Der Mann in Rot würde sich freuen, wenn die Blitzsäulen in Norderstedt abgeschaltet würden. Seine Rentiere sind mit Tempo 80 unterwegs!

NORDERSTEDT Kling klang, king klang. Schon von Weitem ist er zu hören. An seinen schwarzen Stiefeln sind Schellen, die bei jedem Schritt hell erklingen. Mit schweren Schritten stapft er auf den Rathausmarkt. Er kommt zu Fuß. Seine Rentiere hat er im Wald gelassen. Sagt er zumindest. Und die meisten glauben ihm. Schließlich ist er der Weihnachtsmann.

Der liebe, gute Weihnachtsmann, wie er betont. Von seinem Kollegen aus dem Gedicht mit seiner Rute hält er gar nichts. Und von all den Möchtegern-Weihnachtsmännern mit ihren künstlichen Bärten, den billigen Baumarkt-Verkleidungen und ihren Ruten, mit denen sie Kindern drohen, noch viel weniger. „Schließlich müssen Kinder laut UN-Kinderrechts-Konvention aus dem Jahr 1989 vor körperlicher und geistiger Gewaltanwendung geschützt werden. Und das gilt auch für den Weihnachtsmann.“ Wenn es um das Thema geht, kann er richtig böse werden. Und irgendwie auch ein bisschen traurig. „Wenn ein Kind brav aufsagt: Stecke Deine Rute ein, ich will auch immer artig sein! – dann zerreißt es mir das Herz“, so der liebe, gute Weihnachtsmann. In solchen Momenten sagt er, dass das Gedicht uralt ist, er schon lange keine Rute mehr habe – und Erwachsene auch nicht immer artig sein können.

Weihnachtsmann ist eine Lebensaufgabe

Er sagt, dass man ihn auch Claudius nennen darf. Sein richtiger Name ist so geheim wie sein Wohnort. Also sein Wohnort jenseits von Lappland, genaugenommen am Berg Korvatunturi. Und Claudius nimmt es meistens ganz genau. Er spielt den Weihnachtsmann nicht nur. Er ist der Weihnachtsmann. Mit Leib und Seele, aus ganzem Herzen. „Weihnachtsmann ist kein Job. Sondern eine Aufgabe, eine Lebensaufgabe“, sagt Claudius, der seit 35 Jahren in diese Rolle schlüpft. Sogar einen Ehrenkodex für Weihnachtsmänner hat er unterschrieben, in dem Qualitätsstandards für Weihnachtsmänner festgelegt sind. Dieses Güteversprechen wurde 2008 von den Professionals erarbeitet und aufgesetzt – einer Vereinigung von professionellen Weihnachtsmännern, die sich als Vertreter des Weihnachtsmannes verstehen. Dazu heißt es in ihrem Ehrenkodex: „Zur Unterstützung des einzig wahren Weihnachtsmannes haben sich Helfer zusammengefunden, die den Geist der Weihnacht mit sich tragen. Diese Weihnachtsmannhelfer dürfen sich in Vertretung des Weihnachtsmannes „Weihnachtsmann“ nennen.“

Claudius nimmt das sehr ernst. So ernst, dass er manchmal sogar andere Weihnachtsmänner ermahnt. „Wenn ich sehe, dass jemand im Internet mit einer Rute posiert, keine weißen Handschuhe trägt und ohne Brille auftritt, schreibe ich ihn an“, sagt der liebe gute Weihnachtsmann. Er kann nicht aus seiner Haut – beziehungsweise aus seinem Mantel. Das Gewand ist eine Maßanfertigung, gefertigt aus zehn Metern Langhaarfell, fünfeinhalb Metern Flanell und drei Metern Seidenfutter nach einem traditionellen Schnittmuster. Der Wert des Unikats liegt im vierstelligen Bereich. „Wenn man alle Utensilien zusammenrechnet, kommt man auf den Wert eines Kleinwagens“, sagt Claudius und lacht. Hohoho. Er ist ein Meister seines Fachs, hat seine Rolle in 35 Jahren perfektioniert. Sein Bart stammt aus den USA, sein Schmuckgürtel aus Frankreich, seine Stiefel aus Polen und seine runde Nickelbrille aus den 1920er-Jahren. Seine Lampe ist der Nachbau einer Erzgebirgischen Weihnachtslaterne aus dem 19. Jahrhundert und sein Schlitten ein über 50 Jahre alter Hörnerschlitten aus einem Antiquariat, den er in 80 Stunden liebevoll restauriert hat. „Für Kinder ist der Weihnachtsmann ein höheres Wesen und Teil der guten Mächte. Und unsere Aufgabe ist es, diese Illusion aufrechtzuerhalten“, sagt Claudius. Als Santa Claus möchte er übrigens nicht bezeichnet werden – das klingt ihm zu Amerikanisch und zu viel nach Coca Cola. Wenn es um den Getränkeriesen geht, würde er am liebsten doch zur Rute greifen. Dass dieser sich anmaßt, den Weihnachtsmann erfunden zu haben? Tzzzz! Coca Lores! Einfach unglaublich, findet der Experte, der sogar den Wikipedia-Eintrag über den Weihnachtsmann mitverfasst hat – und es daher natürlich besser weiß. „Publizistisch erstmals aufgetaucht ist der Weihnachtsmann bereits 1770 – damals noch mit y geschrieben“, doziert Claudius und erzählt, dass der Deutsch-Amerikaner Thomas Nast, der nach New York auswanderte, bereits 1863 während des Bürgerkriegs für das Magazin Harper’s Weekly einen alten bärtigen Mann zeichnete, der vom Schlitten herab die Soldaten beschenkt.

Der Mann in Rot war mal BWL-Student

„Eine Rute hatte der übrigens nicht“, sagt Claudius. Womit er wieder beim Thema wäre – und damit auch bei dem Grund, warum er überhaupt Weihnachtsmann geworden ist. Damals, 1985. Als er selbst Vater von zwei kleinen Jungs war und auf einem Adventsmarkt einem vermeintlichen Weihnachtsmann begegnete. 35 Jahre ist das jetzt her, doch noch heute kann sich Claudius an jedes Detail dieses Möchtegern-Weihnachtsmannes erinnern. An diesen dünnen, langen Mantel. Diese schreckliche Maske mit aufgeklebtem Bart. Die dunkelgrünen Gummistiefeln, mit denen er aussah, als sei er dem Wattenmeer entstiegen. Und die Rute, mit der er sich ständig in die Hand schlug, um den vorbeigehenden Kindern zu drohen. „Einfach gruselig“, sagt Claudius und erinnert sich, wie er die Nacht danach wachgelegen hat. Überlegt hat. Ob das wirklich so sein muss? Ob das nicht besser geht?

Wenn er heute sagen müsste, wann sich sein Leben verändert hat, wann aus einem BWL-Studenten der Weihnachtsmann wurde, dann würde er diese eine Nacht nennen. Diese eine Nacht, als aus einem ob ein wie wurde. Als er sich nicht mehr fragte, ob man das nicht besser machen könnte - sondern wie. Wie er das besser machen könnte. Er! Nicht man. Sondern er.

Er, der am nächsten Tag in die Stadtbücherei marschierte und alle Bücher auslieh, die er über den Weihnachtsmann finden konnte. Er, der bei Theodor Storm und Hans Christian Andersen nachlas, was die zu dem Thema geschrieben hatten. Und der schließlich ein eigenes Konzept zu Papier brachte. Eine Art Drehbuch, wie der perfekte Weihnachtsmann auftreten müsste. Vier DIN-A4 Seiten lang.

Als die Sache mit dem Weihnachtsmann anfing, war es für den damals 29-Jährigen mehr Beruf als Berufung. „Eigentlich wollte ich mir damals als Student nur etwas Geld verdienen“, sagt Claudius und muss bei der Erinnerung selbst ein bisschen lachen. Und dann das: „Pustekuchen!“ Denn schon damals will er sich nicht mit der Massenware aus dem Kaufhaus zufrieden geben und bestellt sein Outfit bei einem Kostümfachhändler in München. „Hab mehr Geld in das Kostüm gesteckt, als mit den Auftritten verdient.“

Und trotzdem – oder gerade deswegen: Am Ende des Weihnachtsabends hat er Gewinn gemacht. „Das, was ich erlebt habe, war unbezahlbar“, sagt Claudius. Er weiß, das klingt ein bisschen kitschig. Aber so war es. Ein unglaubliches Bauchgefühl. Zufriedenheit. Pures Glück. Mit nichts zu vergleichen, was er zuvor erlebt hat. In dieser Weihnachtsnacht schläft er nicht. Er liegt wach. Denkt nach. Und fasst einen Entschluss.

Wenn Claudius von seinem Leben als Weihnachtsmann erzählt, ist es, als ob er aus dem dicken, goldenen Buch vorliest, das er mit zu den Kindern nimmt. Jede Seite ein neues Kapitel. Eine neue Erinnerung: An zwei russische Mädchen, die in Deutschland zu Gast waren und kein Wort Deutsch sprachen. Die ihm mit Tränen der Dankbarkeit in den Arm fielen, als er ihnen zwei Geschenke überreichte.

Zum World Santa Claus Congress nach Dänemark

An die kleine Linda, die sich von Herzen ein rosa Fahrrad wünschte, deren Eltern sich das aber finanziell nicht leisten konnten. Bis sie kurz vor Weihnachten in letzter Sekunde ein gebrauchtes Rad bekamen und der Weihnachtsmann dieses der fassungslosen und überglücklichen Linda überreichen durfte.

Und an seine erste Teilnahme beim World Santa Claus Congress im Dänemark. 1999, mitten im Sommer, mit Weihnachtsmännern aus der ganzen Welt. Die Stimmung ist überwältigend. „Diese Menschen spielen keine Rolle. Sie leben sie, gehen darin auf“, sagt Claudius. Hingabe und Leidenschaft. Fluch und Segen. Denn nicht alle kommen damit klar. Das weiß er. Er kennt Kollegen, die leben das ganze Jahr nur auf den 24. Dezember hin. „Doch wenn der vorbei ist, fallen sie in ein Loch. Einige bekommen sogar Depressionen.“ Für sie sei dieses Jahr besonders schlimm. Ihnen sind nicht nur die Aufträge weggebrochen – sondern ihre Lebensaufgabe.

Claudius hat Glück. Er ist wieder komplett ausgebucht. Er hat ein strenges Hygienekonzept entwickelt – und sich zehn Tage vor Weihnachten in eine vom Robert-Koch-Institut empfohlene Vorquarantäne begeben. „Am Schlimmsten wird es, die Distanz zu den Kindern einzuhalten“, sagt Claudius betrübt. Unvorstellbar, dass er ein Kind zurückweisen muss, wenn es ihn umarmen möchte.

Himmelherrschaftszeiten nochmal! Heute darf er noch ein bisschen fluchen. Weihnachten nicht. Auch so eine Sache, die im Ehrenkodex steht. Der Weihnachtsmann flucht nie. Außerdem isst, trinkt und telefoniert er nicht im Kostüm – und raucht schon gar nicht. Er ist großzügig und freundlich, geduldig und ruhig. Er strahlt Güte und Harmonie aus und nimmt sich Zeit für jeden.

Was für Superman sein Cape ist – das ist für Claudius sein Kostüm. Es verwandelt ihn von einem normalen Mann in den Weihnachtsmann – und damit in einen Superhelden. Zumindest in den Augen der Kinder. Kein Scherz! Er nimmt diese Heldenverehrung sehr ernst. Der Glaube an den Weihnachtsmann ist ihm heilig. Und deswegen verabschiedet er sich auch nicht mit einem Tschüss oder auf Wiedersehen. Sondern mit einem tiefen Hohoho und Schellenklang stapft davon. Vermutlich zurück zu seinen Rentieren.

STECKBRIEF

Name: Claudius

Geburtstag:
Das ist etwas, daran kann ich mich selbst nicht genau erinnern. Manchmal, wenn ich abends in meinem Lieblingsschaukelstuhl (am großen Kamin daheim am Korvatunturi) sitze, zähle in Gedanken, wie viele Male ich Weihnachten schon erlebt habe. Bis ungefähr zur Zahl 349 hatte ich es schon einmal geschafft, aber dann bin ich fest einschlafen.

Geburtsort:
Geboren bin ich weit oben im Norden, und zwar als sich die letzten Strahlen der Abendsonne mit den Nordlichtern trafen, der Wind von Norden kam und die Sterne glitzerten.

Beruf:
Privatier und Weihnachtsmann, auch für Norderstedt, Schleswig-Holstein und den Hamburger Norden.

An Norderstedt gefällt mir:
Die gute Infrastruktur und Nähe zum Hamburger Flughafen. Meinen fliegenden Rentieren und mir werden dort in jedem Jahr für den Schlitten sehr großzügig Sonder-Landerechte gewährt.


An Norderstedt gefällt mir nicht:
Das »Blitzgewitter« in Norderstedt: Es irritiert meine Rentiere, allen voran Rudolph. Am Heiligabend haben wir es eilig, um allen Kindern Geschenke zu bringen. Dann bin ich froh, dass meine Ren(n)tiere bis zu 80 km/h schnell sein können. Namens meiner Rentiere würde ich mich freuen, wenn die Blitzsäulen zumindest über die Weihnachtsfeiertage abgeschaltet würden.

Für die Zukunft wünsche ich Norderstedt:
Weitere 50 Jahre nachhaltiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Dynamik, und dabei den Zusammenhalt und die Gemeinschaft der Norderstedter ideenreich weiterzuentwickeln.