Steinbek. „Guck mal, eine Necke! Eine Nacknecke! Jetzt macht sie auch noch Kopfstand! Iiiih, der ganze Sneckensleim!“ Ein braunes Wesen, das sich im Zeitlupentempo an der Mauer längsschlängelt, sorgt für tierische Aufregung bei den dreijährigen Ida, Taavi und Aurora. Lönne, Hinrich, Jakob und Lotte, die in Sandkasten und Waschküche auf der Wiese beschäftigt sind, horchen auf und eilen herbei, um mit den Erzieherinnen Denise Ralf (38) und Simone Maschen (55) die Attraktion des Augenblicks zu bestaunen: eine Nacktschnecke.
Bauernhof-Kindergarten: ZU Gast bei den „Hofküken“
Ich bin heute Vormittag zu Gast bei den „Hofküken“ auf dem Hof von Jochen Wittern (74) in Steinbek, sechs Kilometer östlich von Bad Segeberg. Und die machen jetzt erst mal „Mausepause“ am Treffpunkt Sonnenblume – mit frischen knackigen Äpfeln von „Bauer Jochens“ Hof. Der Anfang August eröffnete Bauernhof-Kindergarten (montags bis freitags geöffnet von 8 bis 14 Uhr) ist einer von bundesweit 19 unter dem Dach der Kita Natura eG mit Sitz in Krummbek (Schönberg/Holstein). Bereits 2000 gründete deren Vorsitzende Anne-Marie Muhs (55), studierte Ökotrophologin, Montessori-Pädagogin und Betriebswirtin des Handwerks, den ersten auf ihrem eigenen Bio-Hof in Krummbek.
Doch die Mutter von fünf Kindern wollte mehr. Der Bedarf an Bauernhof-Kindergärten mit Kontakt zu Tieren ist hoch, dachte sie sich und gründete 2017 mit der Kindheitspädagogin Larissa Schweizer die Kita Natura eG als genossenschaftliche Trägereinrichtung von Bauernhof-Kindergärten. Diese finanzieren sich aus Mitgliedsbeiträgen, Darlehen, Landes-, Kreis- und Kommunalzuschüssen sowie den Elternbeiträgen, die mit denen anderer Kitas vergleichbar sind. Das pädagogische Natura-Konzept orientiert sich, so lese ich nach, an den Naturkreisläufen und konzentriert sich auf tierhaltende Bauernhöfe. Die Gruppe umfasst bis zu 20 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahre. Die Natur erleben heißt das Konzept – und das zu allen Jahreszeiten.
Anfang September kam Lämmchen Wilma zur Welt
Wie in Steinbek gehen die Kinder mit den Erziehern beispielsweise Schafe und Hühner füttern, Eier aus dem Nest holen oder Kaninchenkraut pflücken. Da wird nach der Apfelernte in der Küche auch gern mal leckeres Apfelmus gekocht. Anfang September erblickte Lämmchen Wilma das Licht der Welt, und am nächsten Tag konnten die Lütten das Lamm schon willkommen heißen. „So erleben die Hofküken das ganze Jahr spannende und lebendige Hofgeschichten und lernen in der Natur viel über Tiere“, sagt Jochen Wittern zufrieden.
Mittlerweile sind zwei weitere Lämmchen geboren. Und die schauen wir uns jetzt mal an. „Komm“, ruft Ida, nimmt meine Hand und stapft mit mir in ihren roten Gummistiefeln mit den weißen Punkten schnurstracks über die nasse Schafswiese in den Schafstall. „Pssst – ganz leise sein! Und langsam bewegen“, flüstert Erzieherin Denise den Hofküken zu. Sie, die selbst auf dem Bauernhof aufwuchs, dreht sich zu mir um und ergänzt: „Die Tiere sind die besten Erzieher...“
Bauernhof-Kindergarten: Ganz nah dran an den Tieren
Verzückt betrachten die Kinder die wenige Tage alten Lämmchen. Die sind aber auch süß mit ihren schwarz-weiß gescheckten Köpfchen. Ganz fest kuscheln sie sich an die Mama und nehmen erst mal einen kräftigen Schluck Milch.
Haferflocken gibt’s im Hühnerstall. Den besuchen wir kurze Zeit später. Henne Hennelore ist eine echte Rampensau und drängt sich umgehend in den Vordergrund. Jochen Witterns Tochter Tina (47), sie betreibt auf dem Hof das Kunstcafé Kunterbunt, nimmt Hennelore auf den Arm. Sofort scharen sich die Hofküken um das Federvieh. Vorsichtig streckt ihr Ida das Händchen mit den Flocken entgegen. Die pickt Hennelore voller Wonne. Es scheint zu schmecken.
Die Wände des Hühnerstalls sind fantasievoll bemalt
Aurora haben’s eher die weißen Kaninchen angetan, die sie durch den Käfig mit Äpfelchen füttert. Hinrich und Jakob marschieren munter immer an der Wand des geräumigen Hühnerstalls lang und erkunden die Kunst. Vom Küken bis zum Schäfchen – mit schmucken Zeichnungen hat Tina Wittern die Wände des Hühnerstalls fantasievoll bemalt.
Nach so viel tierischer Inspiration geht’s wieder raus auf die Wiese. Dort wartet das Holzpferd. Aurora und Lotte reiten erst mal ‘ne Runde. Hinrich macht in der Hofküken-Küche klar Schiff. Ein Geschenk der Eltern zur offiziellen Eröffnung am 25. September. Ist auch nötig, denn Taavi hat hier aus Sand mal eben Schokopudding zubereitet, den er mir freudestrahlend zum Probieren entgegenstreckt...
Mittlerweile ist es 12 Uhr. Die ersten Hofküken werden von ihren Müttern und Vätern abgeholt. Nicht ohne den Abschlusskreis an der Sonnenblume. „Alle Leut, alle Leut’ gehen jetzt nach Haus’,“ singt die farbenfrohe Truppe und verabschiedet Aurora, die heute ihren ersten Tag mit den Hofküken verbracht hat. Alle anderen ziehen weiter ins Hofkükenhaus, einer ehemaligen Tierarztpraxis auf dem 500 Jahre alten Bauernhof, die der Landwirt für die Kita komplett hat umbauen lassen. Hier gibt’s gleich das gemeinsame Mittagessen: leckere Teigtaschen – und zum Nachtisch Obst.
Am Wochenende hat das Café Kunterbunt geöffnet
Ich winke in die Runde und sage tschüss. Mit Jochen und Tina Wittern ziehe ich weiter auf einen Kaffee ins Café Kunterbunt. Das ist montags bis freitags geschlossen. Denn in der Woche malt die ausgebildete Produktdesignerin und Illustratorin – bevorzugt ländliche Motive, darunter auch Auftragsarbeiten. Sie, die viele Jahre in Hamburg gelebt hat, kehrte 2012 mit ihren Kindern Nick (16) und Karlotta (13) auf den elterlichen Hof zurück. Hier geht’s täglich überaus lebendig zu. Auf dem Steinbeker Hof entstand bereits 2006 ein gemeinschaftliches Wohnprojekt mit 27 Wohnungen.
Und immer wieder sonnabends und sonntags (14 bis 18 Uhr) heißt es: „Herzlich willkommen im Café Kunterbunt.“ Dann lässt sich gern auch mal Hennelore, das kecke Huhn vom Bauernhof-Kindergarten, blicken. Nicht nur, um sich in ihrem Privat-Gehege auf der Café-Terrasse bestaunen zu lassen. Auch der Kuchenkrümel wegen...
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