Kreis Segeberg. Unser Kolumnist erhielt vor kurzem einen Anruf – von seinem ehemaligen Lehrer. Der fragte: Welche Berufe sind systemrelevant – und welche nicht?

Fühlt man sich als 61-Jähriger plötzlich in seine Schulzeit versetzt, ist man entweder verliebt, sturzbetrunken oder eingeschlafen und träumt. Seit gestern kenne ich eine vierte Möglichkeit, die diesen Zustand auslöst: Wenn einen der einstige Lehrer anruft.

In meinem Fall ist der Mann längst ein gutes Stück über 80. Und klingt ziemlich aufgebracht, als er mich anruft. „Ich habe mich sehr über deine Kolumne geärgert“, legt er los. Setzen, Sechs, denke ich und fühle mich schlagartig wie… siehe oben. Eigentlich sei mein Beitrag ja okay gewesen, führt mein alter Lehrer weiter aus. Aber ich hätte eine Formulierung benutzt, die man im Zusammenhang mit Corona neuerdings überall verwendet. Und weil ich der einzige Journalist bin, den er persönlich kennt, beschwert er sich eben bei mir. Er fühlt sich diskriminiert, seit überall von „systemrelevanten Berufen“ die Rede ist. Damit sind, beispielsweise, Krankenschwestern und Pfleger gemeint. Die Leute von der Müllabfuhr oder Mitarbeiter in Supermärkten. Also Menschen, die während dieser Krise das System am Laufen halten. Wir haben keine Zweiklassengesellschaft, doziert mein Lehrer. Das System sind wir alle, also ist jeder Einzelne relevant. Zum Beispiel würde die systemrelevante Apotheke sofort wirtschaftlich kollabieren, wenn er und seine Altersgenossen nicht so fleißig Pillen schlucken würden – und zwar schon seit Jahren. Demnach ist ein kranker Rentner mindestens ebenso systemrelevant wie ein Arzt oder Apotheker. Die Behauptung, bestimmte Berufsgruppen wären von staatstragender Bedeutung, andere eher unwichtig, sei schlichtweg falsch. Und deshalb sei es eine Frechheit, den einen auszugrenzen und zu isolieren, während der andere ungebremst seiner Profession nachgehen dürfte.