Norderstedt. Der Grundeigentümerverband Haus & Grund kann sich derzeit vor Anfragen kaum mehr retten. Was die Reform so kompliziert macht.

Die Neuberechnung der Grundsteuer in Schleswig-Holstein verunsichert Haus- und Wohnungsbesitzer In Norderstedt, lässt manchen schier verzweifeln. „Unsere Mitglieder rennen uns die Bude ein, wir wissen nicht, wie wir die Flut von Anfragen bewältigen sollen und können“, sagt Sven Wojtkowiak, Vorsitzender von Haus & Grund in Norderstedt. Die Steuer wird neu berechnet, und nun sind alle gefordert, die Wohnungen oder Häuser besitzen, die erforderlichen Unterlagen beim Finanzamt einzureichen. Und zwar online über das elektronische Steuererklärungsprogramm „Elster“. Vom 1. Juli bis 31. Oktober in diesem Jahr haben die Immobilienbesitzer dafür Zeit, die neu berechnete Grundsteuer wird dann ab Januar 2025 erhoben.

„Bei der Vorgabe, die Unterlagen digital einzureichen, geht es schon los. Vor allem Ältere fragen, was sie machen sollen, weil sie E-Mail und das Internet nicht nutzen oder sich da nicht auskennen“, sagt Wojtkowiak. Zwar bestehe grundsätzlich die Pflicht, die Angaben auf elektronischem Weg weiterzuleiten, es gibt aber die Möglichkeit, das auch in Papierform zu erledigen. Wer diese Form nutzen will, muss aber vorher einen Härtefallantrag stellen“, sagt der Vorsitzende des örtlichen Grundeigentümerverbands, der 1800 Mitglieder hat. Sie stellten rund 20 Prozent der Wohnungsvermieter in Norderstedt, wo es rund 40.000 Wohnungen gebe.

Grundsteuer Norderstedt: Plätze für das Webinar waren schnell vergriffen

Doch Auskunft verlangen nicht nur die Mitglieder. „Ob per Telefon, E-Mail oder während der Sprechstunden – es melden sich auch viele, Nichtmitglieder, was die ohnehin schon enorme Zahl der Anfragen zusätzlich in die Höhe treibt“, sagt Wojtkowiak. Wer kein Vereinsmitglied ist, bekommt keine Auskunft. Das stoße bei vielen auf Unverständnis, sie dächten, Haus & Grund sei eine öffentliche Auskunft ähnlich wie die Verbraucherzentrale. Wenn das Team darauf hinweise, dass nur Mitglieder beraten werden können, würden die Mitarbeiter auch noch beschimpft oder als Erpresser bezeichnet. Die meisten seien aber einsichtig, die Reform der Grundsteuer habe dem Grundeigentümerverein sogar neue Eintritte beschert.

Wie verunsichert die Menschen seien, habe sich auch beim Webinar gezeigt, mit dem Haus & Grund seine Mitglieder über die Reform der Grundsteuer informiert habe. Die 300 Zugänge zur Videokonferenz seien ganz schnell vergriffen gewesen. Für den 1. Juni plant der Verein eine zweite Auflage.

Online-Abgabe der Unterlagen sorgt häufig für Probleme

Da gibt es jede Menge Fragen. Welche Unterlagen brauche ich? Wo finde ich die Bodenrichtwerte? Und vor allem: Wird es teurer? Es kämen aber auch Menschen wie die Seniorin, die seit Jahrzehnten in ihrem Reihenhaus wohnt und noch nie eine Steuererklärung abgegeben hat Und dann gebe es noch die, die wegen anderer Probleme kommen und überhaupt noch nichts davon gehört haben, dass die Grundsteuer neu berechnet wird“, sagt Wojtkowiak. Ob Immobilienbesitzer künftig mehr oder weniger für ihre Immobilie zahlen müssen, lasse sich nicht pauschal beantworten. Der Verein bietet einen Grundsteuerrechner online an. Mit ihm könne die Summe berechnet werden, allerdings auf Basis der alten Bodenrichtwerte.

Die Steuer wird neu berechnet, nachdem das Bundesverfassungsgericht die alte Grundsteuer verworfen hat, weil sie zum Teil auf völlig veralteten Immobilienwerten basierte und daher zu ungerechten Ergebnissen führte. Oft wurden zwei nahezu identische, benachbarte Gebäude extrem unterschiedlich besteuert, nur weil sie unterschiedlichen Baujahrs waren. Sehr vereinfacht gesagt, haben Besitzer von vor 1964 errichteten Gebäuden tendenziell wenig Grundsteuer bezahlt, auch wenn es sich um wertvolle Altbauten in bester Lage handelt. Besitzer neuer Immobilien dagegen viel, auch wenn deren Lage weniger attraktiv ist.

832.000 Grundstücke müssen neu bewertet werden

Was für mehr Steuergerechtigkeit sorgen soll, wird nicht funktionieren, sagt Wojtkowiak voraus: „Wir laufen in ein Chaos rein.“ Anlass der pessimistischen Prognose: Die Zeit für die neue Berechnung der Grundsteuer sei zu knapp bemessen. So liegen die aktuellen Bodenrichtwerte, ein wesentlicher Baustein der neuen Steuersumme, für Schleswig-Holstein noch gar nicht vor. Und die Werte für 2020 gelten nicht mehr. Die Gutachterausschüsse der Landkreise ermitteln alle zwei Jahre anhand der tatsächlichen Grundstückskäufe, wie hoch der Preis pro Quadratmeter für baureifes Land ist.

Außerdem bezweifelt der Ortsvorsitzende von Haus & Grund, dass die Finanzämter im Norden die erwartete Datenflut bewältigen können. 832.000 Grundstücke müssten neu bewertet werden – schon jetzt türme sich in den Behörden ein Berg von 50.000 unbearbeiteten Steuererklärungen. Die Finanzämter müssen die Vorarbeit leisten, damit die Städte und Gemeinden die neuen Hebesätze für die Grundsteuer festlegen können. Die gesetzliche Vorgabe: Die Einnahmen einer Stadt oder Gemeinde dürfen insgesamt die jetzige Höhe nicht überschreiten. Eine Rechenaufgabe für die Finanzverantwortlichen in den Rathäusern, die das Nullsummenspiel erledigen müssen.

„Die Hebesätze müssten bis Mitte 2024 feststehen, denn die Kommunalpolitiker müssen sie abschließend beschließen“, sagt Wojtkowiak. Haus & Grund fordert die neue Landesregierung auf, sich nochmals mit dem Thema zu beschäftigen und die Art der Berechnung zu überdenken. So sei das Hamburger Modell deutlich einfacher. Es gebe zwei Berechnungsmodelle für die Grundsteuer: das Bundesmodell und abweichende Modelle in einigen Bundesländern wie in in Hamburg, wo beispielsweise die Bodenrichtwerte nicht verlangt werden. Schleswig-Holstein hingegen folgt dem Bundesmodell.

Das müssen Haus- und Wohnungsbesitzer beim Finanzamt einreichen

Für die Neubewertung muss jeder Immobilienbesitzer die sogenannte Feststellungserklärung beim Finanzamt einreichen. Zu den nötigen Angaben gehören die Steuernummer des Grundsteuerbescheids (nicht identisch mit der Einkommensteuernummer), Lage (Adresse, Grundbuchauszug, Flurkarte), Art (Ein-, Zweifamilien- oder Mehrfamilienhaus), Grundstücksfläche, Baujahr, Wohn- und Nutzfläche sowie Garagenplätze und aktueller Bodenrichtwert. Die Werte liegen noch nicht vor, das Finanzministerium hat angekündigt, einen Link zu seinen aktuellen Richtwerten rechtzeitig online zur Verfügung zu stellen.