Norderstedt. Spannend dürfte es heute Abend im Umweltausschuss (18.30 Uhr, Übertragung auf norderstedt.de) werden. Da geht es, zugespitzt formuliert, um die Frage: Natur oder Verkehr? Anlass ist der Ausbau des ZOB Glashütte. Der Busstandort im Südosten Norderstedts, den fünf Linien ansteuern, wird modernisiert. Da der Standort während der Bauzeit komplett bus- und taxifrei sein muss, muss der Busbetrieb neu organisiert werden.
Aus Sicht der Norderstedter Verwaltung wäre die optimale Lösung, wenn sie auf der Naturfläche vor dem Naturgarten an der Straße Am Böhmerwald eine Wendekehre für die Busse der Linien 192 und 278 einrichten könnte. Damit würde allerdings ein Teil der ökologisch wertvollen Fläche während der einjährigen Bauphase, die im Juli beginnen soll, versiegelt. „Das geht gar nicht und ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar“, sagt Jürgen Feddern, Vorsitzender des Förderkreises Ossenmoorpark, der den Park, den Naturgarten und eben auch die Grünfläche davor gemeinsam mit dem städtischen Betriebsamt sowie Schülern und Lehrern des gegenüberliegenden Schulzentrums Süd pflegt.
Die Stadt lege viel Wert auf Biodiversität und Nachhaltigkeit, habe dafür extra eine Mitarbeiterin eingestellt und die Wiese als eine von 24 Biodiversitätsflächen im Stadtgebiet ausgewiesen. Und nun konterkariere die Verwaltung ihr Engagement für den Klimaschutz mit dem Ausweichplatz für die Busse.
Die Fläche sei eine wichtige Bienenweide, auch andere Insekten fänden auf der Staudenfläche Nahrung auf Disteln, Moschusmalven, Finger- und Eisenhüten, Astern oder Margeriten. Lehrer und Schüler der Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark und des Lise-Meitner-Gymnasiums nutzen die Wiese für den naturwissenschaftlichen Unterricht, haben am Rand ein Bienenhotel gebaut. „Für dieses Projekt sind wir als Unesco-Schule mehrfach ausgezeichnet worden“, sagt Kathrin Peters, Landeskoordinatorin für die Unesco-Schulen. In den nächsten Wochen soll eine weiteres Qualitätsprädikat hinzukommen, Zukunftsschule der Stufe 3.
Da sei die Blühfläche ein wichtiger Baustein. Die Gemeinschaftsschule wurde für das Projekt „Blütenbund Insektenreich“ der Kieler Forschungswerkstatt in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut ausgewählt. Ziel ist, „die Artenkenner von morgen“ auszubilden, das Interesse für Insekten und deren Schutz zu wecken. „All das wird doch hinfällig, wenn hier Busse wenden“, sagt Niklas Cyganowski, Schülersprecher der Gemeinschaftsschule, den der Plan der Verwaltung empört. Er kündigt massiven Widerstand der Schülerinnen und Schüler beider Schulen an.
Weiter weisen die Anwohner darauf hin, dass die Straße Am Böhmerwald eng ist, zudem eine Wohnstraße und ein stark frequentierter Schulweg sei. „Außerdem überqueren die Besucherinnen und Besucher des Ossenmoorparks die Straße auf ihrem Weg vom östlichen in den westlichen Teil des Parks und umgekehrt“, sagt Feddern. Daher müsse die Sicherheit in diesem sensiblen Bereich im Vordergrund stehen. Die sei aber bei bis zu 130 Busfahrten pro Tag zusätzlich zu den Schulbusfahrten gefährdet. „Hinzu kommen auch noch Lärm und Abgase, die den gesamten Bereich bis in den Naturgarten hinein belasten würden“, sagt der Schülersprecher.
„Wir haben andere Lösungen geprüft, aber verworfen“, sagt Mario Kröska, im Rathaus Fachbereichsleiter für Verkehr. Der größte Teil des Busverkehrs lasse sich durch provisorische Haltestellen und Pausenplätze für die Fahrer im Bereich Schulzentrum Süd/Poppenbütteler Straße bewältigen. Aber: Die Buslinien 192 und 278 passen nicht ins Ausweichkonzept. Kröska hat geprüft, ob die Busse über Poppenbütteler Straße, Lemsahler Weg und Robert-Koch-Straße umgeleitet werden können. Dann wären Park- und Pausenplätze für die Busse auf beiden Seiten an der Poppenbütteler Straße entlang des Parkstreifen vor der Grundschule Glashütte Süd erforderlich. Da sie dort aber nicht wenden können, müssten sie über Poppenbütteler Straße, Segeberger Chaussee und Tangstedter Landstraße oder Lemsahler Weg und Robert-Koch-Straße fahren, um in die neue Startposition zu kommen – enorm zeitaufwendig. Für jede Wendefahrt kalkuliert Kröska fünf bis acht Minuten. Die Leerfahrten summierten sich auf 300 bis 400 Kilometer pro Tag. „Das würde für die Fahrgäste eine deutlich spürbare Verschlechterung bedeuten, die Fahrzeiten würden sich verlängern. Außerdem würde eine solche Regelung einen erheblichen Mehrbedarf an Fahrzeugen und Personal bedeuten und damit das Defizit der Stadt erhöhen.“
Eine Gefahr für die Sicherheit der Schüler sieht er aber nicht. „Innerhalb des kreisweiten Busverkehres wurden noch nie ein Kind oder andere Menschen durch einen Busfahrer angefahren, verletzt oder gar getötet“, sagt der Fachbereichsleiter. Gefahrensituationen für Anwohner durch Busverkehr seien sachlich und mit Blick auf polizeiliche Unfallstatistik vollkommen unbegründet und auch nicht belegbar.
Die Stadt verspricht, die Fläche nach Ende der Bauarbeiten am ZOB wieder in den jetzigen Zustand zu versetzen. Da aber sind die Kritiker skeptisch: „Das würde rund zehn Jahre dauern, wenn das überhaupt gelingt“, sagt Feddern. Er hat die Parteien über seine Gegenargumente informiert und hofft nun, dass heute Abend die Natur siegt.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Norderstedt