Kreis Segeberg. Die Jagd nach Alleinstellungsmerkmalen und Rekorden nimmt Mancherorts absurde Züge an. Warum nicht mal mit ganz normal zufrieden sein?

Sie sind bei der diesjährigen Verteilung der Nobelpreise wieder leer ausgegangen? Da haben wir etwas gemeinsam. Vermutlich tragen Sie – wie ich – auch keine Reichsinsignien, keine Tiara, kein Bundesverdienstkreuz. Und haben statt einer Olympiamedaille bestenfalls eine Jedermann-Plakette vom Volkslauf oder die vergilbte, kleine Urkunde von den Bundesjugendspielen im Schrank. Sie sind: Durchschnitt. Und das in einer Welt, in sich jeder von den anderen abheben möchte, um mit einem Superlativ zu glänzen. Die oder der Beste, Älteste, Jüngste, Schönste. Notfalls sogar: Schlechtester, Hässlichster, Letzter – so etwas findet mancher immer noch erstrebenswerter, als sich im Durchschnitt einzureihen.

Dabei verschleiert ein Alleinstellungsmerkmal nicht selten die Realität. Schaut man auf das, was dahinter steckt, wird es schnell peinlich. Kennen Sie Arnis an der Schlei? Der Ort feiert sich als „Kleinste Stadt Deutschlands“. Ist natürlich lächerlich, weil in einem Ort mit gerade mal 300 Einwohnern überhaupt kein Stadtgefühl aufkommt, da können die noch so viele Urkunden auf den Tisch blättern, um ihren Status zu belegen. Ebenso gut könnte ich ein Stück Draht in meinen Vorgarten stecken und behaupten, dies sei der kleinste Eiffelturm der Welt. Anderes Beispiel: Hen­stedt-Ulzburg, 28.104 Einwohner (Stand 2018). Mit dieser Bevölkerungszahl spielt man in einer Liga mit Schleswig (25.944 EW, Stand 2018), Rendsburg (29.501 EW, 2018) oder Itzehoe (31.879 EW, 2019). Trotzdem entschied man hier 2013 per Bürgervotum, die Gemeinde nicht zur Stadt zu erklären. Erst in dieser Woche bekräftigte Bürgermeisterin Ulrike Schmidt diesen Entschluss nochmals in einem Interview – unter dem Verweis, es spräche ja nichts gegen ein Henstedt-Ulzburg als „Größtes Dorf Schleswig-Holsteins“. Wenn das vielleicht witzig sein soll, ist es nicht mein Humor. Warum missbraucht man die Sprache, die uns doch idealerweise Orientierung vermittelt und Realität abbildet, für Etikettenschwindel? Kann man nicht einfach zugeben, dass Henstedt-Ulzburg während der vergangenen Jahrzehnte ziemlich aus dem Leim gegangen ist? Und als „Dorf“ genauso lächerlich ist wie Arnis als „Stadt“? Es zeugt von wenig Selbstbewusstsein, wenn man die Augen vor der Realität verschließt. Dabei wäre es doch keine Schande, offen zu erklären: Henstedt-Ulzburg ist eine kleinere Mittelstadt – nichts Außergewöhnliches, bloß ganz normal. Deshalb wohnt man hier. Die meisten von uns kriegen weder einen Nobelpreis noch ein Bundesverdienstkreuz und sind trotzdem okay.