Kreis Segeberg/Hamburg. Die Kinder sing hungrig und wollen bekocht werden. Das Arbeiten am Küchentisch wird auf Dauer ziemlich unbequem. Und die Abgrenzung zwischen dem eigenen Zuhause und dem Job fällt immer schwerer. Wegen der Pandemie mussten viele Menschen ihren Arbeitsplatz in die eigenen vier Wände verlagern. Die einen haben das Homeoffice lieben gelernt – den anderen fällt die Decke auf den Kopf. Um für einen Tapetenwechsel im Arbeitsalltag zu sorgen, gibt es Ausweichmöglichkeiten: Einige Hotels stellen ihre Zimmer tagsüber zur Verfügung, Coworking-Spaces vermieten Schreibtische als Alternative zum Homeoffice an Beschäftigte. Das Abendblatt stellt zwei interessante Modelle aus der Region vor.
Désirée Peikert sitzt auf der Fensterbank, mit einem Kissen im Rücken und ihrem Laptop auf dem Schoß. Wenn sie aus dem Fenster blickt, schaut sie direkt in die Kalkberg-Arena von Bad Segeberg. Würden gerade die Karl-May-Spiele laufen, könnte sie beobachten, wie Winnetou auf Iltschi durch das Stadion reitet. Aber die Veranstaltung fällt in diesem Jahr erneut aus – und Desiree Peikert ist ohnehin zum Arbeiten gekommen. Die Foodbloggerin und -fotografin hat sich in das unmittelbar am Kalkberg liegende Wasserturm-Hotel eingemietet, um hier ihren Tag im Homeoffice zu verbringen.
„Das gönne ich mir gerne mal“, sagt die 39-Jährige. Bereits zum dritten Mal hat sie das oberste Turmzimmer in der sechsten Etage des historischen Denkmals gebucht. Von 8 bis 18 Uhr hat sie Zeit, um an Videokonferenzen teilzunehmen, Fotos zu bearbeiten, Inhalte zu kreieren. „Da ich kreativ arbeite, brauche ich einen freien Kopf. Hier bin ich sehr fokussiert, mache nicht zwischendurch die Waschmaschine an oder räume den Geschirrspüler aus.“ Die Bloggerin ist das Arbeiten im Homeoffice zwar gewöhnt. Seitdem aber ihre 17-jährige Tochter und ihr Mann coronabedingt ebenfalls von zu Hause aus lernen und arbeiten, fällt es ihr schwerer, sich in den eigenen vier Wänden zu konzentrieren. Hinzu kommt: „Wenn ich große Datenmengen von Fotos verschicke, stockt der digitale Unterricht meiner Tochter.“
49 Euro kostet der Homeoffice-Tag im Hotel
Bei Instagram hat Peikert das Angebot entdeckt, im zum Hotel umgebauten Wasserturm Homeoffice zu machen. Sie kommt aus der Nähe von Plön, 30 Minuten braucht sie mit dem Auto nach Bad Segeberg. Für 49 Euro am Tag kann sie in Ruhe arbeiten. In das Zimmer gelangt sie mithilfe eines QR-Codes auf dem Smartphone. Der Zugang ist nur für den gebuchten Zeitraum gültig. Während des Tages wechselt Peikert öfter ihren Arbeitsplatz im Raum, erzählt sie. Mal sitzt sie am Fenster, mal auf dem Bett, mal am Küchentisch. Wenn sie wollte, könnte sie sogar die frei stehende Badewanne in der oberen Etage nutzen. Das Zimmer erstreckt sich über zwei Ebenen, das Bad befindet sich direkt unter der Turmspitze. „Die Atmosphäre ist einfach etwas Besonderes.“
Das Apart Hotel Wasserturm, zu dem vier weitere Häuser mit Apartments gehören, wurde erst im vergangenen August eröffnet. „Wir hatten drei tolle Monate. Das Konzept ist super von den Gästen angenommen worden. Wir waren voller Euphorie – doch dann hat Corona uns einen Strich durch die Rechnung gemacht, und alles stand leer“, sagt Cornelia Möller, Geschäftsführerin von DS Immobilien. Die Mitarbeiter hätten „die Kissen von rechts nach links gerückt“, wussten nicht so recht, was sie noch tun sollten. Dann kam vor zwei Monaten die Idee, die sechs Turmzimmer an Beschäftigte im Homeoffice, die einen Tapetenwechsel brauchen, zu vergeben. In der Woche sind rund zehn Gäste zu Besuch. „Für uns ist das eine gute Werbemaßnahme. Viele, die hier waren, meinten, sie würden für eine Übernachtung gern wiederkommen“, berichtet Möller.
Fünf Schreibtische stehen im Kiez Büro am Schmuggelstieg
Auch Björn Budack bietet Menschen, die nicht gut zu Hause arbeiten können oder möchten, einen Zufluchtsort an. Der 52-Jährige vermietet Coworking-Spaces – er bringt Kleinunternehmer, Gründer, Freiberufler und Künstler aus den unterschiedlichsten Branchen in einer Bürogemeinschaft zusammen. Davon lebt das Prinzip „Coworking“ („zusammenarbeiten“). „Das ist nicht nur ein Geschäftsmodell, sondern eine Art zu leben“, sagt Budack. Der gebürtige Hamburger wohnt inzwischen in Berlin, ist aber in Langenhorn aufgewachsen. Im vergangenen Sommer hat er eine Ladenfläche in der Einkaufspassage am Schmuggelstieg angemietet und sein Kiez Büro eröffnet. „Schon als Kind mochte ich es hier sehr“, sagt er. Der Vorteil einer Ladenfläche sei, dass sie so offen und niedrigschwellig sei. „Jeder, der Bock hat, kann vorbeischauen. Offenheit und die Lust, sich mit anderen zu unterhalten, gehört zum Coworking dazu.“
Fünf Schreibtische können hier von jedermann gebucht werden – die flexible Variante mit wechselnden Tischen kostet 119 Euro im Monat, einen festen Arbeitsplatz gibt es für 219 Euro. Auch besteht die Möglichkeit, sich ein 10er-Ticket für 139 Euro zu kaufen. Jeder Mieter bekommt einen Schlüssel und kann ein- und ausgehen, wann er möchte. Der Letzte macht die Tür zu. Das Verhältnis basiert auf Vertrauen.
Der 57 Quadratmeter große Laden, der auf der Hamburger Seite des Schmuggelstiegs liegt, verfügt über zwei Ebenen. Im Untergeschoss stehen Schreibtische, ein Sofa und ein Esstisch. Hier befindet sich auch die Kaffeeküche, bei der man sich bedienen kann. Ausdrucke sind inklusive. Im Obergeschoss befinden sich zwei weitere Schreibtische, an einem hat sich Olaf Knauer eingerichtet. „Ich kann im Homeoffice nicht arbeiten“, sagt der 53-Jährige aus Norderstedt, der als Projekt- und Führungscoach tätig ist und die klare Trennung zwischen Beruflichem und Privatem braucht. Fast täglich kommt er ins Kiez Büro, trägt Hemd und Jackett, manchmal sogar eine Krawatte für wichtige Videokonferenzen. „Ich finde Coworking super. Man tauscht sich mit anderen aus, manchmal ergeben sich sogar Synergien. Das ist eine große Bereicherung“, sagt Knauer. In der Regel sind zwei bis drei Leute gleichzeitig vor Ort.
Nachfrage nach Einzelbüros ist in Corona-Zeit gestiegen
Björn Budack betreibt elf weitere Coworking-Spaces in Hamburg, Itzehoe, Neustrelitz und Berlin. Der Standort am Schmuggelstieg ist der kleinste. Obwohl wegen der Corona-Krise viel mehr Menschen im Homeoffice arbeiten, konnte der Geschäftsführer noch keine erhöhte Nachfrage feststellen. Aber die Beliebtheit der Einzelbüros sei gestiegen, berichtet er. „Die Leute wollen die Tür schließen, um sich vor dem Virus zu schützen. Geselligkeit ist gerade nicht angesagt.“ Budack hofft, dass sich das bald wieder ändern wird. Schließlich sind Zusammenarbeit und Kommunikation wichtige Säulen, die das Coworking-Konzept ausmachen.
Wasserturm-Hotel, Tel. 0151/17 45 75 95, www.wasserturm-segeberg.de; Kiez Büro, 030/28 47 69 94, bjoern.budack@kiez-buero.de.
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