Norderstedt. Unweit der Baustelle sitzen zwei Frauen in der Sonne und quatschen bei einer Zigarette. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, Idylle im Glasmoor. Besser gesagt: idyllische Resozialisierung. Denn die beiden Damen sind zwei von 19 inhaftierten Frauen in der Justizvollzugsanstalt am Rande des Naturschutzgebietes in Norderstedt. Und auf der Baustelle wächst das neue Hafthaus gleich neben den historischen Gebäudeteilen der 1928 nach den Plänen des Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher fertiggestellten Haftanstalt.
Nicht nur 19 Frauen, sondern auch noch 180 Männer sitzen hier ein – zumindest zeitweise. Denn die JVA Glasmoor ist ein Freigänger-Gefängnis, das letzte Glied in der Kette des Weges ehemaliger Straftäter auf ihrem Weg zurück ins (hoffentlich) bürgerliche Leben. In den Hamburger Gefängnissen warten etliche Inhaftierte darauf, endlich einen Freigänger-Haftplatz zu bekommen. „Sechs Wochen bis zwei Monate Wartezeit sind normal“, sagt Angela Biermann, Leiterin der JVA Glasmoor seit 2009. „Wir sind so froh, endlich mehr Platz zu bekommen. Lange haben wir dafür gekämpft, lange mussten wir planen und immer wieder rechnen – aber nun ist es soweit.“
Justizsenator Til Steffen kommt am Donnerstag vorbei, um gemeinsam mit Biermann eine Zeitkapsel (mit Kleingeld, einem „Santa Fu“-Schlüsselanhänger, Bauplänen und einer Norderstedt-Ausgabe des Abendblatts) im Grundstein des neuen Hafthauses mit 108 Einzelzimmern zu versenken. Steffen will unterstreichen, wie wichtig ihm sein Ansatz ist, ehemaligen Straftätern im modernen Strafvollzug eine „Brücke in die Freiheit“ zu bauen. Steffen: „Hier in der JVA Glasmoor wird wertvolle Arbeit geleistet.
Resozialisierung beginnt im Gefängnis. Im offenen Vollzug können wir den Gefangenen eng auf seinem Weg zurück in die Gesellschaft begleiten. Er kann Freiheit üben, einer Arbeit nachgehen, seine familiäre Situation ordnen.“ Der An- und Umbau im Glasmoor sei eine wichtiger Faktor im Programm des Senates, den Hamburger Justizvollzug komplett auf die Resozialisierung auszurichten.
Und deswegen lässt der Senat sich das Unterfangen auch ganz schön was kosten. 33,3 Millionen Euro sind fällig, damit das Glasmoor und seine Haftbedingungen im 21. Jahrhundert ankommen. Denn immer noch schlafen hier etliche Inhaftierte in Achter-Schlafsälen. „Unsere Haftanstalt ist immer proppenvoll. Frei werdende Haftplätze werden schon Stunden später neu belegt. Uns fehlt der Raum, um ausreichend zu differenzieren“, sagt Biermann. Man versuche natürlich immer Menschen zusammen zu legen, die ansatzweise zueinander passen. Doch bei so vielen unterschiedlichen Kulturen und der gemischten Altersstruktur der Inhaftierten lassen sich Konflikte und Reibereien nicht vermeiden. Zunächst soll nun also das neue Haus III mit den 108 Plätzen fertig und die alte Küche der Einrichtung grundsaniert werden. Dann ziehen Häftlinge um, es kann im Sommer 2019 mit dem Umbau des alten Hafthauses I begonnen werden. Aus antiquierten Achter-Hafträumen werden dann zwei Hafträume für je zwei Insassen. „Der Neubau und die Sanierung der alten Hafträume ermöglicht es uns endlich, die störenden Faktoren bei der Resozialisierung auszuschalten“, sagt Biermann. Die Insassen könnten sich dann ganz stressfrei der Bewältigung ihrer persönlichen Probleme zuwenden. Biermann: „Fast alle Insassen verlassen unsere JVA im Durchschnitt nach einem Jahr – und zwar mit festem Wohnsitz und in der Regel auch mit einem Job.“ Hunderte Firmen – auch in Norderstedt – würden mit der JVA zusammenarbeiten.
Manchmal geht die Resozialisierung im Glasmoor auch schief. Es gibt Berichte über Freigänger, die ihre Freiheit nur dazu nutzten, um ihre kriminellen Geschäfte wieder anzukurbeln. Doch die Mehrzahl der Häftlinge sei froh, im ruhigen Glasmoor eine Chance auf die Rückkehr ins normale Leben zu bekommen, sagt Biermann. Und für prominente Gefangene ist das historische Gefängnis am Rande Norderstedts auch ausreichend abgeschieden, um still und leise eine Haftstrafe abzusitzen. So soll hier Melanie M. (34) als Freigängerin ihre viereinhalbjährige Strafe verbüßen. Die Verlobte eines Hamburger Millionärs hatte 2015 auf dem Münchner Oktoberfest einem Mann ein Klappmesser in den Körper gestoßen, der den Fußballprofi Patrick Owomoyela rassistisch beleidigt hatte.
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