anke Neumann.

Sie betreibt in sechster Generation einen Hof in Wakendorf II, hält 75 Rotbunte Rinder zur Milchproduktion, baut auf 30 Hektar eigenes Futter an und ist oft mit dem Trecker unterwegs – auch zum Heumachen. „Die schrecklichen Schreie der verletzten Kitze werde ich niemals vergessen; sie gehen einem durch Mark und Bein“, sagt die Landwirtin bedrückt.

16 Rehkitze rettete ein Landwirtin 2021 auf ihren Flächen vor dem sicheren Tod

Landwirtin Anke Neumann mit einem geretteten Kitz auf einer ihrer Wiesen.
Landwirtin Anke Neumann mit einem geretteten Kitz auf einer ihrer Wiesen. © Rehkitzrettung Wakendorf II

Für sie steht fest: Nur eine Rehkitzrettung aus der Luft ist effektiv. „Im vergangenen Jahr haben wir 3000 Euro für einen Lohn-Piloten ausgegeben, der allein auf meinen Flächen 16 Kitze aufgespürt hat. Viel Geld, das gut angelegt war, aber ich habe immer von einer Dorf-eigenen Drohne geträumt; Kostenpunkt rund 8000 Euro.“ 2021 lobte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft einen Zuschuss über 3700 Euro aus. „Die Chance haben wir genutzt und extra den Verein ‚Rehkitzrettung Wakendorf II‘ gegründet, um in die Förderung von zwei Drohnen zu kommen“, berichtet Anke Neumann.

Von der VR Bank gab es zusätzlich 2000 Euro, 2000 Euro steuerte die Gemeinde bei doch trotz der Vereinsbeiträge sind noch 2500 Euro offen. Rund 50 Mitglieder hat der junge Verein bereits, darunter acht Wakendorfer Landwirte, Bürgermeister Jens Dürkop übernahm das Amt des Schatzmeisters, und vier Drohnen-Piloten, die eine Prüfung für die Bedienung der Quadrokopter absolvierten.

Geübt wird mit Wärmflaschen in Jutebeuteln

Das Team der Rehkitzrettung Wakendorf II geht mit Drohne, Kescher und Transportbox auf Kitzrettung.
Das Team der Rehkitzrettung Wakendorf II geht mit Drohne, Kescher und Transportbox auf Kitzrettung. © Claudia Blume

Geübt wurde im Herbst mit Wärmflaschen, die in Jutesäcken verstaut auf einem Feld versteckt waren und per Mini-Flieger entdeckt werden mussten. Per WhatsApp-Gruppe melden sich Freiwillige zum jeweiligen Einsatz. „Geflogen wird früh morgens gegen vier Uhr oder spät abends, dann ist auf den Wärmebildkameras der Kontrast am besten zu erkennen. „Doch wenn der Boden aufgeheizt ist, sieht jeder Maulwurfshügel wie ein Rehkitz aus“, erklärt Daniel Vandrey.

In 50 Metern Höhe überfliegt er mit 18 Kilometern pro Stunde Markierungen der vorab kartierten Felder. Das macht die Arbeit mit der Drohne leichter und der Pilot kann sich auf den Bildschirm konzen­trieren. Bei 3,7 Hektar dauert die Suche aus der Luft rund sieben Minuten. Spätestens nach 30 Minuten muss die Drohne landen und der Akku getauscht werden.

Die Rehkitze dürfen den Geruch des Menschen nicht annehmen

Ist ein Kitz entdeckt, eilen Helfer mit Kescher und Korb zum Fundort. „Immer mit Handschuhen und ein paar Grasbüscheln und niemals mit nackten Händen, sonst nimmt die Ricke ihr Junges später nicht mehr an“, betont Dirk Schack, zweiter Vereinsvorsitzender und Jäger. Am Feldrand wird das Kitz unter einem Korb gesichert und der Landwirt per Handy informiert, um zeitnah mit dem Mähen zu beginnen. „Ist er fertig, wird der Korb entfernt und die Ricke findet ihren Nachwuchs durch Rufen“, erklärt Schack.

Da der Verein auch immer öfter aus Nachbargemeinden angefragt wird, würde er gerne eine dritte Drohne anschaffen, zusätzliche Kontrollbildschirme sowie weitere Akkus für zusätzliche Flugzeit. „Je mehr Menschen uns unterstützen oder in den Verein eintreten, desto eher erreichen wir das Ziel“, hofft Initiatorin Anke Neumann. „Zwischen dem 6. und 21. Mai haben wir bereits 26 Kitze vor dem brutalen Mähtod bewahrt. Die zarten, kleinen Lebewesen zu retten, macht einfach glücklich.“

Wer den Verein unterstützen möchte, wendet sich per Mail an jduerkop@outlook.com. Spendenkonto Rehkitzrettung Wakendorf II e. V.: IBAN DE89 2219 1405 0067 2031 50