Sammlerin findet in Gesangbuch eine Notiz aus der Lübecker Bombennacht – eine Geschichte, die Jan Schröter berührte.

Ja, es ist immer noch Pandemie und das Thema beherrscht alle Nachrichten. Aber nicht diese „Wochenschau“-Ausgabe. Nicht mal in einer Woche, in der es Corona schafft, Winnetou Old Shatterhand einen weiteren Sommer lang vom Segeberger Kalkberg fernzuhalten – was bis dato nicht mal den Komantschen gelungen ist. Schon dafür verdient das Virus den Marterpfahl.

Doch die berührendste Geschichte kommt diese Woche aus Wahlstedt. Dort lebt Sigrid Baier, eine Sammlerin alter Gesangsbücher. Als sie in einem ihrer Schätze blätterte, fiel ihr darin ein loser Zettel auf. Vergilbt, mit einem Bleistift handbeschrieben, die Buchstaben verwischt und größtenteils kaum noch zu entziffern. So viel aber doch: „Bombenangriff, Lübeck.“ Sowie ein Datum: „28./ 29. März 1942“ – die Nacht, in der ein Bombenangriff der englischen Luftwaffe die Lübecker Altstadt zerstörte. Das Gesangbuch gehörte einer vermutlich 1884 geborenen Frau namens Frieda Buller, nach deren Angehörigen Frau Baier nun forscht, um Buch nebst Zettel zurückzugeben. Bestimmt würde dieser Familie ein solches Erbstück viel bedeuten, meint die Finderin. Und das denke ich auch. Es ist ja nicht bloß ein alter Zettel. Es ist eine Gefühlskonserve, sichtbar und präsent. Man liest daraus das Entsetzen der Schreiberin, sogar ohne die Buchstaben zu deuten. Der Kontext zum Verwahrungsort, dem Kirchen-Gesangbuch, lässt darauf schließen, worin die Schreiberin in ihrer Seelenpein Trost gesucht und hoffentlich auch gefunden hat. Ohne die Frau oder überhaupt auch nur ihre eventuellen Nachfahren zu kennen, erahnt man ihre Gefühle in dieser Lage. Und fühlt mit.