Auch unser Schatz wächst. Nämlich der Sprachschatz. Noch im vorigen Winter hatten wir Vokabeln wie „Inzidenz“, „Vakzin“ oder auch bloß „Immunantwort“ eher nicht im alltäglichen Kommunikationsrepertoire. Heute flutscht dergleichen flott von der Zunge und muss niemandem weiter erklärt werden.
Und immer, wenn man denkt, man habe zu diesem Thema alles verinnerlicht und bräuchte wirklich kein weiteres „ARD-Extra“ mehr dazu, kommt ein neuer Begriff ins Spiel. Jüngst fiel in einer einschlägigen Diskussion die Bezeichnung „Fluchtmutante“, eine Verbalkreation von universeller Eleganz. Ich war nicht gleich im Bilde, hatte aber sofort Bilder im Kopf. Fluchtmu-Tante? So eine wie meine legendäre Großtante Elisabeth, die einst aus dem Spießerkorsett ihrer miefigen Ehe ausbrach, mit einem Tanzlehrer über die Wupper ging und nie wieder von sich hören ließ? Wenn es Fluchtmutanten gibt – gibt es auch Fluchmuonkel? Und wieso hauen nur Tanten und Onkel ab, was ist mit Fluchtmusöhnen und -töchtern?
Zum Glück geistern aber so viele ExpertInnen durch sämtliche Medien, da muss keiner dumm sterben. Außer vielleicht an Fluchtmutanten. Das nämlich sind Virusmutationen, die durch Veränderung die Fähigkeit erlangt haben, die Schutzmechanismen des menschlichen Immunsystems zu umgehen. Falls es uns – hoffentlich bald! – gelingt, durch Abstandsregeln, Schutzmasken und Impfstoffe sämtliche Fluchtmutanten auf der Flucht zu killen, bleibt uns immer noch dieses schöne, vielseitig verwendbare Wort. „Du elende Fluchtmutante!“ wäre eine ebenso griffige wie treffliche Beleidigung für einen Menschen, der ständig ausweicht und andauend seine Meinung ändert. Sind die Ausweichmanöver und Richtungswechsel physischer Natur (beim Sport zum Beispiel), lässt sich mit diesem Begriff auch Lob ausdrücken: So verdient sich ein besonders flinker, dribbelstarker Außenstürmer beim Fußball das Prädikat „Fluchtmutante“.
Ja, die Pandemie bereichert uns. Sogar am Wetterbericht ist das bemerkbar. Darin münzten linguistisch begabte Wetterfrösche jetzt wegen der jüngsten, ergiebigen Schneefälle den „Lockdown“ zum „Flockdown“ um. Bestimmt ist der Flockdown ein abgefeimter Trick von Angela Merkel, um lockerungslustige MinisterpräsidentInnen auszubremsen, nach dem Motto: Der Inzidenzwert sinkt zwar, aber ihr dürft trotzdem nicht raus, da liegt zu viel Schnee, und ich kann gar nichts dafür, sondern die Natur. Völlig klar, die Kanzlerin hat das mit Putin ausgekungelt. Beweis: Der Schneesturm kam aus dem Osten. Jetzt darf die Regierung den Lockdown per Flockdown verlängern, und Putin verkauft uns sein Heizgas via „Nord Stream 2“. Win-win.
Okay, dann also drinnen bleiben. Wie wär’s mit „Rockdown“? Das bedeutet: Klamotten ausziehen. Dann vielleicht in die Badewanne. Oder ins Bett. Aber bitte nur maximal eine Person aus zwei Haushalten.
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