Buchprojekt

Urenkelin schreibt Uropas Kriegserlebnisse auf

| Lesedauer: 5 Minuten
Frank Knittermeier
Autorin Celina Keute mit ihrem Urgroßvater Hermann Kronemeyer, der als Jugendlicher noch wenige Monate vor Kriegsende 1945 eingezogen und an die Front geschickt wurde.  

Autorin Celina Keute mit ihrem Urgroßvater Hermann Kronemeyer, der als Jugendlicher noch wenige Monate vor Kriegsende 1945 eingezogen und an die Front geschickt wurde.  

Foto: Steffen Burkert, GN / Frank Knittermeier

Hermann Kronemeyer musste 1945 als 17-Jähriger an die Front. Urenkelin Celina Keute machte aus seinen Erinnerungen ein Buch.

Henstedt-Ulzburg.  Hermann Kronemeyer hat erlebt, was es bedeutet, in den Krieg zu ziehen, an der Front zu kämpfen, Kameraden neben sich sterben zu sehen: Noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er mit gerade mal 17 Jahren eingezogen und mit dem Karabiner in der Hand an die Westfront geschickt. Heute, mit 95 Jahren, weiß er, wie die Menschheit tickt: „In der Vergangenheit sind Menschen immer wieder plündernd in andere Länder eingefallen, immer wieder gab es kriegerische Auseinandersetzungen und immer wieder hieß es danach, dass sich dies nicht wiederholen dürfe. Trotzdem passiert es ständig erneut.“

Diese Sätze wurden aufgeschrieben, bevor Russlands Soldaten in die Ukraine einmarschierten und dort auf Wunsch und Befehl eines Machthabers einen Vernichtungskrieg begannen. Hermann Kronemeyer ist ein weiser und weitblickender Mensch, von den Erlebnissen seiner Kindheit und Jugend geformt. Seine Urenkelin hat aufmerksam zugehört, was er zu berichten hatte: Celina Keute aus Henstedt-Ulzburg hat sich stunden- und tagelang mit ihrem Uropa unterhalten und aus den Mitschnitten ein Buch gemacht, dessen Lektüre aufwühlt und nachdenklich macht.

„Schüsse in der Stille“ ist „nur“ im Selbstverlag (tredition GmbH) erschienen, hat aber gerade in dieser aufwühlenden Zeit eine große Leserschaft verdient. Die 26 Jahre alte Sprachwissenschaftlerin hat extra eine Autorenschulung absolviert, bevor sie sich an die Arbeit machte. Es hat sich gelohnt: In ruhiger Sprache beschreibt sie das Leben ihres Urgroßvaters in professioneller Weise. Auf jegliche Effekthascherei hat sie dabei verzichtet, weil das auch gar nicht nötig war: Hermann Kronemeyer hat so viel erlebt, dass es für zwei oder drei Leben reichen würde.

Ein großer Vorteil war für die Autorin, dass ihr Uropa auch im hohen Alter noch klare Erinnerungen hat – wohl auch deshalb, weil er sie im Laufe seines Lebens geschult hat: Schon lange schildert er seine Vor-, Kriegs- und Nachkriegserlebnisse immer wieder in Vorträgen, die er zum Beispiel in Schulen hält, um junge Menschen wachzurütteln. Er ist ein national und international gefragter Zeitzeuge, der es gelernt hat, wie er seine Zuhörer packen kann, um sie mit einer Zeit zu konfrontieren, die längst vergessen und unwirklich erscheint, aber, wie sich heute zeigt, von der Aktualität eingeholt wird. Aus der Sicht ihres Urgroßvaters schildert Celina Keute zunächst wie er den Beginn des Krieges im Elternhaus in der Grafschaft Bentheim direkt an der niederländischen Grenze erlebt hat. Luftkämpfe über dem Haus, abgestürzte Jagdflieger im Moor hinter dem Haus, Kriegsgefangene im Emslandlager Bathorn in unmittelbarer Nähe. Dann der deutsche Überfall auf die Niederlande, der das Verhältnis zwischen den Nachbarn diesseits und jenseits der Grenze nachhaltig verändert. Aus Freunden werden plötzlich Feinde.

Die Ereignisse laufen unausweichlich darauf hinaus, dass er mit 17 Jahren, wenige Monate vor Kriegsende, an die Westfront geschickt wird, wo oft nur das eigene Überleben zählt. Tag- und Nacht im Einsatz, Schlaf in Schützengräben, in Scheunen, im Gras, Schüsse aus der Luft, aus dem Wald gegenüber, auch abgefeuert von Kameraden, die die Lage verkennen, immer auf der Suche nach Nahrung, verdreckt, verlaust, von der eigenen Kompanie abgeschnitten. Schließlich Kriegsgefangenenlager, Verachtung und Todesandrohungen von den niederländischen Nachbarn.

Ähnliches haben viele wahrscheinlich immer wieder gelesen oder in Filmen gesehen. Meist aber aus der Sicht von außen, hier werden die Leser mit einem Bericht von innen konfrontiert: Hermann Kronemeyer hat erlebt, wie halbe Kinder an der Front verheizt werden und ihr Leben lassen mussten.

Celina Keute hat aus den Gesprächen mit ihrem Urgroßvater viel gelernt: „Krieg verändert die Menschen“, schreibt sie in ihrem Nachwort. „Sie handeln, wie sie es unter normalen Umständen nicht tun würden, sie sehen Menschen als Feinde an, die sich nicht einmal kennen.“

Zweieinhalb Jahre hat sie sich bei der Arbeit an dem Buch täglich mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt und dabei ihr Bewusstsein erweitert: „Wir können froh und dankbar sein, dass wir heute ein gutes Verhältnis zu anderen Völkern haben.“ Obwohl ihr die Dozenten des Autorenkurses geraten haben, sich einen Verlag zu suchen, hat sich Celina Keute für die Form des Selbstpublishing entschieden, um die Kontrolle über ihr Werk nicht aus der Hand zu geben. Einige tausend Euro war ihr dieser Schritt wert.

Hermann Kronemeyer hat ebenfalls aus den Erlebnissen gelernt und seine Schlüsse daraus gezogen: „Krieg ist kein Abenteuer und kein Vergnügen. Er ist von allem nur das Schlimmste.“

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