Norderstedt. Heiko Evermann, der Kreisvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD) im Kreis Segeberg, sagt, er habe immer „ein sehr großes Auge“ auf einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund bei den Mitgliedern in seinem Kreisverband. Doch bei dem Skandal, den er nun als Vorsitzender verantworten muss, schien dieses sehr große Auge sehr blind gewesen zu sein.
Kaum anders ist es zu erklären, dass die AfD einen Mann als Kandidat für den Kreistag nominierte, der in Norderstedt 1992 als Neonazi Schlagzeilen machte. Mit ultra-rechten Gesinnungsgenossen gründete er Anfang der 90er-Jahre eine Nazi-Terrortruppe mit dem Ziel, Ausländer in Angst und Schrecken zu versetzen (siehe Text unten). Die Gruppe nannte sich „Blut und Ehre Division“, recherchierte gezielt Adressen von Ausländern in Norderstedt und nahm bei Anschlägen mit Molotow-Cocktails auf die Häuser ihrer Opfer bewusst den Tod von Menschen in Kauf. Noch dazu wurde der AfD-Kandidat fünf Jahre nach diesen Umtrieben wegen sexueller Nötigung einer Frau zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt – die Darstellung des Opfers, mehrfach in einem Keller von dem Neonazi vergewaltigt worden zu sein, konnte vor Gericht nicht nachgewiesen werden.
„Von der Vorgeschichte unseres Kandidaten wusste ich nichts – bis zu unserem Kreisparteitag am Donnerstag, 1. Februar“, sagt Evermann. Der Ex-Neonazi wurde nominiert, auf Listenplatz 7 der Kreis-AfD gesetzt und dem Plenum im Bürgerhaus in Henstedt-Ulzburg präsentiert. Evermann: „Der Mann ist sei 2013 im AfD-Kreisverband, ist ein Urgestein der Partei – ich dachte, da muss ich keine Fragen stellen.“ Andere Parteigänger hätten ihn vorgeschlagen, sagt Evermann – und auch sie verschwiegen die Vergangenheit des Norderstedters. Der Versuch rechtsnational Denkender, den Segeberger AfD-Kreisverband zu unterwandern?
„Wir befragen alle Mitglieder, prüfen dabei auf rechtsnationales Gedankengut, und wir machen eine ausführliche Internetrecherche bei jedem“, sagt Evermann. „Wir haben Rechtsradikalen deswegen auch schon die Mitgliedschaft verweigert.“ Wie wenig ausreichend diese Prüfung ist, zeigt sich nun im Fall des Norderstedter Ex-Neonazis. Dessen Untaten sind leicht mit ein paar Klicks im Netz zu finden – gut dokumentiert von der Antifa und auf den Seiten des (mittlerweile stillgelegten) Infoarchivs Norderstedt.
Der Mann ist – kaum nominiert – nun auch schon wieder Ex-Kreistagskandidat. Evermann: „Seine Vergangenheit ist juristisch aufgearbeitet und damit verjährt – politisch ist seine Vorgeschichte allerdings nicht verjährt.“ Sie sei mit einer AfD-Mitgliedschaft nicht vereinbar. Warum dies den Verantwortlichen bei der Gründung des AfD-Kreisverbandes 2013 nicht aufgefallen sei, kann Evermann nicht sagen. Der Norderstedter sei seinem Rauswurf aus der Partei mit der Erklärung seines Parteiaustrittes zuvorgekommen.
Es fällt der AfD offenbar schwer, 25 geeignete Kreistags-Direktkandidaten für die Kommunalwahl am 6. Mai zu finden. Weitere 20 Direktkandidaten will die AfD theoretisch auch für die Wahl der Stadtvertretung in Norderstedt aufstellen. Um die Parteiwahllisten voll zu bekommen, ist die kommunalpolitische Erfahrung nicht das erste Kriterium bei der Kreis-AfD – wie auch bei einer Partei, die sich erstmals bei einer Wahl im Kreis Segeberg breit aufstellen möchte. Evermann: „Wir setzen in der Regel Kandidaten auf die Liste, die wir persönlich kennen – es sind zum Beispiel Verwandte von Parteimitgliedern, etwa Eltern oder Großeltern.“
Heiko Evermann verspricht, seine Lehren aus der Affäre um den Norderstedter Ex-Neonazi zu ziehen und potenzielle Kandidaten im persönlichen Gespräch nun „besser auf rechtslastiges Gedankengut abzuklopfen“. Doch zu 100 Prozent könne das eine Partei nie verhindern, sagt Evermann. Polizeiliche Führungszeugnisse einzusehen, würde dabei nur bedingt helfen, sagt Evermann. Im Fall des Ex-Neonazis aus Norderstedt sei dieses Zeugnis laut Evermann ohne Eintrag, weil der Mann heute als Handwerker und Familienvater in Norderstedt lebe und seit den 90er-Jahren nicht mehr straffällig geworden sei.
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