Norderstedt. Was Lärm ist, entscheidet jeder Bürger höchst subjektiv. Für den einen ist der zarte Ruf der Nachtigall nach 22 Uhr ein unzumutbares Gebrüll, für den anderen ist es völlig in Ordnung, wenn der Schwerlastverkehr auf der vierspurigen Straße vor der Tür gegen 23 Uhr mal langsam abebbt. Das Spannungsfeld im Bereich der Lärmminderung könnte für die Stadt Norderstedt also kaum größer sein. Und so ist es Mario Kröska, dem Experten für die Verkehrsplanung in der Stadtverwaltung, schon klar, dass es in vielen Ohren geradezu provokant klingt, wenn er sagt: „Es ist leiser geworden in Norderstedt!“ Und dann setzt er aus Sicht der von sieben fest installierten und der einen mobilen Radaranlage seit 2016 gemaßregelten Autofahrer noch einen drauf: „Die Blitzanlagen haben zu dieser Lärmminderung wesentlich beigetragen.“
Wie kommt der Mann da drauf? Ganz einfach: Er hat die Fakten ausgewertet. Und die stützen seine Aussagen. Kröska hat eine große Lärmkarte der Stadt. Auf ihr wird entlang der Straßen Norderstedts angezeigt, in welchen Bereichen 2017 bis zu 100 (hellgrün) oder mehr als 100 Wohneinheiten (dunkelgrün) messbar weniger Lärm erleiden müssen als noch 2012. Da ist sehr viel hell- und dunkelgrün auf der Karte.
Zum Grundverständnis der Lärmmessung muss man verstehen: Er wird nicht mit Dezibel-Messgerät am Straßenrand gemessen. „Da verfälscht Umgebungslärm das Ergebnis oder die Tatsache, dass gerade eine Baustelle um die Ecke ist und Lastwagen unterwegs sind“, sagt Kröska. Das Gesetz fordert Messungen an der Quelle – beim Verkehrslärm also bei den Fahrzeugen. Und das geht auch mit Big Data am Schreibtisch.
Jedes Auto, jeder Lastwagen wird in Norderstedt gezählt
Alle Radargeräte, alle Ampeln (Kontaktschleifen im Boden!) und die lustigen Dialogdisplays messen fortlaufend den fließenden Verkehr. Jedes Auto, jeder Lastwagen, jede Geschwindigkeit wird so exakt erfasst. Das Hamburger Lärmkontor hat im Auftrag der Stadt mit diesen Daten in den zurückliegenden Jahren die Lärmbelastung errechnet – und zwar immer in Bezug auf die vom Lärm betroffenen Wohneinheiten.
Die sieben festen Radar-Blitzgeräte in der Stadt haben zum Beispiel zwischen dem 16. August 2017 und heute 14.910.840 vorbeifahrende Fahrzeuge erfasst. Laut Rathaus-Sprecher Bernd-Olaf Struppek gab es dabei 163.464 Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung, also entweder hatten sich Autofahrer nicht an die vorgeschriebene Geschwindigkeit gehalten oder ein Rotlicht an den Ampeln überfahren. Allein 5,6 Millionen Durchfahrten hat übrigens die Blitzsäule auf der Schleswig-Holstein-Straße gemessen.
Die Experten des Lärmkontors können also am Ende genau sagen, ob die Geschwindigkeit der Autos abgenommen hat, ob mehr oder weniger Lastwagen unterwegs waren – ob es also eher leiser oder lauter geworden ist an einer Straße. Dass es in Norderstedt an vielen Straßen leiser geworden sei, hänge natürlich nicht nur mit dem von den Blitzgeräten ausgebremsten Verkehr zusammen. Schließlich gebe es den umfangreichen Lärmaktionsplan der Stadt, der immer weiter abgearbeitet werde. „Da zählen also die neu eingeführten Tempo-30-Zonen der Stadt dazu, der Umbau der Ulzburger Straße, der Ausbau des ÖPNV und der Bike-&-Ride-Stationen, unser Rundwege-Konzept, die vielen Investitionen in den Radverkehr“, sagt Kröska.
Doch die für die Stadt lukrativste Lärmminderungsmaßnahme ist und bleibt das Blitzen. Die 163.464 Verstöße des letzten Jahres werden wieder ein erhebliches Ausmaß an Bußgeldern in die Stadtkasse spülen. Drei Mitarbeiter im Rathaus machen nichts anderes, als Bußgeldbescheide zu verschicken und zu bearbeiten. Fünf Mitarbeiter kümmern sich um die festen Blitzgeräte, das eine mobile Gerät und die Auswertung der Bilder. Und trotz dieses nicht unwesentlichen Personal- und Sachaufwandes (867.000 Euro in 2017) bleibt von den Einnahmen netto ziemlich viel übrig. Im letzten Jahr nahm die Stadt 2.373.200 Euro brutto an Bußgeldern ein, 1.505.900 Euro flossen letztlich als Gewinn in den Haushalt. Das Geld ist nicht zweckgebunden.
Die Erfahrungen mit dem Blitzen in Norderstedt werden überall im Land Schleswig-Holstein aufmerksam verfolgt. Norderstedt blitzt auf Basis des Lärmschutzes seit 2016 als Pilotprojekt in Eigenregie und auf fünf Jahre begrenzt. In allen anderen Kommunen übernehmen die Kreise die Verkehrsüberwachung. Wenn die Norderstedter gute Erfahrungen machen, werden andere Städte und Gemeinden sicher nachziehen wollen.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Norderstedt